Für sechs Monate wird ein kommunistischer Staatschef der Europäischen Union vorstehen. Demetris Christofias, Generalsekretär der zypriotischen Fortschrittspartei der Arbeiter (AKEL) sowie Präsident und Regierungschef Zyperns, hat eine Karriere hinter sich wie aus dem proletarischen Bilderbuch. Arbeiterkind, Studium der Sozialwissenschaften in Moskau, mit 18 Jahren Eintritt in die damals noch stramm kommunistische Arbeiterpartei und Aufstieg bis zum Parteichef. Am 1. Juli trat Zypern, ein Euroland, seine erste EU-Präsidentschaft an. Wenige Tage zuvor musste das Land unter den EU-Rettungsschirm schlüpfen, weil seine Banken eng mit den griechischen Banken zusammenarbeiten und, ihrem Anteil entsprechend, unter den Abschreibungen bei den griechischen Staatsanleihen besonders leiden. Schon letztes Jahr konnte das Land diesen Schritt nur vermeiden, weil Russland als Kreditgeber einsprang. Ebenso wie Griechenland mangelt es Zypern an eigenständiger Industrie mit entsprechenden Zahlungsbilanzdefiziten. Jetzt hofft das Land auf bedingungslose Zuschüsse an seine Banken nach dem Vorbild Spaniens, damit es seine Unternehmenssteuern von nur zehn Prozent nicht erhöhen und die Anzahl seiner Beamten nicht senken muss.
Ironie der Geschichte: Kommunist Christofias muss in den kommenden sechs Monaten für den Kapitalismus einige Kartoffeln aus dem Feuer holen. Wichtigstes Dossier ist der Abschluss der Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen 2014 – 2020. Das Europäische Parlament will unbedingt eine moderate Erhöhung durchsetzen und die Fehlallokationen vermindern. Der Rat fürchtet höhere Ausgaben für die EU wie der Teufel das Weihwasser, schleppt den mehr als atavistischen Britenrabatt als ungelöstes und vielleicht unlösbares Problem mit sich herum und wird wohl kaum die Kraft aufbringen, das Zustandekommen des Rahmenhaushaltes der EU für sieben Jahre grundlegend, zum Beispiel durch eigene europäische Steuereinnahmen, zu verändern. Diese strebt die Kommission gemeinsam mit dem Parlament an. Die Kommission will auch die Möglichkeit bekommen, den EU-Haushalt stärker als bisher auf die Bekämpfung der Krise ausrichten zu können. Das impliziert eine Reduktion der Agrarausgaben. Man darf gespannt sein, wie sich François Hollande gegen das Schlachten dieser heiligen französischen Kuh zur Wehr setzen wird. Bisher war noch jeder französische Präsident in diesem Kampf erfolgreich. Hollande wird kaum als derjenige in die Geschichte eingehen wollen, der die französische Landwirtschaft Europa geopfert hat.
Der Europäische Rat muss den Haushaltsrahmen bis zum Jahresende beschließen, da circa 70 Folgegesetze an den Beschlüssen hängen. Deren Verabschiedung braucht ihre Zeit. Die Not der EU wird der größte Verbündete Zyperns sein. Als Levantiner sind die Zyprioten seit jeher mit allen Wassern der Diplomatie gewaschen. Eigenes Geld können sie zur Kompromissfindung nicht einsetzen, ihnen bleibt nur die Ausarbeitung intelligenter Kompromissvorschläge. Der Showdown für diese Verhandlungen steht aber erst für das Jahresende an. Ein gelungenes Budget, das fristgerecht beschlossen wird, wäre schon für sich allein der Nachweis einer gelungenen Präsidentschaft.
Als gäbe es nicht schon genug Schwierigkeiten, hat die Türkei angekündigt, jeden Kontakt zu europäischen Gremien für sechs Monate einzustellen, deren Vorsitz Zypern ausübt. Der im Rest der Welt fast vergessene Zypernkonflikt beeinträchtigt nach wie vor die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU. Man muss sich allerdings inzwischen fragen, ob die Blockade mehrerer Kapitel in den Beitrittsverhandlungen durch Zypern der Türkei inzwischen nicht sogar recht ist. So kann sie sich hinter dem Zypernkonflikt verstecken und der Frage ausweichen, ob sie überhaupt noch der EU beitreten will. Ähnliches gilt für die EU. Dennoch könnte sich die Notwendigkeit des Gesprächs dramatisch entwickeln. Der Grund liegt im Syrienkonflikt. Die Türkei hat sich gerade von der Nato bestätigen lassen, dass ihr im Falle eines erneuten bewaffneten Konflikts alle Optionen offen stehen. Erdogan könnte die EU und ihre geschäftsführende Präsidentschaft bei einem offenen Kriegsausbruch gegen Assads Regime kaum ignorieren. Zypern könnte über Nacht eine Rolle zuwachsen, die auch neuen Raum für Lösungen des Zypernkonflikts entstehen lassen könnte. Die finanzielle Abhängigkeit und enge Partnerschaft mit Russland dürfte sich im Kriegsfall allerdings als schwere Hypothek für Zypern erweisen. Fast bietet sich dem politischen Betrachter eine Gemengelage, die an den Kalten Krieg erinnert.
Die wirklich wichtige Frage, die Lösung der Eurokrise, wird außerhalb der zyprischen Kompetenzen im Europäischen Rat entschieden. Hier hat sich immer mehr ein Direktorium aus Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien herausgemendelt. Großbritannien ist außen vor. Nicht nur, weil die Briten der Fiskalunion nicht angehören wollen. Auf dem G20-Gipfel hatte DPremier David Cameron so getan, als ginge ihn die Eurokrise nur als Leidtragender etwas an. Gemeinsam mit den USA zeigte er mit dem Finger auf die Eurozone. Das wird ihnen innerhalb der EU so leicht keiner vergessen. Nur Tony Blair schwadroniert noch von einem möglichen Beitritt zur Eurozone – nachdem Deutschland alle Schulden garantiert hat.
Zypern wird versuchen, seine Präsidentschaft so lautlos wie möglich durch ein stürmisches Meer zu steuern. Es würde einem Wunder gleichkommen, wenn es ihm gelingen würde.