Nach Amok, seinem preisgekrönten, unter dem Titel Baby(a)lone von Donato Rotunno verfilmten Roman über zwei vernachlässigte Jugendliche, die sich ineinander verlieben und dabei ein beachtliches Gewaltpotential freisetzen, kehrt Tullio Forgiarini mit einer gehörigen Portion erzählerischem Furor zum Jugendbuch zurück.
In Lizard Queen erzählt der Autor erneut eine Geschichte, die sich vor dem Hintergrund einer nahezu chancenlosen Jugend entfaltet: Die Protagonistin mit dem phantasievollen Namen Anemone Beatriz Biblisch hat im Alter von zwölf Jahren ihren Vater verloren. Sie hat gern bei ihm gewohnt, seit die Eltern getrennt waren, auch wenn John mit seinem Faible für Hustensaft und seinem Trübsinn alles andere als ein Vorzeigevater war. Nach etlichen Jahren bei der Mutter, mit der sie nichts anfangen kann, und deren „Riesenarschloch“ von einem Freund, der sie missbraucht, lebt Mona im Heim. Beim obligaten Wochenendbesuch eskaliert der Streit und die mittlerweile siebzehnjährige Mona entscheidet sich für eine drastische Maßnahme – soweit der realistische Teil des Buches. Doch nun wird es metaphysisch: Als sie die Augen aufschlägt, wundert sich Mona zunächst, dass sie ausgestreckt in einer Grube liegt, ein seltsames weißes Kleid trägt und weinende Freunde und Verwandte um sie herumstehen. Denn das ist die Prämisse der Erzählung: „[...] tot war ich. Gestorben, vor drei Wochen. Falls du damit nicht klar kommst, blätterst du am besten gar nicht um.“ Mona begreift, dass sie zum Geist geworden ist und ihrer eigenen Beerdigung beiwohnt. Bis zur Rückkehr ins geerdetere Dasein einer Tagebuchschreiberin vergeht der Rest des Romans. Dazwischen schließt sie sich einem grobschlächtigen Zombie und einem attraktiven Halbengel an, der sich als „Driver“ vorstellt und sie – in seiner Funktion als Fährmann – an ihren Bestimmungsort im Jenseits bringen soll. Immer wieder taucht der Teufel (er heißt Arnold) auf, um Mona in die Hölle zu bringen und immer wieder steht ihr der „Driver“ rettend bei. Man braucht kein großer Faust-Leser zu sein, um sich zu denken, was Mona am Ende ihrer gescheiterten Höllenfahrt zurück ins Reich der Lebenden befördern wird.
Als würde die Mischung aus Jenseits-Lovestory, Horrorgeschichte, Sozialdrama und Entwicklungsroman nicht schon einiges an literarischen Kategorien transzendieren, versieht Forgiarini die Handlung mit einem novellenartigen Überbau, in dem die gealterte Mona Biblisch ihrer ersten Liebe, einem Schriftsteller namens Tullio Forgiarini, ihr Tagebuch überreicht. Dieser Rahmen dient letztlich dazu, eine Kategorisierung des Romans als rein phantastische Literatur zu unterlaufen. „Das, was ich schreibe“, betont Mona Biblisch, „ist – und glaub mir, es tut mir wirklich leid – nichts als die Wahrheit.“ Diesem Anspruch gemäß ließe sich erwarten, dass die Jenseitserfahrung, von der Mona im Verlauf schon weiß, dass sie von ihrem eigenen Vorstellungsvermögen produziert wird, zum Schluss in eine objektivere Darstellung überführt würde: etwa durch ein Aufwachen aus dem Koma. Indessen bricht der Roman mit der Entscheidung zu Monas Rückkehr ins Leben ab. Der Herausgeber, die Romanfigur Tullio Forgiarini, deutet an, dass noch andere Tagebücher folgen könnten, in denen die Leerstellen gefüllt würden.
Vermutlich werden vor allem jugendliche Leser, die sich gleichermaßen für Vampirgeschichten und Geschichten über Jugendprobleme interessieren, ihren Gefallen an Lizard Queen finden. Über Anspielungen wie etwa Fingerzeigen auf Dante („...ANZA steht auf dem Schild, das über der Pforte hängt“), können auch Akademiker die etwas dürftige Liebelei zwischen Mona und dem Halbengel und den nicht besonders durchdachten Umgang mit der Leib-Seele-Problematik verdrängen – kleinere Schwächen, die wahrscheinlich vor allem Leser auffallen, die gar nicht zum Zielpublikum gehören. Eine größere Schwäche des Romans ist seine Sprache. Dass er Lizard Queen auf Deutsch geschrieben hat, stellt ein Novum für den Romanschriftsteller Tullio Forgiarini dar. Die gleichnamige Romanfigur behauptet, auf die Sprache des Tagebuchs (ein „grauenhafte[s] Deutsch“) festgelegt zu sein. „Grauenhaft“ ist das Deutsch der Mona Biblisch und der Romanfigur Forgiarini zwar nicht, aber die häufigen Kommafehler sowie die grammatischen und idiomatischen Lapsus als Stilmittel zu verklären, scheint als Entschuldigung für derartige Holprigkeiten doch etwas dürftig.
Darüber hinaus bemüht sich Forgiarini (der Autor) in den Dialogen um zu große Unmittelbarkeit. In ihrem Bemühen, ihr Gegenüber zu verstehen, veranstalten die Figuren ein zum Teil grauenhaftes Gestotter, das beim Lesen mehr hinderlich als anschaulich wirkt (Kostprobe: „Da kann ... das darf ich ... Warum hätte ich so was ... Törichtes tun sollen? – Na ja, aus ... aus Mitleid, zum Beispiel.“). Sollten tatsächlich noch weitere Tagebücher der Mona Biblisch zum Vorschein kommen, wäre der Romanfigur Tullio Forgiarini mehr Mut beim Kürzen und Straffen zu wünschen.