Der Sänger sei ein veritables Urviech, hieß es, einer, der mit seiner Band Nazz Nazz in den Cafés des Südens so richtig abräume; der nicht nur kokett mit dem Absturz flirte, wie unsereiner, sondern ihn auch mehrmals am Tag in voller Bandbreite vollziehe. So mancher Mundpropagandist der ersten Stunde verstieg sich denn auch gleich zu den adelsträchtigsten Vergleichen, um das schnöde Provinzleben A.D. etwas zu veredeln: jetzt könnten Jim Morrison und Jeffrey Lee Pierce doch gleich, lautete die kecke Behauptung, bei den Flippers in Knittlingen anheuern.
Wie bitte?! Hatte sich etwa Freund Dionysos im Rockzirkus zurückgemeldet? Und das ausgerechnet in den Achtzigern?!Denn die Dekade, in der Nazz Nazz – keine Youngsters im rocküblichen Sinne – ihre Rakete starteten (Sprengkraft: lokal begrenzt, muss man fairerweise hinzufügen), steht im Ruf, eine der zynischsten Dekaden überhaupt zu sein: hedonistisch, selbstverliebt, oberflächlich, lautet rückblickend das Urteil über diesen Abschnitt Popgeschichte. Die Postmoderne legte sich flächendeckend über alles, ein möchtegerniges Getue aus Zitaten und Halbherzigkeiten; die Mode: ein unaussprechliches Gräuel; die Musik: aus der Dose; Protestkultur? Fehlanzeige!
Die alten Helden hatten sich wohl abgemeldet.
Joy Division und Bauhaus hatten sich erhängt oder aufgelöst, Punk war schnorrend in die Fußgängerzonen abgewandert, wo er Mülltonnen anzündete, um sich die Hände zu wärmen, Patti Smith zog ihre Kinder groß, Dylan suchte die Parkuhren und machte einen zusehends verwirrten Eindruck, die Stones wurden definitiv zu Managern. Und ganz am Anfang fielen vor dem Dakota Building die berühmten Schüsse, die ihr berühmtes Opfer forderten und nichts Gutes verhießen.
Dagegen bescherte uns das „neue“ Medium Video überraschend schnell den Synthipop, während das elektronische Schlagzeug genauso viel Seele hatte, wie es die erbarmungslosen Modediktate der Achtziger von ihm verlangten.
Seltener war Massenkonformität so sehr als Ausdruck der Popkultur entlarvt worden, schien man so weit von Renitenz und Individualismus entfernt, so hilflos angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen wie in den Achtzigern – trotz Live Aid und Act up und „Tear down this wall, Mr. Gorbachev!“.
Ende der Achtziger, als unser Johnny Chicago in spe mit den Nazzern erstmals die Bühnen des Landes erklomm, gab es „in der Welt“ außer Schulterpolstern, Spitzen-Handschuhen und Stirngardinen also nicht viel zu erhaschen. Plötzlich wollten alle, so schien es, nur noch spielen, Kleider tauschen, Schminke ausprobieren und an der großen, schönen und bunten Geschlechterverwirrung eines Boy George oder Prince (zu etwas Böserem konnten die 80-er sich nicht aufraffen!) teilnehmen.
In Luxemburg war das freilich nicht ganz so dramatisch, wie immer, auch wenn sich hier wie sonstwo – Videokultur sei Dank! – in den Jugendtreffs und Hinterzimmern bonbonfarbene Mickeys auf Helium, neoromantische Piraten mit Mascara und androgyne Clowns in Leggins auf die Plakate zu drängeln begannen.
Bevor es in der Kulturfabrik so etwas wie einen Aufbruch – mit neuen Bands, neuen Stilen, Inhalten, Klamotten, Statements – geben sollte, bestimmten nämlich über lange Jahre hinweg Bluesrock und Pubrock und Fusion die Musikszene. Eine kleine Ewigkeit lang. Es schien, als bestünde die einzig mögliche Verweigerungshaltung (oder war es schlichtweg selig machende Ignoranz?) darin, John Lee Hooker oder Cream, Dr. Feelgood oder Eric Burdon das Wasser reichen zu wollen. Pferdeschwänzige Junglehrer schüttelten ihren „Moneymaker“, die Bluesharp erlebte eine fulminante Renaissance. Auch Nazz Nazz spielten so etwas wie Pubrock, auch bei Nazz Nazz kam die Mouth Harp zum Einsatz, auch Nazz Nazz hätten, ohne ihren Frontmann, problemlos eine solche Nische finden können, um darin aufzugehen. So bildeten sie ihre eigene Nische, ihre eigene Liga, und die Leute pilgerten zu ihnen.
Denn wenn Thierry v. W. „Against the Law“ krähte wie eine Vogelscheuche auf Speed, schien das Rebellentum seine Wiederauferstehung zu feiern. Dann war es vorbei mit Kajagoogoo und Culture Club und Like a Virgin. Und während es von den Wänden der Cafés in Düdelingen, Esch oder Oberkorn herab kondensierte und die Damen, „hell ewech“, Spalier standen, war plötzlich auch das angestrengte großherzogliche Bluesveteranentum nur noch „old hat“. (Freilich: Wer gedachte hatte, an solch einem Abend in Präsenz des Alpha-Tiers irgendwo einen milchbärtigen Annäherungsversuch zu starten, wurde schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.)
Als einer der, ganz früh schon (nicht nur für die bestbekannten Luxemburger Spätzünder-Verhältnisse), am Gift des Punk geleckt hatte, injizierte TvW nämlich jene Energie und Credibility in die Performance, auf die man gewartet zu haben schien. Er musste dafür nicht den Antichristen geben oder in Sachen Agitprop promovieren, denn sein Against the Law war, anders als das I fought the Law der Clash, eine reine Instinktsache. Es war ein fast schon kreatürliches Auflehnen gegen den sich abzeichnenden globalen gesellschaftlichen Konsens.
Dass die luxemburgischen Texte über Outlaws und Troublemakers deshalb so gut ankamen, weil sie vor keiner mit Bluesveteranen oder besonders brillanten Rock-Solisten behangenen Ahnengalerie ihren Kotau zu machen versuchten, dürfte sich herumgesprochen haben.Der Rest ist Geschichte.
Auch wenn später noch das eine oder andere Opus nachgeschoben wurde, bzw. „den Thierry“ ohne die Nazzer sich als zerlumpter Crooner im Brecht-Weill-Format oder mit brillanter Lakonie als luxemburgischer Bashung versuchte (mit auf den Leib geschriebenen Kompositionen des Taboola rasa-Duos Tonnar/Kinsch), so waren die goldenen Jahre von Nazz Nazz und ihrem „Zelluloid Cowboy“ doch zweifellos diese späten Achtziger.Als er Jahre später in den Schuhen von Hamlet oder Meursault auf der Bühne des TNL stand, profitierte er in diesen Rollen von seinem immer noch intakten Außenseiternimbus. „He’s still against the f... law, the bastard!“
Das Doppelalbum Thierry van Werveke dat Bescht an de Rescht (32 Songs) ist ein Produkt der Fondation Thierry van Werveke. Verkaufsstellen: Plattenläden, CD-Shops, Supermärkte „uechtert d’Land“, sowie unter www.fondationtvw.lu. Preis: 19,90 Euro. Der Erlös geht integral an die Stiftung TvW, die gemeinnützige Projekte im Jugend- und Kulturbereich unterstützt.