Klassiker Thomas Paine war ein umtriebiger Mensch mit einem Händchen für das richtige Timing. Der gebürtige Engländer lebte in Nordamerika, als dort die Revolution ausbrach. Er beteiligte sich an der Ausarbeitung der Unabhängigkeitserklärung von 1776, schlug vor, die neue Nation „United States of America“ zu nennen. Nach diesem Gründungsakt zog es ihn zurück in seine Heimat England, wo er mit seinen aufklärerischen Ideen die Oberschicht verschreckte und alsbald für „vogelfrei“ erklärt wurde. Und rechtzeitig zur französischen Revolution traf er in Frankreich ein, um einen neuen Gesellschaftsvertrag auszuarbeiten. Ihm sollte gleich mehrmals gelingen, woran eine Generation von Luxemburger Politikern scheiterte: das erfolgreiche Ausarbeiten von Verfassungen.
Doch so ertragreich Paines Wirken auch war, eine zentrale Idee seines Denkens sollte wenig Gehör finden: das bedingungslose Grundeinkommen. Paine war als Aufklärer davon überzeugt, dass alle Menschen von Natur aus gleich und frei sind. Jeder hatte laut Paine das gleiche natürliche Anrecht auf Grundbesitz. Weil aber nicht jedem mit der Geburt ein Stück Land zur Verfügung gestellt werden könne, müsse ein Grundeinkommen für diesen Verlust entschädigen – und zwar jeden, „ob arm oder reich“, schrieb er 1797 in seinem Werk Agrarian Justice.
Paines Idee eines Grundeinkommens für jeden – ohne Gegenleistung – setzte sich zwar nicht durch, doch sie geriet nicht in Vergessenheit. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde das Konzept immer wieder aufgegriffen und weiterentwickelt: Von John Stuart Mill über Charles Fourier bis hin zum belgischen Sozialtheoretiker Joseph Charlier, der von einer „Staatsdividende“ sprach. Auch durch das 20. Jahrhundert wurde das bedingungslose Grundeinkommen als Idee von linken, aber auch liberalen Ökonomen, Politikern und Soziologen weitergereicht bis in die Gegenwart. Milton Friedman konnte sich ebenso dafür begeistern wie Martin Luther King. Vereinfacht ausgedrückt, wünschen sich linke Befürworter ein sozialistisches Utopia, in dem die Reichen endlich für alle zahlen sollen, während Rechte und Libertäre auf das Ende von Tarifkonflikten und regulierender Bürokratie hoffen.
Krise als Chance In der derzeitigen Krisenzeit hat das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens Konjunktur wie selten zuvor. In Frankreich wird es in Leitartikeln als Sozialmaßnahme gefordert. Es soll dem Heer der Selbstständigen, Freischaffenden und Geringverdiener durch die erzwungene Dürrephase verhelfen. In Deutschland haben innerhalb kürzester Zeit mehr als eine halbe Million Menschen eine Petition zur Einführung unterzeichnet. In den politischen Feuilletons wird vehement darüber gestritten, sodass selbst die konservative FAZ das Thema nicht umgehen kann. Und in südeuropäischen Staaten wie Spanien denken Politiker aus allen Parteien über ein Grundeinkommen nach.
Und in Luxemburg? Auch hier hat das bedingungslose Grundeinkommen seine Verfechter gefunden. Aber wie bei so vielen Debatten im Großherzogtum beschränkt sich der Kreis derzeit noch auf einige wenige Querdenker. Zu ihnen gehört Alfred Groff. Der Sozialpsychologe im Ruhestand kämpft seit 20 Jahren für die Einführungen eines solche Bürgergelds, wenn auch „nicht militant“, wie er sagt. 2001 hat er zum ersten Mal in einem Beitrag des Wirtschaft- und Sozialrats vom Konzept gehört. Er war sofort begeistert und hat sich seither immer intensiver damit beschäftigt, einen eigenen Verein gegründet, Petitionen gestartet, Diskussionsrunden organsiert, Bücher und Artikel publiziert. Groff sieht in dem bedingungslosen Grundeinkommen, bei dem jeder Bürger ohne Gegenleistung monatlich einen Festbetrag erhält, eine Chance, um die Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen. Es könne die Gesellschaft gerechter gestalten und auch eine entscheidende Wendung in der Klimafrage hervorbringen. „Ich bin der festen Überzeugung, dass es sich durchsetzen wird“, so Groff. Wenn nicht jetzt in der Krise, dann zu einem späteren Zeitpunkt.
Die Piratenpartei ist derzeit die einzige Partei in der Chamber, die offen für ein bedingungsloses Grundeinkommen eintritt. Vor wenigen Wochen hat sie eine Motion im Parlament eingereicht, um die Regierung aufzufordern, einen Testversuch in Luxemburg zu starten. Als Arbeitsminister Dan Kersch (LSAP), ein bekennender Gegner des Grundeinkommens, danach fragte, für welches Modell sich die Partei denn ausspreche, konnte der Piratenabgeordnete Marc Goergen jedoch keine überzeugende Antwort liefern.
