„Du siehst schön aus.“ Das Kompliment tat gut, das Marianne Junker* bei ihrem letzten Besuch von ihrem Vater bekam. Ihr Vater hat Alzheimer und lebt im Altersheim. Normalerweise redete er nicht viel, aber noch er erkannte seine Tochter, die ihn mehrmals die Woche besuchte.
Das war vor Corona. Seitdem die Regierung zum Schutz vor dem gefährlichen Virus den Besuch von Alten- und Pflegeheime untersagt hat, hat Junker ihren Vater nicht mehr gesehen. Die Nachrichten, die ihre Stiefmutter aus Telefonaten mit dem Bezugspfleger mitbringt, beunruhigen sie: „Er spricht nicht mehr, isst allein im Zimmer. Ich glaube nicht, dass er versteht, was los ist, und warum wir ihn nicht besuchen.“ Auch ihre Stiefmutter sorgt sich mittlerweile. Der Zustand ihres Mannes verschlechtere sich von Tag zu Tag. „Wir sind abhängig von dem, was uns das Personal erzählt“, sagt die Stieftochter.
So wie den beiden geht es gerade vielen Angehörigen, deren Vater oder Mutter, Oma oder Opa, Onkel oder Tante im Alters- oder in einem Pflegeheim leben. Anfangs noch hatte die Regierung die Risikoeinschätzung bei Besuchern den Direktionen überlassen, seit dem 13. März herrscht ein absolutes Besuchsverbot. Seitdem hat niemand, der nicht im Heim arbeitet oder Ware liefert, mehr Zutritt.
Rote Zone Bewohner dürfen sich zwar prinzipiell im Heim frei bewegen, aber seitdem in mehreren Einrichtungen eine steigende Zahl Insassen positiv auf Covid-19 getestet wurde, schrumpft ihr Freiraum. Manche dürfen nur eine Stunde täglich raus. In einigen Häusern wurden ganze Stockwerke abgeschirmt, in anderen Rote Zonen markiert, wieder andere Insassen sind in ihrem Zimmer isoliert. Zutritt hat nur das diensthabende Personal, das in Schutzkleidung, also Handschuhe, Wegwerfkittel, Maske und Brille nach dem Rechten schaut.
„Für Bewohner ist das eine extrem schwierige Situation“, räumt Nathalie Hanck, Kommunikationsbeauftragte von Servior, ein, mit über 1 600 Senioren der größte Heimdienstleister im Land. Der Anblick von maskierten Schwestern und die strengen Distanzregeln verängstigen, zumal das Virus unsichtbar ist. Plötzlich darf man sich nicht mehr anfassen, gemeinsame Mahlzeiten von Gesunden und positiv Getesteten sind untersagt. Hart trifft es Freunde, von denen einer isoliert ist und der andere nicht zu ihm darf. Glück hat, wessen Heim einen größeren Garten zum Spazierengehen bereithält oder wo Musiker ein Ständchen spielen.
Demenzkranke indes verstehen teilweise nicht einmal, was es mit dem Coronavirus auf sich hat. Für die Verständigung mit Alzheimerpatienten sei der Körperkontakt „eine wichtige Brücke“, erzählt Michèle Halsdorf, Direktionsbeauftragte des Pflegeheims Beim Goldknapp und Mitglied der Alzheimer Fondation. Viele verstünden die Abstandsregeln nicht, wohnen und essen in Gruppen. Hohe Covid-19-Infektionsraten unter diesen Patienten seien daher „nicht erstaunlich“.
Während Ärzte und Klinikpersonal im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen, leisten Altenpfleger relativ unbemerkt Außergewöhnliches, um unter verschärften Schutzmaßnahmen die Versorgung der 5 862 HeimbewohnerInnen im Land aufrechtzuerhalten. Etwas über die Hälfte der rund 7 000 Krankenschwestern und Altenpfleger im Land stammt aus der Großregion. Um den Personalbedarf trotzdem decken zu können, wurde die nationale Reserve mobilisiert; seit dem 15. April verstärken 181 Pflegeschüler die Teams. Zehn-Stunden-Schichten sind nichts Ungewöhnliches. Zu den Betrieben, die beim Arbeitsministerium die 60-Stundenwoche beantragt haben, zählen zwölf Altenheime. Gleichwohl freut sich Hanck über „die große Solidarität zwischen den Mitarbeitern und den Bewohnern“.
