Aus derzeitiger Sicht gibt es zu Beginn des neuen Jahres eine entscheidende Frage: Was wird in den nächsten Monaten und Jahren aus dem neuen Präsidenten der USA, der als Oberkommandierender der letzten Supermacht immer auch ein wenig ungefragt Präsident der restlichen Welt ist. 14 Tage vor seiner Vereidigung weiß niemand und vielleicht auch Donald Trump selbst nicht so recht, mit wie viel Gewalt er seine und seinesgleichen ökonomischen Interessen durchsetzen wird. Doch die Berufung von allerlei Haudegen, Lobbyisten und Rechtsradikalen in als Familienunternehmen verstandene Regierungs- und Beraterämter lassen vermuten, dass der Immobilienmogul sich über jeden Konsens hinwegzusetzen plant, was bisher in parlamentarischen Demokratien rund um den Nordatlantik an Rechtsstaatlichkeit, Gewaltentrennung und Korruption akzeptabel scheint.
Das Ausmaß, in dem politische Dystopien derzeit Eingang selbst in die gutbürgerliche, liberale und konservative Presse finden, zeigt, wie beunruhigend diese Aussichten sind. Der katholisch-konservative Leitartikler Ross Douthat etwa schätzte Ende Dezember in der New York Times, dass Donald Trumps Herrschaftsstil von „rücksichtslosem Autoritarismus bis zu völligem Chaos“ reichen kann, seine Politik von Handelskriegen und Terrorismusbekämpfung, „die zuerst schießt, bombt und dront und dann Fragen stellt“, bis zur skrupellosen Umverteilung zugunsten der Reichen und „militärischer Eskalation überall“. Der Donald Trumps Partei wohlgesonnene Ross Douthat empfiehlt, von dem nächsten Präsidenten im Zweifelsfall keinen Mittelweg zu erwarten, sondern „auf die Extreme zu wetten“.
In der Washington Post warnte am gleichen Tag der ungarische Autor und Menschenrechtsaktivist Milos Haraszti: „Ich beobachtete den Aufstieg eines populistischen Führers in meinem Land. Deshalb bin ich wirklich besorgt um Amerika.“ Die Erfahrung mit dem ungarischen Premierminster Viktor Orbán lehre ihn, dass „Populisten regieren, indem sie Probleme vertauschen, statt sie zu lösen“. Deshalb riet er: „Lassen Sie sich nicht von der Täuschung einer bevorstehenden Normalisierung ablenken. Schreiben Sie dem Gesetz, der Logik, der Notwendigkeit oder den Debakeln keine korrigierende Fähigkeit zu.“ Denn „Hoffnung kann im Umgang mit Populisten schädlich sein“.
Am wenigsten Hoffnungen macht sich der sehr konservative Historiker Timothy Snyder. Der am europäischen Faschismus der Dreißiger- und Vierzigerjahre geschulte Autor von Bloodlands und Black Earth vermeidet den Begriff „Populist“, den er für einen Euphemismus zu halten scheint. Eine Woche nach der Wahl von Donald Trump schrieb er diskret und kommentarlos auf seiner Facebook-Seite „20 Lehren aus dem 20. Jahrhundert“ als späte Antwort an all die Vorkriegsliberalen und -konservativen, die bereuten, sich zu lange blind für den aufkommenden Faschismus gestellt zu haben.
In seiner kleinen How-to-Liste riet Timothy Snyder, ruhig zu bleiben wenn der Terroranschlag kommt, „den alle Diktatoren immer erwarten oder planen“, und „an ungewohnte Orte mit ungewohnten Leuten“ zu gehen, um „mit neuen Freunden zu marschieren“. Man solle „Blickkontakt und Geplauder“ üben, wenn eine Kultur des Denunziantentums droht, man solle lange Artikel lesen, um sich besser zu informieren, und weniger das Internet benutzen, um der Überwachung zu entgehen. Er empfahl, Rechtsstreitigkeiten beizulegen, weil „Autoritarismus als Erpresser-Staat funktioniert“, Freunde im Ausland zu pflegen, auf die Häufigkeit von Wörtern wie „Terrorismus“, „Extremismus“, „Ausnahme“ und „Dringlichkeit“ zu achten und „Hakenkreuze und andere Hasssymbole“ zu entfernen. Sobald aber bewaffnete Männer „in Uniformen mit Fackeln und Führerbildern herumziehen, ist das Ende nahe“.