Theater

Mensch, Affe!

d'Lëtzebuerger Land vom 03.11.2017

Hilflos irrt ein Schatten auf der hinteren Leinwand umher. Er weiß nicht wohin, stolpert mal nach links, mal nach rechts, fuchtelt herum, um sich dann von zwei Bühnenmitarbeitern aus der Seitenbühne an ein Rednerpult führen zu lassen. Im Smoking mit Fliege und Kummerbund wirkt Affe Rotpeter völlig human, des akademischen Forums würdig. Und doch wird sich zeigen: Nur Show als Mittel zum Zweck.

Den „Hohe(n) Herren“, an die er seinen Bericht für eine Akademie richtet, offenbart sich ein vermenschlichter Affe, der über die bereits fünf Jahre zurückliegenden Facetten seines „äffischen Vorlebens“ berichten soll: Geburt an der Goldküste, Gefangenschaft anlässlich einer Jagdunternehmung durch die Firma Hagenbeck, monatelanges Dahinvegetieren in einem Käfig im Zwischendeck eines Dampfers. In eben diesen Monaten bemüht sich Rotpeter (an Wange und Oberschenkel durch Schüsse verletzt), „in die Menschenwelt einzudringen“, ihren Habitus zu übernehmen und so einen Ausweg aus seiner Lage zu finden. Und er lernt schnell.

Darsteller Germain Wagner schafft es in dieser überaus kurzen, auf 45 Minuten begrenzten Bühnenarbeit von Charles Muller zu Kafkas Erzählung aus dem Jahre 1917, die Spannung von Identität und Souveränität aus der Vorlage hervorzukitzeln. Wagner lässt seine Figur über weite Strecken menschlich erscheinen, gewährt jedoch Einblicke in eine wiederholt aufblitzende, subtile, bisweilen komödiantische Gebärde des Äffischen: mit dem leichten Schwingen der Hand zur Betonung seiner Worte, dem glottalen Knurren, dem schwerfällig anmutenden Schwenk seiner Körperhaltung, dem Nässen des Affenmauls mit dem klobig aus dem Glas gewonnenen Wasser. Der scheinbar Mensch gewordene Referent macht sich wiederholt zum Affen. In diesem Sinne sei auch auf die höchst unauffällige Maske des Alleindarstellers hingewiesen. Maskenbildnerin Meva Zabun verpasst Wagner nur Ansätze eines Affengesichts, lässt das graue Haar widerborstig gegen die Ohren schwingen. Man möchte Affenohren sehen, wo keine Affenohren sind, ein Fell spüren, wo keines wächst. Mehrfach lacht Rotpeter sich ins Fäustchen, erinnert dabei teilweise an das Närrische eines Goetz George. Das Unscheinbare, die Kürze dieser Produk-
tion und die puritanisch gestaltete Kulisse zwingen zum Fokus auf die Leistung des Darstellers. Und Germain Wagner reißt die Zuschauer mit.

Behilflich ist ihm natürlich Kafkas doppeltes Spiel mit dem Zivilisationsbegriff. Nicht die Herren der Akademie, sondern der Affe an sich wirkt zivilisiert. Rotpeter äfft die „unbehelligten“ Menschen lediglich nach. Er reflektiert seine Lage, bestimmt sein Ziel. Dabei wird weniger die mit anderen Fotos auf der Leinwand dargestellte morphologische Menschwerdung des Tieres, sondern vielmehr das Plumpe, Tierische, Niedere am Homo sapiens offengelegt. Diese Ebene der Satire, des Hohns meistert Wagner trefflich, schärft die Regie mit wenigen Handgriffen.

Fraglos ruft das im Programmheft angekündigte Prinzip eines Gesamtkunstwerks lediglich ein müdes Lächeln hervor: Die wenigen, wenngleich substanziellen Video- und Fotoprojektionen werden diesem Anspruch nun wahrlich nicht gerecht. Doch danach wird auch niemand rufen. Im Rückblick darf Mullers Bericht für eine Akademie angesichts eines bestens aufgelegten Darstellers und trotz spärlich besuchtem Hause als Perle der jungen Saison bewertet werden.

Ein Bericht für eine Akademie von Franz Kafka; Regie: Charles Muller; Bühne, Kostüm und Licht: Dragos Buhagiar; Dramaturgie: Olivier Ortolani; Mapping: Andrei Cozlac; Maske: Meva Zabun; Regieassistenz: Nathalie Schmidt; eine Produktion des Escher Theaters. Keine weiteren Vorstellungen.

Claude Reiles
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