60-Stundenwoche Pfleger haben über die Jahre Beziehungen zu den Bewohnern aufgebaut und müssen wegen Covid-19 jetzt teilweise in anderen Bereichen einspringen. Es ist der Bruch mit geschätzten Gewohnheiten, der allen zu schaffen macht. Der Tagesablauf ist streng reglementiert: Häuser haben feste Pflegeteams gebildet. Zunächst werden die Gesunden betreut, dann die Infizierten, um die individuelle Ansteckungsgefahr zu verringern. Wer trotzdem Covid-19-Symptome hat, wird sofort getestet. Die meisten Träger haben dazu Verträge mit privaten Labordiensten abgeschlossen. Fällt der Test positiv aus, muss der/die Betreffende für zwei Wochen in Quarantäne. „Zum Glück haben wir derzeit keinen Fall unter unserem Personal“, freut sich Nathalie Hanck von Servior. Insgesamt waren im gesamten Pflegebereich am Mittwoch 97 Angestellte positiv auf Covid-19 getestet.
Die Verbleibenden bemühen sich nach Kräften, den Bewohnern trotz Pandemie Bewegung und Abwechslung zu bieten. Weil externe Hilfsdienste wie Fußpflege, Ergotherapie und Animateure nicht mehr ins Heim dürfen, wurden interne Lösungen gefunden. Messenger-Dienste und Videochats können Besuche von Freunden und Verwandten nicht ersetzen. Aber wer möchte und das kann, dem helfen online anberaumte Kontakte, mit den Lieben in Verbindung zu bleiben. Servior hält eigenen Aussagen zufolge dafür durchschnittlich zwei bis drei Tablets pro Einrichtung bereit. Für andere bleibt klassisch das Telefon und der Postweg.
Die Stimmung unter den Bewohnern ist dennoch vielerorts gedrückt, berichten Angehörige, die mit Heiminsassen telefonieren, und das bestätigte auch Premier Xavier Bettel indirekt auf der Pressekonferenz am Mittwoch. Die täglich veröffentlichten Zahlen aus dem Gesundheitsministerium, widersprüchliche Informationen und kranke Mitbewohner machen mürbe, manche halten den wochenlangen psychischen Druck nicht mehr aus und müssen von Psychologen aufgefangen werden.
Die Profile der Toten unterstreichen die tödliche Gefahr: Ab 60 Jahren steigt das Risiko einer schweren Covid-19-Erkrankung deutlich. Wer immunkrank oder gebrechlich ist, wer Diabetes oder andere Vorerkrankungen hat, ist besonders gefährdet. Von den 67 Personen, die bis 14. April an dem Coronavirus hierzulande verstorben sind, sind 44 in der Klinik gestorben und 22 im Altersheim, also rund ein Drittel. Neun Heimbewohner gelten inzwischen als geheilt. Wie viele bereits Vorerkrankungen hatten, beantwortet das Gesundheitsministerium nicht; dafür seien ausführlichere Tests notwendig. Von 900 HeimbewohnerInnen, die bislang getestet wurden, waren 151 Covid-19 positiv (Stand: 14. April).
Fehlende Daten Die dramatische Entwicklung ist freilich nicht auf Luxemburg beschränkt: Ungefähr jeder zweite Todesfall durch das Coronavirus in den fünf EU-Ländern Belgien, Frankreich, Irland, Italien und Spanien wurde einer Studie der London School of Economics zufolge aus einem Pflegeheim gemeldet. Zwischen 42 und 57 Prozent aller Todesfälle in dortigen Heimen standen laut den Forschern in Verbindung mit dem neuartigen Erreger, wobei die Zählweise und Definitionen von Altenheim nicht immer vergleichbar waren und die Statistiken daher mit Vorsicht zu genießen sind. Als gesichert gilt, dass in allen Ländern die Zahl der über 65-Jährigen unter den Covid-19-Toten überdurchschnittlich hoch war.
