Der Erwartungsdruck auf die politischen Spitzen von Eurozone und Europäischer Union beim Krisengipfel dieses Wochenende in Brüssel, endlich eine auf die Dauer wirksame Lösung für die europäische Schuldenkrise zu finden, ist enorm. Deshalb winkte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel schon im Vorfeld ab und meinte, es gebe nicht den einen großen Wurf oder den Paukenschlag. Dabei wäre ein solcher Befreiungsschlag dringend notwendig. Denn nachdem die Bonität Spaniens diese Woche heruntergestuft wurde, droht Frankreich nun Ähnliches. Weil Frankreich neben Deutschland, Österreich, Finnland, den Niederlanden und Luxemburg eines von sechs Ländern ist, das überhaupt noch über die Bestnote AAA verfügt und damit zu den Hauptstützen des European Financial Stability Facility (EFSF) gehört, wird es immer schwieriger, dauerhafte Lösungen zu finden.
Dabei war die Tagesordnung vor diesen Nachrichten eigentlich schon lang genug. Der Gipfel soll entscheiden, ob und wie die Schlagkraft des Euro-Rettungsschirm EFSF erweitert werden kann. Frankreich will, dass der EFSF eine Banklizenz erhält, um sich bei der Zentralbank refinanzieren zu können. Deutschland ist strikt dagegen, propagiert, der EFSF solle zum Ausfallversicherer für die ersten 20 oder 30 Prozent auf neu ausgegeben Anleihen klammer Staaten werden; damit könnten die 300 Milliarden, die noch im EFSF zur Verfügung stehen auf das Fünffache gestreckt werden – wenn sich Anleihekäufer finden ließen. Uneinigkeit gab es im Vorfeld auch noch darüber, wie die erweiterten Mittel eingesetzt werden sollen. Sollen beim EFSF nur Staaten Gelder beantragen können oder die Banken direkt?
Denn der Vorsitzende der Eurogruppe Jean-Claude Juncker, wie auch der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble haben in den vergangen Wochen mehr oder weniger deutlich durchblicken lassen, dass es mit einem Schuldenschnitt von 21 Prozent, wie er beim Sondergipfel im Juli beschlossen worden war, und an dem sich der Privatsektor, sprich die Banken, freiwillig beteiligen sollen, nicht getan ist. Bis zu 50 Prozent halten Experten für durchaus realistisch. Weil er manches europäisches Kreditinstitut mit hohen Engagements in Griechenland ins Wanken bringen könnte, wenn es davon 50 Prozent abschreiben müsste, arbeitet die Europäische Bankenaufsicht EBA an neuen Stresstests, um zu ermitteln, wie viel Kapital den Banken fehlen würde, um die Verluste zu verkraften. Der internationale Währungsfonds hatte schon vor Wochen gemeint, das europäische Bankensystem müsse bis zu 200 Milliarden Euro frisches Kapital aufnehmen.
Dabei ist es schon ein wenig pikant, wenn nun ausgerechnet die EBA, die sich mit ihren sommerlichen Stresstests 2010 und 2011 herrlich blamierte – die mittlerweile zerschlagene Dexia-Gruppe hatte beide Tests bestanden – in ihrem Gruselszenario noch verschärfte Kernkapitalquoten verlangt. In den vergangenen Tests waren eventuelle Abschreibungen auf Staatsanleihen angeschlagener Euroländer gar nicht Teil des Krisenszenarios, das die Banken bestehen mussten. Kritik, die Tests seien deswegen nicht realistisch, hatten EBA und geldpolitische Verantwortliche der Eurozone zurückgewiesen. Nun sollen die Banken nicht nur ihre Anleiheportfolios auf Marktpreis abwerten, was nicht nur Wertberichtigungen von 50 Prozent auf Griechenland-Anleihen nach sich ziehen würde, sondern eventuell Abschläge von 30 bis 35 Prozent auf portugiesischen und zypriotischen Anleihen, zehn Prozent auf irischen und spanischen Anleihen und um die 15 Prozent auf italienischen Staatspapieren. Nach diesen Wertberichtigungen soll dann – so ist es im Gespräch – eine Kernkapitalquote von neun Prozent erreicht werden.
„Das ist sehr viel“, sagt Claude Simon, zuständiger Direktor für die Bankenaufsicht bei der CSSF. Beim letzten Stresstest waren fünf Prozent Kernkapitalquote gefordert. Die CSSF hat bereits Berechnungen durchgeführt. Sieben bis acht Prozent Kernkapitalquote wären für das Luxemburger Bankensystem ziemlich unproblematisch, sagt Simon. Bei neun Prozent könnte es vereinzelt zu Problemen kommen, insgesamt sehe es aber sogar dann noch ziemlich gut aus. Das liege auch daran, dass das Luxemburger Bankensystem jetzt schon qualitativ gut dastehe, also das von den Regulatoren berücksichtigte Kapital aus gezeichnetem Firmenkapital, zurückgestellten Gewinnen und Reserven besteht.
