Klar: Nach Corona, inmitten von Ukraine-Krieg und Inflation, in sogenannten Zeiten steigender Armut, den „Verzicht als Inspiration für ein gelingendes Leben“ anzuloben – das klingt erst einmal ziemlich abgehoben. Dass Reinhold Messner dieses Plädoyer unter Mitwirkung seiner Ehefrau Diane vorträgt, die auch noch aus Luxemburg stammt – das mag der eine oder andere schon pervers finden.
Im Ernst? Der berühmteste Bergsteiger unserer Zeit, Bezwinger aller Achttausender und Seven Summits, der selbsterklärte „Eroberer des Nutzlosen“, übt sich ausgerechnet mit einer Luxemburgerin in Genügsamkeit?
Wer ist die Frau aus dem Land, in dem doch scheinbar ebenfalls nur noch „das Verlangen nach Sushi und bunten Turnschuhen und Porsche Cayennes“ vorherrscht, so wie es der Schriftsteller Christian Kracht für seine Schweizer Heimat diagnostiziert hat? Nun – so viel sei verraten –, darüber schweigt sich dieses Buch in etwa gleichem Maße aus wie die Betroffene selbst. Aus ihrem früheren Leben gibt Diane Messner, geborene Schumacher, wenig preis.
Überhaupt ist Sinnbilder vor allem ein Buch von und über Reinhold Messner geworden. Darüber, wie ein alternder Mann aus einer Lebenskrise wieder Sinn geschöpft und im Verzicht einen Weg gefunden haben will, trotzig die Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen. Das, nachdem sich seine zweite Ehefrau, nach 35 Jahren an Messners Seite (davon die letzten zehn verheiratet) von ihm getrennt hatte. Eine der „schlimmsten Enttäuschungen“ seines Lebens, wie er rückblickend festhält. „Ohne mir einen Grund dafür zu nennen“, klagt Messner, hätte ihn die Wienerin 2017 gebeten, die gemeinsame Wohnung in Meran zu verlassen – er hält aber sogleich zufrieden fest: „Obwohl ich nie im Leben einen Haushalt geführt hatte, kam ich mit dem Single-Leben zurecht“. Bloß „das Gefühl, getäuscht worden zu sein“, wich erst allmählich, wenn auch freilich bereits ein halbes Jahr später, nach der Begegnung mit seiner nunmehr dritten Ehefrau.
Entsprechend muffelig, der Auftritt Messners beim ersten Date: „Kannst Du kochen?“, so die Eingangsfrage des frischen Junggesellen, der zu diesem Zeitpunkt eine „kleine, winterfeste Wohnung“ auf Schloss Juval seine man cave nennt. „Es reicht nicht, mit deinen schönen Augen ‚blink-blink‘ zu machen“, wie er der Luxemburgerin mit der Eleganz eines Eisbrechers klarzumachen versucht, „ich brauche eine Praktikerin an meiner Seite“.
Ob er die allerdings auch wirklich gesucht hat? Jedenfalls ist Diane Messner ein romantischer Mensch. „Heute, nach fast vier Jahren an seiner Seite, ist es immer noch diese direkte, ehrliche Sprache, die ich an ihm schätze“, schreibt sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Dass sie das alles überhaupt erzählt, in ihrer eigenen, eher unliterarischen Sprache, macht den Charme dieses Buches aus. Ein bisschen fühlt man sich dabei sogar an Vicky Krieps’ Rolle der Alma in Phantom Thread erinnert und an den Versuch jener ausländischen, auf Luxemburgisch zählenden Kellnerin, mit dem Modeschöpfer Woodcock (!) eine lebendige Beziehung einzugehen.
Diane Messner, 43 Jahre alt, ist Mutter eines Teenagers aus einer früheren Beziehung mit einem in Luxemburg tätigen Saarburger Immobilien-Software-Entwickler. Sie wollte sich nicht mit der starren Legende Reinhold Messner begnügen. „Was trieb einen Menschen an, sich derart zu exponieren? Sich allen Gefahren, selbst dem Tod auszusetzen? Was suchte jemand am Gipfel?“, schreibt sie.
Nun ist es nicht so, als sei Messner etwa die letzten Jahre besonders wortkarg darüber gewesen, was ihn seiner Meinung nach in die Berge trieb. Und auch in Sinnbilder ist ihm viel daran gelegen, den Bergtourismus, den er nolens volens mit seinen spektakulären Aktionen mitbefeuert hat, streng von seinem eigenen Tun abzugrenzen. Als ihm einmal im Kathmandu Guest House bei „Kaffee und Kuchen“ ein Mann seinen nackten Fuß mit den Worten „we have something in common“ entgegenstreckte und ihn darauf hinwies, dass ihm genau wie Messner fünf Zehen abgefroren sind, lehnte Messner diese Verbrüderung ab.
Sehr eindringlich erzählt er von seiner Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen, einer Kindheit voller Arbeit – notwendiger Arbeit, also „sinnvoll“. Davon, wie „viele tausend Hähnchen“ er als „Schüler und Oberschüler geschlachtet, gerupft und ausgetragen“ hat, von seinen sechs Geschwistern, die fast alle einen regulären Beruf wählten, nur er nicht. Und wie er, gerade weil sein Tun, das Klettern, nicht notwendig gewesen sei, er ihm einen individuellen Sinn habe geben wollen, indem er „die Hilfsmittel“ beschränkte und später sogar auf Sauerstoffflaschen verzichtete. Beruhend auf der Erkenntnis, dass „Nützlichkeit und Sinnhaftigkeit zwei völlig verschiedene Werte sind“, wurde „jede dieser Klettertouren zu einem existenziellen Erlebnis“ für Messner.
Dabei wiesen schon die tragenden Sherpas in Werner Herzogs Messner-Porträt Gasherbrum – Der Leuchtende Berg von 1984 darauf hin, dass die eigentümliche und zum Teil rücksichtslose Bergsucht des Südtirolers (und damit auch der Verzicht als „Sensation“ und „Stilmittel“) überhaupt erst durch die spätkapitalistischen Rahmenbedingungen möglich wurden. Eine persönliche Verantwortung seiner Generation für die Verschwendung von Ressourcen lehnt der 78-Jährige, der jahrelang Millionen von Zuschauern mit spektakulären Bildern versorgte, indes ab. Sein Klettern beispielsweise sei, da kaum Müll zurückblieb, ja im Grunde ökologisch gewesen.
Bereits der junge Messner war ein Rebell. Vom Lehrer wegen seiner Klettereskapaden während der Schulzeit bestraft, wagt er den offenen Konflikt, als er selbst, anstelle der Eltern, den Bescheid des Lehrers unterschreibt: Er war gerade achtzehn geworden. Ein andermal lässt Messner den jüngeren Bruder stundenlang angsterfüllt auf seine Rückkehr aus den regengepeitschten Bergen warten. „Der Sinn, der dem Kollektiv (…) zugeordnet wird, ist immer nur ein kollektiver. Der Sinn als mein ganz persönliches Gewichten ist etwas anderes: ein Geschenk. Wie ein Spielzeug, mit dem ich Personen, Dinge, Taten verzaubere, indem ich sie mir wichtig mache“, schreibt Messner, der sich mittlerweile altersbedingt zum Hausextremisten entwickelt, das Bergsteigen aufgegeben hat, stattdessen lieber nur noch einmal am Tag isst und bis auf das Wohnzimmer die restlichen Zimmer unbeheizt lässt. Mit seiner Frau Diane hat er ein kleines Unternehmen mit den Namen Messner Mountain Heritage gegründet. „Jetzt geht es ums geistige Erbe“, sagt Messner.