In Luxemburg teilt das Gesundheitsministerium Informationen zum Profil der Verstorbenen nur zögerlich mit, dies mit Verweis auf den Schutz der Privatsphäre und um die Alten nicht zu sehr zu beunruhigen. Als RTL-Moderatorin Mariette Zenners am 31. März wissen wollte, ob zehn der über 65-jährigen Covid-19-Toten „wirklich in einem Altersheim“ starben, antwortete Familienministerin Corinne Cahen „daheim, in Spitälern oder in Altenheimen“. Danach hagelte es in den Kommentarspalten Kritik, die Ministerin kenne die Realität in den Heimen nicht. Noch bevor Medien davon berichteten und das Gesundheitsministerium es bestätigte, zirkulierten in den sozialen Netzwerken bereits Namen von Altersheimen, in denen besonders viele Covid-19-Positive gemeldet waren. Darunter die Einrichtung Parcs du 3e Age in Bertringen, Saint-Joseph in Petingen, Haaptmann’s Schlass in Berbourg, Servior am Park in Bofferdingen und der Apartmentkomplex Op der Waassertrap in Belval. Covid-19-Todesfälle werden offiziell nicht nach Regionen aufgeschlüsselt, angeblich um Betroffene vor Neugierde und Stigmatisierung zu schützen. In Deutschland brechen die Gesundheitsämter der Bundesländer sie bis auf Landkreisebene herunter.
Schutzlücken Auch Angaben zu Ansteckungsverlauf sowie zu Infektionsherden fehlen. Von der Copas, Dachverband der Pflegedienstleister, heißt es auf eine Anfrage des Land lediglich: Ursachen und Hintergründe der Infektionen müssten Journalisten bei den Strukturen erfragen. Ministerin Cahen, die das Seniorenressort verantwortet, hatte bei einer Anhörung vor der Familienkommission vor einer Woche den Abgeordneten berichtet, im Norden habe ein Heimkehrer aus einer Krisenregion, der trotz anders lautender Empfehlungen seine Mutter besucht hatte, das Virus ins Heim getragen. Andernorts seien es Pfleger oder Bewohner gewesen, die das Virus weitergegeben hätten.
Wie gefährlich das Virus gerade für die ältere Bevölkerung ist, war spätestens seit den dramatischen Erfahrungsberichten aus China, Italien und Spanien klar. Am 11. März hatte Gesundheitsministerin Paulette Lenert von „besonnesch exponéierte Leit“ gesprochen, älteren Menschen, die man „in den nächsten Wochen besonders im Fokus“ haben werde. An diesem Mittwoch dann stellte sie gemeinsam mit Premierminister Xavier Bettel die Exit-Strategie aus dem Lockdown vor, allerdings soll das Besuchsverbot für die Heime und besonders schutzbedürftige Gruppen, dazu zählen Alte, Immunkranke und teilweise Menschen mit Behinderungen, zunächst weiter gelten.
Denn bisher ist es den Behörden augenscheinlich nicht gelungen, diese Population optimal zu schützen. Von „ziemlich katastrophalen“ Zuständen spricht Céline Conter von der Pflegesektion des LCGB angesichts des anfänglichen Krisenmanagements einzelner Häuser: „Zu Beginn war es chaotisch“; da sei der Schutz „nicht optimal organisiert“ gewesen. Direktionen hätten eine „falsche Bescheidenheit“ an den Tag gelegt und sich nicht sogleich um bessere Schutzkleidung fürs Pflegepersonal gekümmert, haben Personaldelegierte gemeldet. Pitt Bach von der Pflegesektion des OGBL beruft sich ebenfalls auf Zeugenberichte, wonach vor allem in der Anfangszeit der Krise, also Ende Februar bis in den März hinein, viele Pfleger „sich nicht sicher“ gefühlt hätten.
Versorgungsengpässe Paulette Lenert hatte mehrfach betont, das Gesundheitspersonal sei auch in Nicht-Covid-Zeiten geschult und geübt darin, Bewohner zu isolieren, etwa im Falle einer Grippewelle. Das bekräftigt Nathalie Hanck von Servior. Die Copas behauptet, alle Träger hätten sich stets an die Vorgaben gehalten. Trotzdem kann die Isolierung mancherorts gar nicht optimal gewesen sein: Wie sonst ist zu erklären, dass in mehreren Heimen trotz früher Warnungen ganze Gruppen mit dem Virus infiziert wurden? Welche Rolle spielten lasch umgesetzte Schutzbestimmungen und eine unzureichende Versorgung mit Schutzkleidung?
