Luxemburg ist ein fetter Fleck, aber ein Zuckerschlecken ist das Leben dort nicht für alle: Auf der Landkarten-Installation Domestic Tectonics wird die Größe eines Staates bestimmt von den jeweiligen Wohnkosten. Diese zerklüftete Holzkonstruktion, auch als Liege nutzbar, hat das Architekturbüro 2001 aus Differdingen gestaltet. Sie soll „die Schwierigkeiten aufzeigen, welche die Bevölkerung in wohlhabenden Ländern haben kann, erschwinglichen Wohnraum zu finden“. Sollte man lieber ins billige Russland auswandern, das in dieser Darstellung zum dünnen Schlauch schrumpft?
Weil die Welt in Bewegung ist, „angetrieben von der Vorstellung, dass es anderswo besser ist“, hat der Liechtensteiner Kunstverein Schichtwechsel junge Künstler aus Mikronationen eingeladen, sich Gedanken zur „Außenwahrnehmung und Realität von europäischen Kleinstaaten“ zu machen. Also dazu, „wie sich ein kleines Land darstellt, ob es eine Modellfunktion einnehmen kann und welche Auswirkungen Migration und Tourismus haben“.
Unter dem Titel Wo das Gras grüner ist zeigt das Kunstmuseum Vaduz nun Werke von 36 Kunstschaffenden, meist Installationen und Skulpturen. Die Hälfte der Teilnehmer kommt aus Island, die übrigen aus Liechtenstein, Luxemburg und Montenegro. Gemeinsam ist ihnen ein Hang zum Ausland; gut ein Drittel lebt in Berlin. Luxemburg wird vertreten durch Philippe Nathan und drei weitere Architekten von 2001, Serge Ecker, Karolina Markiewicz und Pascal Piron.
Von dem versprochenen „kritischen Vergleich zwischen den Kleinstaaten“ ist nicht viel zu sehen. Den meisten Künstlern war das Thema Migration wichtiger. Serge Ecker zum Beispiel hat aus einer goldglänzenden Notfalldecke ein Zeltdach gebaut; innen ist es mit Zeitungsartikeln zum Flüchtlingsdesaster tapeziert, und aus einer Infusionsspritze tröpfelt Salzwasser auf einen heißen Stein. Markiewicz und Piron zeigen die Videoinstallation Mos Stellarium: Interviews mit sechs Flüchtlingen aus Afghanistan, Syrien, Kosovo und Montenegro. Mit dieser Dokumentation schafften es die beiden Luxemburger Regisseure in die Auswahl von neun Künstlern, die heuer Liechtensteins allererste Teilnahme bei der Kunstbiennale in Venedig bestreiten. Geplant ist ein zehntägiger Gastauftritt im Palazzo Trevisan, der den Schweizer Nachbarn gehört.
Eine Schauwand im Kunstmuseum Vaduz vergleicht statistische Daten der einzelnen Länder. So ist zu erfahren, dass Liechtenstein im Jahr 2014 genau ein Asyl gewährt hat, 33 000 Isländer im Ausland leben und Montenegro pro Jahr mehr als 1,3 Millionen Touristen anzieht. Dazu kommen schlecht gelaunte Zitate der jeweiligen Künstler. „Es gibt keine richtigen Luxemburger; wenn dann ist das nur durch Inzest möglich“, mosert beispielsweise Serge Ecker. „Luxemburg ist sehr konservativ“, findet Karolina Markiewicz. „Es gibt ernsthafte Brüche in der Luxemburger Gesellschaft“, erläutert Pascal Piron die Ablehnung des Stimmrechts für Ausländer.
Kaum klagen kann Liechtensteins Kunstszene. Der mit 37 000 Einwohnern recht überschaubare Alpenstaat leistet sich heuer ein „Kulturjahr“: Eine neue Schatzkammer mit Fürstenkrone, Fabergé-Ei und Mondgestein tröstet die Vaduzer für den Verlust der fürstlichen Gemäldesammlung an Wien. Das Kunstmuseum hat gerade einen Erweiterungsbau für die Hilti Art Foundation eröffnet: Gauguin, Picasso, Giacometti und was sonst alles berühmt und teuer ist. Bis zum 1. November läuft in Vaduz auch noch Bad Ragartz, die größte Skulpturenausstellung Europas mit „2 400 Tonnen Kunst“ von 90 Künstlern aus dreizehn Ländern.
Das Gejammer nimmt den reichen Kleinstaatlern ohnehin niemand ab. Jedenfalls nicht auf dem Balkan: Milena Jovicevic und Nenad Šoškic schlagen „LIMLU“ vor, eine politische Union von Luxemburg, Island, Montenegro und Liechtenstein. Bei Straßeninterviews in Podgorica waren Passanten von diesem Projekt sehr angetan. Sie konnten diese Staaten nicht immer auf der Landkarte verorten; meist fiel ihnen dazu aber nur Gutes ein. Demnächst soll diese Umfrage auch in Luxemburg gemacht werden.
Und wo ist jetzt das Gras am grünsten? Bei der Eröffnung der Ausstellung wollte sich Liechtensteins Außen- und Kulturministerin Aurelia Frick nicht so festlegen. Liechtenstein sei zwar „ein großartiges Land im Herzen Europas“. Man müsse aber auch sehen: „Andere Länder haben andere Vorteile und andere großartige Aspekte.“ Was heutzutage wirklich zähle, sei, „dass wir alle in die gleiche Richtung arbeiten. Es gibt keinen Platz für Eifersucht und Neid.“ Dann wünschte sie den Künstlern noch eine schöne Wanderung auf die bestimmt sehr grüne Sücka-Alm.