Vor dem Siegeszug der Kunststoffindustrie fertigten Horndrechsler Regenschirmgriffe, Knöpfe, Pfeifenmundstücke und Kämme aus Rinderhorn oder Schildpatt an. August Kohl aus Stadt-Luxemburg war Horndrechsler. Als er vergebens in Frankreich und Belgien nach Arbeit gesucht hatte, schiffte er sich am 24. August 1859 ein, um sechs Jahre lang in der niederländischen Kolonialarmee in Indonesien zu dienen.
Dass im 19. Jahrhunderts weit über 1 000 Luxemburger Söldner wie Sergeant Blèxem in Dicks‘ Ramplassang in Indonesien kämpften, ist völlig aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Dabei nahm sich von Pfarrer Martin Blum über die nationalsozialistische Forschungsstelle Volk und Raum bis hin zu zeitgenössischen Historikern die Geschichtsschreibung wiederholt ihrer an.
Jahrzehnte nach seiner Rückkehr schrieb August Kohl seine Erinnerungen nieder, als Reise und Soldaten-Leben eines Luxemburgers im Ost-indischen Archipel. Das Merscher Literaturarchiv, das 2011 von einem Nachfahren Kohls eine Handschrift erhielt – eine zweite, abweichende besitzt das Bistum – veröffentlichte nun den umfangreich kommentierten und illustrierten Text in der Originalschreibweise.
August Kohl erzählt in einem schmucklosen, naiven Ton, wie er an Bord eines Segelschiffs die Niederlande verließ, wie die Besatzung schon vor Lissabon rebellierte und mehrere Meuterer niedergeschossen wurden, wie er seine Äquatortaufe erhielt, das Kap der guten Hoffnung umschiffte und schließlich auf Java an Land ging. Nach einer sechsmonatigen Seereise fand sich der 25-jährige Infanterist in einer als fremd und feindlich empfunden Umwelt wieder: Schon nach wenigen Tagen wurde er zum ersten Mal von der Ruhr niedergestreckt. Bei den Gewaltmärschen während der Ausbildung „hatten wir jedesmal zwei bis drei Todten zu beklagen, welche durch den brennenden Sonnenstich getroffen tödlich zur Erde fielen“ (S. 66).
Seinen ersten Kampfeinsatz erlebte August Kohl auf Sulawesi. Dort ermordeten in einem der unzähligen Aufstände gegen das Kolonialregime die Bewohner „die ahnungslosen Plantagen Besitzer mit Frau und Kinder, welche Ihnen in die Hände fielen auf eine furchtbare Weise, verbrannten ihre schöne Villaen und verwüsteten ihre blühende Plantagen“ (S. 72). Als Kohls Kompanie 40 Aufständische gefangen nahm, beschloss der Kommandant, „diese Hunde“ nicht noch zu ernähren, „nein, sie werden einfach erschoßen“ (S. 77). Auf Borneo, wo „ein grausamer Fürst“ das „raubsüchtige Volk gegen die eueropäische ahnungslose Plantagen Besitzer und Soldaten“ zum Befreiungskrieg „aufgewiegelt“ hatte (S. 130), fiel August Kohl dem Feind in die Hände und kaufte sich unter romanesken Umständen frei.
Ohne sie politisch oder moralisch in Frage zu stellen, beschreibt August Kohl die Kolonialkriege in Indonesien mit dem dazugehörigen Rassismus als das, was sie für einen niederländischen Soldaten wohl waren: eine Folge von grausamen Strafexpeditionen, schweren Krankheiten, Meutereien und Schauergeschichten über wilde Menschen und wilde Tiere. Im Gegensatz zu Hunderten anderer Luxemburger, die Tropenkrankheiten zum Opfer fielen, konnte er schließlich im August 1865 die lange Heimreise zum mütterlichen Herd antreten.
In einem umfangreichen Apparat liefert Thomas Kolnberger mehr als 300 Fußnoten mit Erklärungen zu August Kohls Erinnerungen und deutet die Erzählstruktur etwas angestrengt als diejenige einer „kleinen Heldenreise“ (S. 168), während Helmut Lukas einen ebenso fachkundigen wie interessanten Überblick der niederländischen Kolonialpolitik im 19. Jahrhundert bietet. Norbert Franz beschreibt zwar die Entwicklung des Luxemburger Nationalstaats und der Festungsstadt, er geht aber leider nicht darauf ein, wie die Kolonialpolitik des niederländischen König-Großherzogs hierzulande wahrgenommen wurde – seit der Revolution von 1830 beispielsweise als unsinnige Belastung der Steuerzahler.