In einer Solo-Ausstellung in Trier vermittelt Jeannine Unsen mit mystischen Naturlandschaften und stillen Frauenporträts Ruhe und Ausgeglichenheit.
Das Land hat sie auf der Vernissage in der Galerie Netzwerk getroffen

Jeannine Unsen atmet tief ein

Foto: CB
d'Lëtzebuerger Land vom 28.03.2025

Der Frühling ist in der ältesten Stadt Deutschlands angekommen. Auf den Terrassen der Trierer Innenstadt trinken Leute Kaffee und schlürfen Wein, vor den Eisdielen bilden sich Warteschlangen. Auch am Abend ist es noch so mild, dass man in der Galerie Netzwerk in der Neustraße die Türen zum idyllischen Garten offen gelassen hat. Die Galerie hat zur Vernissage von Jeannine Unsens Solo-Ausstellung Take a deep breath – do not speak quickly eingeladen. Der Titel hält, was er verspricht. Unsens Werke wirken auf die Betrachter manchmal melancholisch, meistens jedoch warm und beruhigend.

„Meine Arbeit ist eine Einladung, in die Stille einzutauchen“, sagt Jeannine Unsen. „Wir leben in sehr instabilen Zeiten. Die Welt braucht dringend Menschen, die in sich ruhen und bodenständig sind. Und das kann man nur, wenn man bei sich angekommen ist.“ Die Fotografin sucht und pflegt auch in ihrem Privatleben Stille. „Im Lärm findet man nicht die richtigen Antworten.“

In Trier stellt die Künstlerin auch neue Werke aus, in denen sie mit externen Elementen experimentiert. Ein Foto zeigt eine Frau, die auf einem gepolsterten Stuhl in einem verlassenen Restaurant sitzt. Im Fenster sieht man eine Schneelandschaft. Die Sicht der Betrachter ist durch einen Fadenvorhang eingeschränkt, der über dem Bild herabhängt. Schaut man aus einem anderen Raum hinein? Um sich das Bild genau anzuschauen, müsste man die Fäden zur Seite schieben: ein voyeuristischer Akt, der die Ruhe und Privatsphäre der Frau stören würde.

Am Ende des Raums mit den neuen Fotografien öffnet sich ein schmaler Korridor, in dem frühere Werke der Fotografin ausgestellt sind. Hier sieht man Werke der Serie Have you been here, Dad?, in der sie monochrome Archivfotos der Rotondes mit Stickereien geschmückt hat. Auch das Porträt ihrer Freundin Lisa Berg, die Cellistin, die 2017 an Leukämie gestorben ist, ist in der Solo-Ausstellung zu sehen. Nach ihrer ersten Chemotherapie und nachdem die Musikerin sich die Haare abrasiert hatte, bat sie Jeannine Unsen, sie abzulichten. Nach Lisa Bergs Tod entschied sich Jeannine Unsen, dem monochromen Porträt ihrer Freundin Farbe zu schenken. Sie fing an, ihr einen Kranz aus Blumen aufzusticken. Dieses sehr bewegende Werk ist auf der Vernissage ein wenig schwierig zu genießen, da sich im schmalen Gang viele Besucher tummeln. An einem ruhigeren Tag der zweiwöchigen Ausstellung sollte man sich dafür Zeit nehmen.

Um Ausgeglichenheit in ihrer Kunst widerzuspiegeln, ist der Prozess, in dem die Fotos entstehen, sehr wichtig. Denn die Menschen, die sie ablichtet – meistens Frauen – sollen sich geborgen fühlen. Die Künstlerin führt lange und oft intensive Gespräche mit ihnen. Während der Fotoaufnahme wird jedoch nicht geredet, damit „die Stille sich installieren kann und dass man wirklich in die Introspektion eintaucht“, erklärt Jeannine Unsen. Dabei beeinflussen das Licht, die Farbtöne und die Körperhaltungen des Modells die Stimmung, die das Bild vermittelt.

Neckel Scholtus, die luxemburgische Fotografin, die gerade ihre Ausstellung Entre Réel et Impalpable im CAPE in Ettelbrück abgeschlossen hat, ist auch angereist. Jeannine Unsens Arbeit verfolge sie schon seit Langem, sagt sie. Ihr gefällt der Entstehungsprozess hinter ihren Fotografien. „Sie nimmt sich immer sehr viel Zeit für ihre Portraits, und das sieht man“, sagt sie.

Eine Frau schaut sich ein Foto an, das alte Bäume zeigt, durch deren kurvige Äste warme Lichtstrahlen fließen. Ihr gefallen Jeannine Unsens Landschaftsaufnahmen sehr. „Das sind Dinge, die immer mehr verloren gehen, deshalb finde ich es wichtig, so etwas festzuhalten“, sagt die Besucherin. „Wer weiß, wie lange man so etwas auch noch zu sehen bekommt.“

Die Stickarbeit, mit der die luxemburgische Fotografin auf ihren Fotos Relief erschafft, kann man mit Jeannine Unsen erlernen. Am 28. März leitet sie einen Stickerei-Workshop in der Trierer Gallerie, bei dem man auch ohne Vorkenntnisse mitmachen kann. Aus Erfahrung weiß Jeannine Unsen jedoch, dass viele Menschen bereits Hilfe benötigen, bevor sie den ersten Stich setzen. „Die erste Herausforderung ist es, die Nadel einzufädeln. Das hatte ich nicht erwartet“, sagt die Künstlerin lachend.

Teilnehmer/innen suchen sich ein Foto aus, „mit dem sie Emotionen verbinden, oder das ihnen irgendwie wichtig ist“. Diese werden dann auf Stoff gedruckt und die Arbeit kann beginnen. Geduld ist hier sehr wichtig. „Wenn man die nicht hat, wird es nix“, sagt Jeannine Unsen. In ihrer Arbeit benutzt sie oft Knötchenstiche. Dieser Stich, auch französischer Knoten genannt, besteht aus kleinen, kugelförmigen Knötchen, die auf den Fotos wie farbiger Regen, bunte Staubwolken oder rollende Perlen erscheinen. Auch vermitteln sie symbolisch Verbindung und Vernetzung. Eigenschaften, die auch den Künstlern Bettina Ghasempoor und Marc Kalbusch, die die private Galerie leiten, sehr wichtig sind.

„Dass viele Besucher über die Grenze gekommen sind und wir uns hier so vereint treffen, im Namen der Kultur, das freut uns besonders“, sagt Bettina Ghasempoor.

Es ist nicht das erste Mal dieses Jahr, dass Jeannine Unsens Kunst im Ausland zu sehen ist. Im Januar flog sie auf Einladung der Londoner Brick Lane Gallery mit vier Werken in die britische Hauptstadt. Eine Gelegenheit, die weitere Türen öffnete, sogar eine Galerie in New York setzte sich mit ihr in Verbindung. Doch die Künstlerin behält ihre Ziele klar im Auge. „Man muss sich fragen, was man will. Mir sind Verbindung und Austausch sehr wichtig und deshalb fühle ich mich bei Bettina und Marc so wohl.“

Claire Barthelemy
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