Das Parlament ist für seine nächsten Plenarsitzungen in den Ballsaal des hauptstädtischen Cercle-Gebäudes umgezogen. Dort gehen Abgeordnete und Regierung mit dem schlechten Beispiel voran und setzen sich vor laufenden Kameras in knappen Sicherheitsabständen zusammen. Während die restliche Bevölkerung aufgerufen ist, zu Hause zu bleiben und über Internet zu arbeiten.
Am 21. März übertrugen Mehrheit und Opposition der Regierung bis Ende Juni gesetzgeberische Vollmachten, um die derzeitige Seuche und ihre Folgen zu bekämpfen. Die Plenarsitzung diese Woche, die staatliche Bürgschaften für Bankdarlehen an Unternehmen bewilligt, wäre also leicht durch ein großherzogliches Reglement der Regierung zu ersetzen gewesen. Umso mehr als diese Bürgschaften bloß einen buchhalterischen Vorgang darstellen, für den der Staat einstweilen keinen Euro ausgeben muss.
Trotzdem flüchten die Abgeordneten vor dem Corona-Virus in den Cercle, so wie ihre Ururgroßväter 1848 vor dem Volk nach Ettelbrück. Die Ursachen sind verwandt: Die Absicht ist nicht gesetzgeberisch, sondern politisch. Regierung und Parlament sollen im Ausnahmezustand ein Höchstmaß an politischer Normalität und Kontinuität der Macht inszenieren.
Das politische Programm der Regierung ist das Versprechen, dass die Seuche bald ein böser Traum gewesen sein wird. Daraus sollen wir in den nächsten Wochen erwachen und nach der Aufhebung des Hausarrests glücklich zur Schule, ins Büro und ins Restaurant fahren, als ob nichts gewesen wäre. Dank der aufgestauten Nachfrage, dem frischen Mut der Beschäftigten und der staatlichen Zuschüsse soll auch die wirtschaftliche Rezession rasch verkraftet sein.
Aber für politische Versprechen haftet nur, wer daran glaubt. Niemand kann ausschließen, dass die Seuche nach einer Lockerung der Schutzbestimmungen in einigen Monaten wieder ausbricht oder wieder eingeschleppt wird, das gesellschaftliche Leben und große Teile der Wirtschaft erneut zum Stillstand gebracht werden. Dann könnte die Disziplin, die ständig von den zu Hause Eingesperrten gefordert wird, in Hoffnungslosigkeit oder Wut umschlagen; dann könnten Bürgschaften und Kurzarbeit nicht mehr ausreichen, um den Stillstand von Produktion und Konsumtion zu überbrücken. Der vom Liser organisierte Bericht über Economic effects of Covid-19 in Luxembourg warnt die Regierung vor einem „risque d’effondrement systémique“. Der Hedgefonds Kawa Capital befürchtet soziale Unruhen und rät seinen wohlhabenden Kunden zu Vorbereitungen für „the day the upheaval is upon us“.
Seit der Pest im Jahr 541 lehrt die Geschichte, dass Seuchen oft zu wirtschaftlichen und politischen Krisen führen. Gerade für diesen Fall sitzen Regierung und Abgeordnete im Cercle zusammen. Sie wollen zeigen, dass auch dann die Macht nicht auf der Straße liegen wird, sondern gesellschaftliche Konflikte weiterhin von der Straße ins Parlament verlagert gehören. Und tagte es auf dem Mond.