Sie sind klein und bunt, nicht besonders kostspielig und man weiß nie, was man bekommt: Die kleinen Taschenbücher der Reihe Smart Kremart, in der der Kremart-Verlag kürzere Texte vertreibt, ähnelt den Bertie Bott’s Every-Flavour Beans aus den Harry Potter-Romanen. So wie die magischen Bonbons von Pfefferminz und Schokolade bis Innereien und Ohrenschmalz alle vorstellbaren Geschmacksrichtungen enthalten, ist in den Smart Kremart-Heftchen von klassischen Kurzgeschichten bis zu Satiren oder Märchen alles dabei, Konventionelles und Überraschendes, Lustiges und Lächerliches, Mitreißendes und Reizloses.
Den Anfang bei den vier jüngsten Veröffentlichungen macht Luc Bellings An elo mol... op Lloret, der Bericht eines arroganten Luxemburger Abiturienten des hauptstädtischen Lycée de Garçons, der die Wochen zwischen dem Examen und der Verkündung der Resultate mit luftigen Zukunftsplänen verbringt, die sich, wie die Naivität des Protagonisten, seine Überheblichkeit und seine besserwisserische Art sehr bald vermuten lassen, als hinfällig erweisen werden. Dass diese Pointe bereits im Untertitel, Chronik vun engem annoncéierten Échec, verraten wird, wirft die Frage auf, warum in aller Welt man sich die Selbstbespiegelungen einer durch und durch unsympathischen Figur, die nicht überspitzt genug dargestellt wird, um witzig zu sein, überhaupt antun sollte – noch dazu während der Sommerferien.
Eine ähnliche Frage stellt sich bei Band 16 der Reihe, Maacht mer keen Ouer! von Karin Goedert. Die Autorin lässt den Leser in einem satirisch überzeichneten Erfahrungsbericht an den mehr oder weniger pädagogischen Überlegungen einer Grundschullehrerin teilhaben, die versucht, ihre Vorstellung von Unterricht mit einer leider krass abweichenden Realität in Einklang zu bringen. Goedert reiht typische Unterrichtssituationen aneinander, in denen zwar ein Schüler namens „Tunni Téinert“ wiederkehrt, die aber keine zusammenhängende Geschichte ergeben (und eine solche auch gar nicht anstreben). Der Text ähnelt in Tonfall und Gestus Roland Meyers Versuch in Zikelalarm seinen Lesern und Zuhörern die Unwägbarkeiten des luxemburgischen Grundschulsystems zu vermitteln. Auch bei Goedert entsteht eine kabarettistische Vorlage, die sich vor einer am Thema interessierten Zuhörerschaft (andere Grundschullehrer?) sicher gewinnbringend vortragen ließe, die einem allgemein literarisch interessierten Publikum aber vermutlich fremd bleiben wird.
Eine ganz andere Richtung schlägt Tullio Forgiarinis Kindergeschichte De Ritter an der Kartongsrüstung ein. Einerseits greift Forgiarini auf einen auktorialen Märchenonkel als Erzähler zurück, der eine Orientierung an den Konventionen des Märchens erwarten lässt, andererseits gibt er sich hingegen alle Mühe, die typischen Merkmale des Märchens mit ironischen Brechungen, etwa der Vorliebe der Hauptfiguren für Pizza und Gender-Diskussionen, zu unterwandern. Die Geschichte handelt von einem Jungen namens Kewen, der es trotz eines augenscheinlichen Mankos zu einigem Ruhm als Ritter bringt, weil er es versteht, Konflikte mit Drachen vernünftig zu lösen. Mit einer Haudrauf-Mentalität käme er auch nicht weit: Kewens Eltern können ihm nämlich keine Rüstung aus Metall kaufen, weswegen er sich aus Pappschachteln und Draht selbst eine gebastelt hat; als Pferd muss sein Hund Lotti herhalten. Kewens Begegnung mit einem geheimnisvollen schwarzen Ritter ist die Einleitung zu einer unerwarteten Freundschaft. Obwohl die Geschichte mit witzigen Einfällen aufwartet, wird sie Märchenliebhaber unzufrieden zurücklassen. Der Autor streicht nämlich mit dem Bösen ein tragendes Element aus der Typologie des Märchens – die Drachen ziehen dem Kampf gegen Ritter diplomatische Lösungen vor und die Dämonen, die den schwarzen Ritter plagen, bleiben gestalt- und inhaltslos. Am Ende bleibt das Hindernis, das offenbar hin zu einer glücklicheren Zukunft überwunden wurde, zu vage.
Nico Helmingers Erzählung Flakka sticht als der mit Abstand interessanteste Text aus den neuen Kremart-Veröffentlichungen heraus, eine Short Story, die mit Hilfe von Rückblenden nicht nur die Geschichte der Hauptfigur nach und nach aufdeckt, sondern auch die Geschichte einer Stadt. Nico Beires alias Nikos, alias „de Griich“, wie er aufgrund früherer Schulden von einer windigen Gestalt mit dem vielversprechenden Namen Monsanto genannt wird, macht im Verhör möglichst vage Aussagen. „Fir de Moment sidd Dir hei als Zeien“, präzisiert der Richter, „net als Ugekloten“ – Schuld oder Unschuld, Täter oder Mitwisser, wirklich eindeutig scheint die Art der Teilhabe der Figuren am Geschehen nicht zu sein, zu Beginn jedenfalls. Die Hauptfigur weiß auf jeden Fall mehr, als sie zugibt. Von einer Person namens Kitty, nach der der Polizist ihn fragt, hat Nico Beires gehört: „Ech hunn do eng Schécks, déi fir mech schafft, hat de Monsanto gesoot, Kitty la Bestiole.“ Die Worte sind in der Stammkneipe des Protagonisten gefallen, „am Tram, dee lo Trash heescht“ („Trash ass gutt, sot de Fuzz, well Trash, dat reimt op Esch!“). Der Untertitel des Textes, Esch-Trash, wird hier fast zum Gattungsbegriff: Dieses Esch wird von kaputten Typen, Prostituierten und halbseidenen Geschäftsmännern bevölkert, es herrschen Gewalt, Drogenhandel und Korruption; sein Misstrauen kann man entweder zur Paranoia anwachsen lassen oder im Alkohol ersäufen. Mit betont grober Sprache, Wortwitz, griffigen Dialogen und einer zügig vorangetriebenen Handlung schafft Helminger eine Stimmung wie im Film noir: bedrohlich, düster, pessimistisch. Ein Heidenspaß.