Ministerin Lenert hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass insbesondere Schutzmasken zunächst fehlten. Ihr Ministerium sammelte alle vorfindbaren Reserven ein, um die landesweite Verteilung zentral zu organisieren. Eine genaue Inventur erfolgte ab 19. März, ab 27. März stand die Struktur, um quasi in Echtzeit den Materialbedarf zu ermitteln. Vorrang hatten zunächst Ärztinnen und Pfleger in den Kliniken und Krisenzentren, die direkt mit Covid-19-Patienten in Kontakt standen, so Lenert, die um Verständnis für diese Prioritätensetzung bat. Erst als Nachschub über den Luftweg eintraf, wurden die Schutzmasken zunehmend an andere Professionen verteilt. Genau um diese gestaffelte Verteilung entzündete sich Streit: Altenpfleger wähnten sich im Vergleich mit Klinikkrankenschwestern benachteiligt, Streetworker warteten ebenfalls lange auf Schutzmaterial. Sie bekamen am 31. März Masken ausgehändigt, in Plastikbrotdosen verpackt und mit eilig getippter Anleitung. Bis heute wurde keine Übersicht veröffentlicht, wann welcher Maskentyp an welche Berufs- und Personengruppen geliefert wurden.
Am 6. April schließlich veröffentlichte das Gesundheitsamt Strategien zur Nutzung von individueller Schutzausrüstung während der Corona-Epidemie, in denen es Schutzszenarien je nach Einsatzfeld und Covid-19-Kontakt definiert (mobile Pflegedienste, Alltag, Alten- und Pflegeheim, Klinik). Demnach gelten für das gesamte Personal, das Covid-19-Positive betreut, dieselben Bestimmungen, egal ob im Altersheim oder in der Klinik. „Es sind genug Masken da“, beruhigte Familienministerin Corinne Cahen am Mittwoch im Radio 100,7. Doch die bange Frage, die sich alle im Sektor stellen: Wie lange hält der Vorrat, jetzt, wenn die gesamte Bevölkerung in der Öffentlichkeit dort, wo kein Sicherheitsabstand von zwei Metern möglich ist, Masken tragen soll?
Angemessene Schutzkleidung war oder ist aber nicht das einzige Problem: Zu Beginn der Pandemie, so berichten Pfleger, sollen Mitarbeiter trotz Covid-19-Symptomen weiter zur Arbeit erschienen sein. Andere berichten davon, mobile Pflegedienste hätten hustende Klienten teils ohne volle Schutzkleidung und ohne fachgerechte Einführung in die Schutzmaßnahmen versorgt. Ob das stimmt und in welchem Ausmaß möglicherweise gegen Schutzauflagen verstoßen wurde, ist unklar. Im Prinzip sieht das Gesundheitsministerium Weiterbildungen zu Covid-19 vor. Pflegepersonal, das das Land traf und zur Versorgungslage befragen wollte, teilte bedauernd mit, ohne Genehmigung von der Direktion nichts sagen zu dürfen. Aber sowohl LCGB und OGBL berichten übereinstimmend, dass anfänglich „Chaos“ und je nach Heim unterschiedliche Praktiken vorherrschten.
Verbindliche Leitlinien für den gesamten Alten- und Pflegesektor wurden laut Copas am 18. März, laut Servior am 19. März veröffentlicht; seitdem wurden sie mehrfach präzisiert und angepasst. In der Verordnung des Gesundheitsamts vom 30. März sind die Schutzmaßnahmen für alle verbindlich festgehalten. Land-Informationen zufolge waren es nervöse Träger, die das Gesundheitsministerium zur besseren Abstimmung und zu mehr Koordination drängten. Laut einer gemeinsamen Antwort von Gesundheits- und Familienministerium trafen sich Beamte mit Vertretern der Copas das erste Mal am 12. März auf Einladung des Gesundheitsamts, um über Leitlinien zur Bekämpfung und Eindämmung des Virus zu diskutieren.
Gleiche Regeln für alle Ab da wurde die Copas systematisch in die Beratungen zum Sektor eingebunden, aber ein verantwortlicher Koordinator speziell für Pflegefachfragen, der die Arbeitsläufe der Pflege kennt und Bedarfe präzise benennen kann, wurde nicht in die Gruppe berufen, kritisiert die Krankenpflegevereinigung Anil. „Ist die Krise einmal vorbei, müssen wir genau prüfen, welche Lehren aus den Problemen zu ziehen sind“, mahnt die Anil-Generalsekretärin Tina Koch.
