Emmanuel Krivine versteht es, die Facetten des Orchestre Philharmonique du Luxembourg nicht nur im Konzert, sondern auch bei Live-Mitschnitten und Studioaufnahmen offenzulegen und das Kollektiv als vielseitigen Klangkörper zu präsentieren. Eine solche Gelegenheit hat er auch vor anderthalb Jahren genutzt, als er Mussorgskis Bilder einer Ausstellung und Rimski-Korsakows Schéhérazade in der Philharmonie für das Label Zig Zag Territoires/Outhere aufnahm, mit dem er bereits ein Ravel-Album produziert hatte. Die CD ist eben erschienen und lässt an Farbenpracht und Klangbalance keine Wünsche offen. Mussorgski und Rimski-Korsakow gehören zu jener Gruppe der Fünf, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das nationale und kulturelle Bewusstsein in Russland aufblühen ließen. Es war die Zeit der Dichter und Komponisten, die sich in stetem Zwiespalt zwischen der Öffnung nach Westeuropa und russischem Nationalismus befanden. Neben Borodin und Kjui waren es auch Mussorgski und Rimski-Korsakow, die sich um den Komponisten Mili Alexejewitsch Balakirew versammelten und die russische Kunstmusik durch Hinzunahme von Folklore-Elementen zu erneuern versuchten.
Mussorgskis Pictures at an Exhibition ist das vielleicht bekannteste Musikwerk, das in dieser Zeit entstand. Es gilt als Innbegriff russischer Programmatik. 1874 als reiner Klavierzyklus konzipiert, beschreibt es Aquarelle, Zeichnungen und Skizzen von Mussorgskis Malerfreund Victor Hartmann, einem Seelenverwandten, der sich wie Mussorgski in seiner Kunst auf die Abgründe der menschlichen Psyche und die Not des russischen Volkes fokussierte. Es war Maurice Ravel, der den „Bildern“ 1922 ihre bis heute meist gespielte Orchesterfassung gab, jene Version, die auch Krivine für die Einspielung mit dem OPL ausgewählt hat.
Das Werk ist eine Bewährungsprobe für jedes philharmonische Orchester. Es fordert Klangpracht und Transparenz, impressionistisch ausgelegte Farbenspiele und eine schroffe, volksnahe Rhythmik. Und es braucht lange, in der Literatur für Blech, Holz und Schlagzeug ein an Virtuosität und technischen Anforderungen vergleichbares Werk zu finden. Krivine ist dieser Balanceakt mit Brio gelungen. Hörner, Trompeten, Posaunen, Schlagzeug sind in ihrem Element, sowie auch, in Szenen wie dem quicklebendigen Ballett der unausgeschlüpften Küken, die Holzbläser. Die schlichten Choräle und Weisen dirigiert Krivine ohne erdrückende Opulenz, setzt auf geschmeidige Streicher, auf Flexibilität und Tempo.
Auch Rimski-Korsakows musikalische Märchenerzählung Schéhérazade ist ein Bravourstück. An vier Erzählungen aus 1001 Nacht inspiriert, etablierte es sich schnell als populäres Werk, so dass der große Impressario Serge Diaghilew das 1888 entstandene Werk schon 1910, in der zweiten Saison der weltberühmten Ballets Russes, in Paris choreografieren ließ und auf die Bühne brachte. Auch in dieser sinfonischen Suite gelingt dem OPL ein gekonnter Grenzgang zwischen dem Einsatz kraftvollen Blechs und der Sensibilität der Violine, die in den Soli von Philippe Koch die Reize der Schéhérazade beschreibt. Eine hochkarätige Einspielung eines OPL in Bestform. Marc Fiedler