„Ich bin überzeugt, dass man unsereinen Untergrundmenschen im Zaum halten muss.“ Als Marco Lorenzini seinem „Mann aus dem Untergrund“ diese Worte in den Mund legt, hat sein Alter Ego schon eine deutliche Entwicklung durchgemacht. Eines Morgens wacht er auf, in einem kargen Zimmer, irgendwo im nass verschneiten Sankt Petersburg. Ein Bett, ein Stuhl, darauf sitzend die „zarte Frau“. In diesen Kontext hat Fjodor Dostojewski seine Hauptfiguren der zweiteiligen Erzählung Aufzeichnungen aus dem Kellerloch aus den Wintermonaten 1863/64 angesiedelt. Über eine verengte Kulisse hängt Christoph Rasche ein Rechteck aus Metall, an schweren Stahlketten befestigt. Es ähnelt der Ladefläche eines Lastwagens, verbildlicht eine Existenz der fadenscheinigen Haltung, der Schwere und wird – niedersinkend – dem Untergrundmenschen zum Grab. So wie sich die Füße der Tanzenden hinter der Wand seinem Blick verschließen werden, so wie sein Schatten auf die Rückwand geworfen wird, so treibt das pralle Leben an dieser trüben Seele vorüber. Zu dieser Antithetik liefert René Nuss die passende Tonarbeit.
Frank Hoffmann hat Ruth Heynens Fassung von Dostojewskis Aufzeichnungen mit Schwerpunkt auf den zweiten Teil der Erzählung inszeniert und seine Aufmerksamkeit vor allem den wortgewaltigen, existenzphilosophischen Auswürfen seiner Hauptfigur geschenkt. Sowie deren Wandlung vom Illusionisten zum rachsüchtigen Peiniger, der gleichsam Gepeinigter ist. Typisch für die Inszenierungen des TNL-Intendanten ist nicht das Schrille an der überspannenden Handlung. Sie wirkt vielmehr traurig und finster. Das Typische findet sich im auffälligen, grotesken, liebevoll-schrulligen Detail. Unvergessen bleiben die Figuren des Bürovorstehers Sétotschkin und des Mitbewohners Apollón, beide von Roger Seimetz verkörpert. Die qua Kopfstimme vorgetragenen Psalmen, sein Kosakentanz als Zeichen von Willkür und Schadenfreude sind wohldosierte Höhepunkte in Hoffmanns Inszenierung.
Auch die anfangs vermeintlich unzumutbare Stille zwischen Anouk Wagener und Marco Lorenzini, die ihre Mimik bei diesem endlosen Schweigen ganz und gar unter Kontrolle halten müssen, bilden einen starken Kontrast zum monologisch geprägten Wortlärm, den die Hauptfigur sowohl ins Publikum als auch gegen die gedemütigte Seele der zarten Frau speit.
Es schwingt in diesen Beobachtungen die Leistung der Darsteller mit. Vorgegriffen sei in diesem Zusammenhang, dass die mimische Leistung des Trios von Schauspiellust und -kunst zeugt. Insbesondere die Erniedrigungsmechanismen inmitten der Figurenkonstellation (der Missbrauch am Ende!) sind greifbar und berühren. Fraglos sei Lorenzini auch zugestanden, dass er den überwiegenden Textanteil bewältigen muss, doch lässt sich die störende luxemburgische Diktion dieses nun einmal in deutscher Sprache gehaltenen Abends nicht totschweigen. Leider stellt er seine Figur in wortgewaltigen Momenten zu sehr dar, als dass er in die Rolle schlüpfen würde. Diese Schwäche entfremdet. Frank Hoffmanns Inszenierung verleiht Heynens Prosatext Bühnengestalt, die bisweilen rätselhaft bleibt, die Figur vom scheinbaren Sadisten hin zum tatsächlich Verzweifelten jedoch schärft. Dieser Theaterabend findet seine Stärke in der Liebe zum Detail und der intimen Mimik zwischen den Protagonisten.