Die EU und der Bürgerkrieg in Syrien

EU vor Politikdesaster?

d'Lëtzebuerger Land du 24.08.2012

Im syrischen Bürgerkrieg werden die schlimmsten Szenarios nach und nach Wirklichkeit. Die zunächst friedlichen Proteste gegen die diktatorische Herrschaft von Baschar al-Assad haben sich wegen des ungehemmten Tötens von Seiten der Regierung zu einem offenen Bürgerkrieg entwickelt. Wegen der Weigerung Russlands und Chinas, den Vereinten Nationen eine effektive Rolle bei der Lösung des Konfliktes zu gestatten, hat sich der Bürgerkrieg genau zu dem Stellvertreterkrieg entwickelt, vor dem immer und immer wieder gewarnt worden ist. Je länger dieser Krieg dauert, desto weniger geht es um das Schicksal der Syrer, sondern darum, wie und von wem die politische Landkarte des Nahen Osten umgeschrieben wird.
Die Zahl der Akteure, die mitmischen, wächst. Der Türkei kommt eine Schlüsselrolle zu. Das Nato-Mitglied ist unmittelbarer Nachbar und nach eigener Aussage bald an seine Grenzen angelangt, was die Aufnahme von Flüchtlingen angeht. Über die Türkei werden die unterstützenden Maßnahmen für die Freien Syrische Armee (besser Armeen) organisiert, mit den Vereinigten Staaten diskutiert der türkische Ministerpräsident über eine Flugverbotszone, die Voraussetzung für die Einrichtung von Schutzzonen für Flüchtlinge auf syrischem Gebiet wäre. Saudi-Arabien und Qatar gelten als die größten Geldgeber der Rebellen und Freiheitskämpfer. Iran mischt fleißig mit, ohne dass man wirklich weiß, wie weit die iranische Regierung schon geht. Dass sie Militärexperten schickt, scheint wahrscheinlich. Russland und China stehen vor den Scherben ihrer Syrienpolitik und sind Gefangene ihrer zynischen Haltung geworden. Für sie geht es darum, eine UN-Rolle im Kampf um Bürgerrechte zu verhindern, die später einmal auf sie zurückfallen könnte, und den russischen Militärstützpunkt im Mittelmeer zu erhalten sowie darum zu verhindern, dass die USA ihre Machtpositionen verbessern können. Die Rebellen drohen inzwischen damit, mit al-Qaida zusammenzuarbeiten, wenn sie vom Westen nicht mehr Unterstützung bekommen.
Regional betrachtet hängt das Schicksal des Libanon, des iranischen Mullah-Regimes und sogar Israels vom Ausgang des syrischen Bürgerkriegs ab. Barack Obama hat am Montag noch einmal unmissverständlich deutlich gemacht, massiv in den Krieg eingreifen zu wollen, sollte al-Assad biologische und chemische Waffen einsetzen oder der Hisbollah zur Verfügung zu stellen. Israel könnte versucht sein, den syrischen Bürgerkrieg dazu zu nutzen, Iran anzugreifen, um das Atomwaffenprogramm dort fürs erste zu stoppen. Vielleicht gibt es sich auch der Hoffnung hin, dass das Mullah-Regime im Zuge der syrischen Wirren gestürzt werden könnte. Ägyptens neuer Präsident will sich angeblich mit Ahmadinedschad treffen und die Beziehungen seines Landes mit dem Iran auf eine neue Basis stellen. Saudi-Arabien benutzt den Bürgerkrieg als Gelegenheit, endlich den schiitischen Einfluss zurückzudrängen, der sich seit der iranischen Revolution im sogenannten schiitischen Halbmond von Bahrein über Iran, Irak, Syrien bis hin zum Libanon hinzieht, wo die eng mit Assad verbandelte schiitische Hisbollah faktisch den Staat dominiert.
Die EU steht bei all diesen Fakten, regionalen und globalen Machtspielen und Unwägbarkeiten vor einem riesigen Problem. Bisher hat sie nur die wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen ihrer Mitgliedstaaten gegenüber dem Assad-Regime organisiert. Catherine Ashton, die Außenbeauftragte der EU, verurteilte am 19. August die iranische Führung aufs Schärfste, weil diese wieder einmal das Existenzrechts Israels in Frage stellte und rief den Iran zu einer konstruktiven Rolle auf. Am Tag zuvor betonte sie anlässlich der Berufung des Algeriers Lakhdar Brahimi durch die UN und die Arabische Liga zum Syrienvermittler, dass die EU sich weiterhin für eine interne politische Lösung im Bürgerkrieg einsetze. Solche Pflichtübungen wären an sich nicht der Rede wert, gäbe es zugleich eine breite öffentliche Diskussion innerhalb der europäischen Institutionen über Rolle und Möglichkeiten der EU in diesem Konflikt und was für die EU auf dem Spiel steht. Dass diese Diskussion nicht stattfindet, liegt nicht nur an der Sommerpause. Die EU ist in Deckung gegangen. Es könnte sein, dass sie bald angesichts eines immer stärker eskalierenden Krieges im Nahen Osten vor einem ähnlichen Desaster steht, wie es ihr vor 20 Jahren in Jugoslawien passiert ist.
Die erneute Warnung Obamas an Assad, direkt in den Krieg einzugreifen, sollten Bio- und Chemiewaffen zum Zuge kommen, zeigt auch wie klein und verflochten die Welt seit dem letzten Aufstand in Syrien geworden ist. Hafiz al-Assad konnte 1982 in Hama noch 20-30.000 Menschen in kurzer Zeit töten, weil die Welt erst davon erfuhr, nachdem die Massaker ausgeführt waren.
Wie auch immer der Konflikt in Syrien letztlich ausgeht, für Russland, die USA, China, Iran und die arabische Welt könnte am Ende die Erkenntnis stehen, dass man mit den Europäern weder rechnen kann noch muss. Ein solches Fazit hätte langfristige Auswirkungen auf die Sicherheit der Europäischen Union.

Christoph Nick
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