Dass nun so hohe Kapitalquoten in der Diskussion sind, legt trotz aller Fehler der Finanzbranche in den vergangenen Jahren den Verdacht nahe, die Politik wolle ein wenig von der eigenen Verantwortung in der Schuldenkrise ablenken. Denn laut den nach der Finanzkrise 2008 erdachten verschärften Kapital- und Liquiditätsregeln Basel III, sollen die Kapitalanforderungen in den kommenden sieben Jahren auf 4,5 Prozent plus ein Puffer von 2,5 Prozent steigen. Für die systemisch relevanten Großbanken könnte nach Wunsch der G20-Länder noch ein Puffer von 2,5 Prozent hinzukommen. Doch sollten diese Anforderungen wegen der Schuldenkrise plötzlich vorgezogen werden, könnte das sogar Banken Probleme bereiten, die sich eigentlich schon auf Basel III eingestellt haben.
Was es bedeutet, wenn die Spielregeln kurzfristig verändert werden, lässt sich am Beispiel von BNP Paribas zeigen, an welcher der Luxemburger Staat seit der Fortis-Rettung 2008 mit einem Prozent beteiligt ist, und die Mehrheitsaktionär der BGL BNP Paribas ist. Die französische Großbank verzeichnete Ende des ersten Semesters 2011 eine Kapitalrate von 9,6 Prozent. In den vergangenen zwei Jahren, teilte die Bank mit, habe sie ihre Kapitalbasis bereits verdoppelt, indem sie jedes Jahr zwei Drittel der Gewinne zurückhielt. Im EBA-Stresstestszenario von vergangenem Sommer überstand BNP die simulierte Rezession mit 7,9 Prozent Kernkapitalquote. Wie soll die Bank dann die Neun-Prozent-Hürde schaffen, wenn sie Abschreibungen und Wertberichtigungen auf ihrem Anleiheportfolio vornehmen muss? BNP ist mit vier Milliarden Euro in Griechenland engagiert und hat das Portfolio nach dem Rettungsplan vom Juli bereits um 516 Millionen Euro abgewertet. Müsste das Mutterhaus der BGL nach diesem Wochenende auf dem gleichen Anleihepaket nicht 21, sondern 50 Prozent abschreiben, wären das 1,2 Milliarden Euro – gegenüber zwei Milliarden, die der Luxemburger Staat 2008 investierte, um die Luxemburger Filiale zu retten. Auch auf den 21 Milliarden Euro italienischen Staatspapieren im Portfolio der BNP drohen Wertberichtigungen.
Die Dexia „Bad Bank“, für die der Luxemburger Staat in Höhe von drei Milliarden Euro bürgt, hält 3,8 Milliarden Euro griechische Papiere und hat schon Wertkorrekturen von 338 Millionen Euro vorgenommen. Sie müsste bei einem Schuldenschnitt von 50 Prozent auf den Papieren mit den kurzen Laufzeiten deren Wert um weitere 466 Millionen Euro korrigieren. Beträge, welche die Struktur durch Einkünfte auf dem restlichen Portfolio wettmachen oder aber die von Frankreich, Belgien und Luxemburg versprochenen Bürgschaften in Anspruch nehmen muss.
Die 15 Luxemburger Geldhäuser mit griechischen Anleihen auf den Büchern, berichtet Claude Simon, hätten sich nach dem Beschluss des Krisengipfels im Juli, nachdem die Banken „freiwillig“ 21 Prozent auf den Anleihen abschreiben sollten, die bis 2014 auslaufen, und dafür im Gegenzug unverzinste AAA-Papier mit einer Laufzeit von 30 Jahren erhalten sollen, alle bereit erklärt mitzumachen. Bei den meisten fiel der Entschluss in den ausländischen Zentralen, aber auch die Banque et Caisse d’Épargne de l’État (BCEE) und Raiffeisen machen mit und müssen nach dem Wochenendgipfel wahrscheinlich nachlegen.
So hat die Raiffeisen auf ihren zehn Millionen Griechenland-Anleihen bereits Wertkorrekturen von 30 Prozent vorgenommen und wird bis Jahresende noch einmal Korrekturen vornehmen, sagt Jean-Louis Barbier, Direktionsmitglied der Banque Raiffeisen. Die BGL hielt zum 30. Juni in Anwendung der Beschlüsse nach einem Abschlag von 33 Millionen Euro ungesicherte griechische Staatspapiere über 118,5 Millionen Euro. Die BCEE hat zum 30. Juni den Wert ihres Griechenlandportfolios um 27,3 Millionen Euro nach unten korrigiert und hielt ungedeckte Titel über 85 Millionen Euro. Dexia-Bil nahm zum Semesterschluss auf den 122 Millionen Euro Griechenlandpapieren in ihren Büchern keine Wertkorrekturen vor, weil deren Laufzeit über zehn Jahren liegt und demnach nicht Teil des im Juli beschlossenen Hilfsprogramms sind.
