d’Lëtzebuerger Land veröffentlicht in unregelmäßiger Folge Quellen aus dem Ersten Weltkrieg und hat Forscher eingeladen, sie kritisch zu kommentieren. Diese Woche schreibt die Luxemburgistin Daniela Lieb über ein anti-monarchistisches Gedicht von Auguste Liesch.
Die literarische Darstellung der Großherzogin Marie Adelheid erscheint als ein in chronologischer und thematischer Hinsicht weitgehend symmetrisches Triptychon. Demnach transportieren die seit ihrem Herrschaftsantritt 1912 bis zum Krisenjahr 1918 – also auch während des Krieges entstandenen – Texte ein durchweg affirmatives Bild der jungen Monarchin. Als dann revolutionäre Umbrüche das Ende mancher monarchischer Systeme herbeiführen, wird Luxemburg ebenfalls von antidynastischen Strömungen erfasst. Auch wenn die Monarchie schließlich beibehalten und sogar plebiszitär bestätigt wird, erheben sich an der Jahreswende 1918/19 vornehmlich aus den Reihen liberal- und linksgerichteter Autoren kritische Stimmen gegen den Herrschaftshabitus Marie Adelheids: Vorgehalten werden ihr eine germanophile Grundhaltung, mangelndes Identifikationsvermögen mit dem Luxemburger Volk und unbotmäßige Einflussnahme auf das politische Geschehen. Von den Siegermächten für nicht länger tragbar erachtet und im Inneren isoliert, muss sie am 9. Januar 1919 abdanken und den Rest ihres Lebens im ausländischen Exil verbringen. Der Thronverzicht und besonders ihr frühzeitiger Tod 1924 bestimmen maßgeblich die literarische Produktion der Folgezeit, die diese Momente – häufig mit religiösem Tenor – als notwendiges Opfer zum Wohle des Landes beziehungsweise konsequenten Abschluss eines exemplarisch christlichen Lebens- und Leidenswegs stilisiert.
Inmitten dieses erstaunlich homogenen Textkorpus bleibt ein vermutlich bereits auf das Jahr 1916 zurückgehendes Gedicht von Auguste Liesch ein eigenwilliges Unikum. Dabei fristet der Text keineswegs ein Schubladendasein im literarischen Kuriositätenladen, sondern ist vielmehr fest im kommunikativen Bewusstsein der Zeit verankert. Dies legen nicht nur verschiedene im Umlauf befindliche Abschriften nahe, sondern auch der in einem der Manuskripte enthaltene Vermerk „Lied von Aug. Liesch gegen die Großherzogin Adelheid (im Krieg viel gesungen)“.
Das unbetitelte, insgesamt sechs Strophen umfassende Reimgedicht wendet sich mit der so genannten „Loutsch-Affäre“ einem markanten Einschnitt der Luxemburger Innenpolitik während des Ersten Weltkriegs zu. Bereits im Sommer 1912 werden erste Unstimmigkeiten und Spannungen zwischen Fürstin und liberal ausgerichteten Politakteuren sichtbar: Marie Adelheid zögert, ein von der Abgeordnetenkammer mehrheitlich angenommenes Gesetz gegenzuzeichnen, das den geistlichen Einfluss im Erziehungsbereich einschränken soll (das so genannte „Schulgesetz“). Spätere Entscheidungen lassen wiederholt die deutliche Präferenz der Großherzogin für die klerikale Rechte erkennen: So verweigert sie im Oktober 1915 die Bestätigung des Pädagogen Edouard Oster als Leiter der Lehrernormalschule in der Überzeugung, er komme seinen religiösen Pflichten nicht genügend nach; die brüskierte Regierung reicht umgehend ihre Demission ein.
Im Winter 1915/16, als schier unlösbare Versorgungsschwierigkeiten die Luxemburger Gesellschaft in ungekanntem Maße polarisieren, erweist sich Marie Adelheids erneuter Eingriff ins politische Geschäft als besonders schwerwiegend: Dem neugebildeten konservativen Kabinett um Hubert Loutsch steht eine liberale Kammermehrheit gegenüber; daraufhin verfügt Marie Adelheid kurzerhand die Parlamentsauflösung. Auch wenn dieser Schritt durchaus verfassungskonform ist, wird er angesichts seiner Singularität – die letzte Kammerauflösung liegt 60 Jahre zurück – gleichsam als Staatsstreich empfunden. Ebendieses weitverbreite Wahrnehmungsmuster stellt Liesch ins Zentrum seines Gedichts. Der prominente Vertreter der liberalen Linken imaginiert darin ein Gespräch der Großherzogin mit ihrer Vertrauten, der Gräfin Anna von Montgelas, in dem die neue Regierung als gefügiges Werkzeug des monarchischen Willens bloßgestellt wird. Manipulation, Zynismus und ein pejorativer Duktus sind dabei konstitutive Bestandteile des politischen Machtgefüges:
„Freilich nicht von erster GüteIst das Ministerium;Gräfin, reichen Sie die DüteMit den Cognacbonbons um.
Mir scheint keiner von den Vieren1Geistig ganz normal zu sein.‹›Doch, Herr Soisson hat Manieren‹,Fällt die Gräfin lachend ein. […]
Dulden müssen wie sie heute;Wenn der Staatsstreich uns gelang,Finden sich schon bessre Leute,Die man frequentieren kann.“
Der aufmerksame Zeitbeobachter und unbestechliche Charakterzeichner Liesch bringt seine unbequeme Sicht auf die politische Aktualität, auch auf diejenige des Ersten Weltkriegs, mehrfach literarisch zum Ausdruck, etwa im satirischen Gedicht Fliegerangriff auf Drier (1917). Was dem hier vorgestellten Werk eine zusätzlich brisante Note verleiht, ist die zweijährige Tätigkeit des Autors als Justizminister – zwischen Ende 1918 und Anfang 1919 – im Regierungskabinett Marie Adelheids.