Gretchenfrage Genau darin liegt eines der großen Probleme des bedingungslosen Grundeinkommens. Der Begriff vereint hohe Erwartungen und Versprechungen, zerbröselt jedoch oftmals, wenn man näher hinschaut. „Es ist ein Monster von Lochness, ein Hirngespinst, das in den Köpfen der Menschen spukt“, sagt etwa der Ökonom Marc Wagener von der Chambre de commerce. Wagener verfolgt das Thema Grundeinkommen schon länger, will sich an dieser Stelle privat und nicht im Namen der Handelskammer äußern. Der Wirtschaftsexperte hält die Idee theoretisch für reizvoll. Eine Grundsicherung könnte die Armut reduzieren, Menschen von ungewollten Arbeitszwängen befreien und möglicherweise den Unternehmergeist und die Eigeninitiative fördern. „Das Problem ist“, so Wagener, „wir wissen es nicht.“ Bis jetzt gebe es keine Belege für diese Annahme, alle temporären Testversuche wie etwa in Finnland hätten keine befriedigenden Ergebnisse geliefert. Es könnte auch sein, dass es genau umgekehrt kommt, dass Menschen faul werden und sich eben nicht verwirklichen. Wageners Menschenbild beruht eher darauf, dass man Anreize schaffen muss, damit Dinge in Bewegung geraten. Hinzu komme, dass vollkommen unklar sei, wie das Grundeinkommen in der Praxis aussehen sollte. Wenn es als eine Zusatzleistung gedacht ist, ein „Bonbon als Staatsdividende“, die jeder in Luxemburg erhält, dann sei die Begeisterung in weiten Teilen der Bevölkerung groß. Wenn es jedoch darum geht, bestehende Transferleistungen durch ein Grundeinkommen zu ersetzen, wie es etwa Milton Friedman mit seiner Negativsteuer vordachte, dann schwinde die Begeisterung. Für Wagener liegt die Gretchenfrage bei allen Modedellen sowieso in der Finanzierung: Wer soll das bezahlen? Sollten etwa monatlich, die rund 600 000 Bürger Luxemburgs ein Grundeinkommen von 2 000 Euro erhalten, beliefen die Kosten sich auf jährlich 14,4 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das derzeitige Staatsbudget liegt bei rund 20 Milliarden jährlich.
Befürworter wie Groff halten die Kostenfrage für ein ungerechtfertigtes Totschlagargument. „Wer nur sagt, das sei zu teuer, lehnt die Idee grundsätzlich ab“, so Groff. Er führt eine gestaffelte Konsumsteuer an, eine Finanztransaktionssteuer oder auch eine erhöhte Erbschafsteuer, um das Einkommen zu finanzieren. Zudem würden durch den Bürokratieabbau viele staatliche Kosten wegfallen. „Es ist eine Frage des politischen Willens“, so Groff. Die derzeitige Krise würde doch gerade zeigen, was Gesellschaften leisten können, wenn sie wirklich bereit sind umzudenken.
Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen geht dabei einher mit der These vom Ende der Arbeit. Es ist ein Gassenhauer der ökonomischen Theoriegeschichte, wonach Maschinen den Menschen die Arbeit wegnehmen. Damit die Menschen nicht in Existenznöte geraten, soll ein Grundeinkommen die Menschen vor Robotern und Algorithmen absichern. In seiner prominenten Zukunftserzählung Homo Deus spricht etwa der Historiker Yuval Harari davon, dass ungelernte Formen der Arbeit bald wegfallen werden, so dass ein Heer von Arbeitslosen auf uns zukommt. Es sei sinnvoller, dass Menschen sich spezialisieren und etwa den Job des Jogalehrers anstreben. Doch die Geschichte hat bisher stets das Gegenteil gezeigt. Neue Technik hat auch stets neue Formen der Arbeit geschaffen, heute arbeiten so viele Menschen wie nie zuvor. Und in der derzeitigen Krise sind vermeintlich einfache Berufe wie der des Kassierers oder der Pflegekraft gefragter als je zuvor.
Konsens um Sozialstaat Wer sich bei Luxemburgs Parteien umhört, stößt demnach trotz des internationalen Trends auf große Vorbehalte gegenüber einem bedingungslosen Grundeinkommen. Es herrscht vielmehr ein überparteilicher Konsens über den historisch gewachsenen Luxemburger Sozialstaat. Ob DP-Fraktionsvorsitzender Gilles Baum oder Lénk-Abgeordneter Marc Baum, die Luxemburger Politiker erklären, dass sie eher dazu bereit sind, das Sozialnetz weiterzuspinnen, als einen Paradigmenwechsel anzustreben. Marc Baum sagt, dass er sich schwertue mit dem Gießkannenprinzip des Grundeinkommens. „Der Staat soll den sozial Schwachen helfen.“ Zudem würde durch ein Grundeinkommen die gesamte Geschichte der Arbeitskämpfe und Tarifkonflikte mit einem Wusch weggefegt. Das ist auch ein Grund, weshalb die Gewerkschaften das Grundeinkommen ablehnen. Frédéric Krier (OGBL) wittert die Gefahr eines Sozialabbaus durch die Hintertür sowie der Entpolitisierung der Sozialpolitik. Es wäre ein trojanisches Geschenk, bei dem der Saat sich aus der Verantwortung nimmt.