Dabei sollte man nicht voreilig den Schluss ziehen, Banken. die nun Wertkorrekturen vornehmen müssen, hätten sich mit ihren Anlagen in Staatspapiere verzockt, wie Spitzenpolitiker das mit ihren Solidaritätsbekundungen zu den weltweiten Anti-Bank-Protesten suggerieren. Nach den aktuellen Buchhaltungsregeln gelten Staatspapiere immer noch als absolut sicher. Wer in Staatsanleihen investiert, muss dafür im Gegenzug überhaupt keine Kapitalrücklagen bilden. Und, darauf macht Claude Simon von der CSSF aufmerksam, würden die neuen Liquiditätsregeln unter Basel III jetzt schon gelten, wäre das Ausmaß der Krise wahrscheinlich noch größer, weil die Banken größere Anleiheportfolios halten würden. Basel III nämlich hält die Banken dazu an, mehr liquide Mittel bereit zu halten, um Engpässe wie 2008 besser überbrücken zu können. Zu besagten liquiden Mitteln gehören neben Bargeld auch die bargeld-ähnlichen Mittel, also Staatsanleihen, die normalerweise schnell verkauft und in Bargeld umgewandelt werden können.
So wird die Schuldenkrise allmählich zum Liquiditätsproblem. Und das nicht nur, weil sich die Banken wieder gegenseitig das Vertrauen entziehen, untereinander kein Geld mehr verleihen, weil sie befürchten, die Vertragspartner könnten wegen der Abschreibungen auf ihren Anleiheportfolios säumig werden. Immer mehr stellt sich für die Banken auch die Frage, wie sie ihr Geld und das der Kunden überhaupt noch anlegen sollen, wenn sie es nicht ins niedrig verzinste Zentralbankdepot legen sollen. „Der Interbankmarkt ist ziemlich trocken“, sagt Jean-Louis Barbier. Wenn die Banken ihr Geld zur Zentralbank tragen, muss die wiederum die Liquiditätsversorgung für ihre Kunden in die Höhe schrauben.
Um zu verhindern, dass europäische Banken mit hohen Griechenland-Risiken ins Taumeln geraten, beraten die Euro-Finanzminister am Wochenende auch über eine groß angelegte Kapitalaufstockung. Woher das Geld allerdings kommen soll, ist ungewiss. Finanzminister Luc Frieden (CSV), auf Mission im fernen Asien, meint, zuerst müsse man versuchen, private Anleger zu gewinnen, dann seien die Staaten gefordert, und danach erst solle der europäische Rettungsschirm einspringen. Weil allerdings nicht jeder europäischer Finanzminister die Handynummer eines Öl- oder Gas-Scheichs unter den Favoriten abgespeichert hat, fällt erstere Option wohl aus. Auch wenn die Luxemburger Banken nach den Berechnungen der CSSF kein neues Kapital brauchen, ist es kein Geheimnis, dass Frankreich versuchen wird, seinen Großbanken zwecks Kapitalerneuerung direkten Zugang zum EFSF zu verschaffen – die Frage, nach der Kapitalstruktur des Mutterhauses der BGL, BNP Paribas, darf man damit getrost stellen.
Wenn den Banken kurzfristig höhere Kapitalquoten abgefordert werden, birgt das ohnehin das Risiko, in der EU, wie in Luxemburg, dass die Banken, ihre Bilanzen herunterfahren, die Risiken reduzieren, also weniger Kredite an Wirtschaft und Haushalte vergeben. Und was es für die von der Bankenindustrie abhängige Luxemburger Volkswirtschaft bedeutet, vor allem für die Staatseinnahmen, wenn die Banken hohe Provisionen für eventuelle Verluste anlegen, konnte man 2008 bereits beobachten. Auf einem Ergebnis von 5,8 Milliarden Euro legten die Banken Provisionen von über 4,9 Milliarden Euro an. Das Vorsteuerergebnis sank von 5,7 Milliarden Euro 2007 auf 877 Millionen 2008. Auch wenn in der Folge viele Provisionen aufgelöst werden konnten, weil sich die Verluste nicht in dem befürchteten Maß einstellten; für Stabilität und Vorhersehbarkeit bei den öffentlichen Finanzen sorgt das allemal nicht.
Engagement in Millionen Euro
BCEE:Griechenland: 85,0Irland: -Italien: 2 389,0Portugal: 179,0Spanien: 172,0BGL:Griechenland: 118,5Irland: -Italien: 761,7Portugal: 492,8Spanien: 529,2Dexia Bil:Griechenland: 122,0Irland: -Italien: 297,0Portugal: 118,0Spanien: -Raiffeisen: Griechenland: 10,0 Irland: 10,0Italien: 54,0Portugal: 10,0Spanien: 25,0