Die Versorgung mit sogenannten koordinierenden Medizinern hatte Gesundheitsministerin Paulette Lenert am 30. März vorgestellt, eine „Ligne de garde“ wurde speziell für den Alten- und Pflegesektor eingerichtet. So sei sichergestellt, dass jedes Heim einen Arzt/eine Ärztin zugeteilt hat, der für medizinische Fragen und für Krankheitsfälle zur Stelle ist. Sie ist es, die Covid-19-Symptome feststellt und gegebenenfalls Tests anordnet. Die Koordinatorin übermittelt die Daten an die Behörde. Denn nach wie vor ist es das Gesundheitsministerium, in dem alle Stränge zur Covid-19-Krisenbekämpfung zentral zusammenlaufen und das die sanitären Vorgaben bestimmt. Im Gespräch mit Reporter.lu beschrieb Santé-Direktor Jean-Claude Schmit seine Aufgabe so: „Ich gebe die Leitlinien vor. Die Mediziner müssen sie umsetzen.“
15 von 52 Heimen überprüft Bloß: Reicht das? Laut Gesundheitsministerium überprüft und berät die Sanitärinspektion seit dem 16. März, ob Einrichtungen die Covid-19-Schutz- und Hygienebestimmungen richtig umsetzen. Bis Mittwoch dieser Woche sollen 15 von 52 Einrichtungen vor Ort überprüft worden sein. Seit dem 8. April würden diese Kontrollen mit dem Familienministerium durchgeführt, es werde systematisch Bericht geführt; die Berichte sind nicht öffentlich. Im Sektor scheint sich das nicht herumgesprochen zu haben: Dem LCGB zufolge sollen die Prüfgänge erst vergangene Woche begonnen habe. Servior hatte bis Dienstag noch keine Kenntnis über Kontrollvisiten in seinen Einrichtungen. Der Dachverband Copas schlug dem Land auf Nachfrage vor, solche Daten besser beim Gesundheitsamt anzufragen.
Hört man die Berichte der Berufsverbände, spricht vieles dafür, dass sowohl Heimleitungen als auch das Gesundheits- und das Familienministerium die Gefahren, die von Covid-19 für die Heimbevölkerung ausgehen, wohl stets betont, aber trotzdem im konkreten Krisenmanagement anfänglich unterschätzt haben. Besonders die unterschiedlichen Praktiken sorgten für Verwirrung und Verunsicherung. Familienministerin Cahen erstattete der parlamentarischen Kommission am Donnerstag vor einer Woche auf Anfrage der Opposition Bericht zur Lage in den Altersheimen. „Die Antworten waren nicht hundertprozentig klar“, findet Marco Schank, gesundheitspolitischer Sprecher der CSV. Die Opposition hatte Erklärungen zu Schutzvorkehrungen respektive zu den erhöhten Ansteckungsraten in manchen Häusern gefordert. Proaktive Berichte aus dem Familienministerium sind selten geworden, seitdem die Gesundheitsministerin den Lead über die Krisenkommunikation an sich gezogen hat.
Es gibt weitere wichtige Entscheidungen, die den Heimen überlassen sind und wo Leitlinien für die Krise fehlen. So ist es weiterhin den Heimen überlassen zu entscheiden, ob jemand seine/n Angehörige/n, der oder die im Sterben liegt (unabhängig davon, ob an Covid-19) ein letztes Mal sehen kann oder nicht. Das entscheidet die Direktion der jeweiligen Einrichtung. Auf Land-Nachfrage, ob das nicht ethisch bedenklich sei, weil so nicht alle Angehörigen dasselbe Recht auf Abschiednehmen von der/dem Liebsten haben, sagte Copas-Präsident Marc Fischbach, man habe intern die „schwierige Frage lange diskutiert“. Dass die Einrichtungen dies entscheiden sollen, begründet die Copas damit, nicht alle hätten eine adäquate Infrastruktur, um den letzten Abschied ansteckungssicher zu organisieren.
„Warum sollen andere entscheiden, wie unsere Angehörigen die letzten Momente ihres Lebens verbringen?“, fragt Marianne Junker. Sie mag sich „nicht vorstellen, dass mein Vater jetzt wegen Covid-19 isoliert im Heim verkümmert“, ohne aber am Virus erkrankt zu sein. „Warum lässt man keine gesellschaftliche Debatte dazu zu?“, fragt sie.