In einem seltenen Nachwort, das sein bereits Ende letzten Jahres erschienenes Bändchen ephemer abschließt, bedankt sich Jean-Paul Jacobs nicht nur bei seinem derzeitigen Verlag Binsfeld, sondern bei allen Verlegern und Mitarbeitern, die ihm im Lauf der vergangenen Jahrzehnte zu Veröffentlichungen in Luxemburg verholfen haben. Ohne sie und ihren Einsatz, so heißt es in diesem Nachwort, würde die Poesie „sich lautlos ins Private verabschieden müssen“. Was den Autor anbelangt, scheint diese Hypothese mittlerweile in Praxis übergegangen zu sein. ephemer sind seit Beginn des Jahres bereits zwei kurze Bände gefolgt, die der Autor mit Hilfe von Berliner Freunden als Privatdruck herausgebracht hat, lautlos, nämlich ohne eine anonyme Öffentlichkeit zu suchen, als Geschenk für ein paar geneigte Leser aus seinem Bekanntenkreis. Einer dieser Bände besteht in einem „intimen journal“, das in Form eines Tagebuchs für jeden Tag des Januars ein Gedicht anführt – wie als Beweis einer ungebrochenen Produktivität mit der die Mechanismen des Verlagswesens nicht länger Schritt halten können.
ephemer liest sich stellenweise wie die Ankündigung eines Rückzugs. Diese Lesart wird zum einen durch die Danksagung im Nachwort nahegelegt, die sich wie die Summe einer Dichterlaufbahn ausnimmt. Zum anderen kündigt sich ein solcher Rückzug bereits in der Überschrift des ersten von drei Teilen des Bandes an: „vor dem wald im zimmer“. Die Szenerien vieler der Gedichte bestehen aus Innenräumen – dem Krankenzimmer Carl Maria von Webers „in einem berliner gasthaus“, einer „gemütlichen barbierstube“, einem Salon mit Kamin („zu gast bei rahel varnhagen“) oder einer „kuscheligen bibliothek“. In vielen Gedichten ist Winter; es geht die Rede von einem „vereisten wald“, von „schneebedeckten vögeln“, von einer „glorreichen winterreise durch die alpen“. Nicht nur das Jahr lässt der Dichter zu Ende gehen; es ist die Zeit vor dem Schlafengehen – sei es nach getaner Arbeit („wir haben eben mond und sterne erschaffen/ und nun lasst uns schlafen gehen“), aus Behaglichkeit oder aus Snobismus (cf. „die arroganteste katze im unendlichen universum“). Fast sinnbildlich erscheint in diesem Zusammenhang eine Aufforderung an „die skurrilen knaben und mädchen“, „den kleinen hilflosen igel“ „in sein winterquartier“ zu tragen.
Pathos und großspurige Gesten sind diesem Dichter fremd. So muss der Leser denn ganz genau hinsehen, um die Schwermut zu erkennen, die mit Jacobs’ typischer Verspieltheit verwoben ist, seinem ausgeprägten Sinn für wahre wie erfundene Anekdoten, für Skurriles und Kurioses. Nicht zuletzt der Titel des Buches, das Binsfeld in dem gleichen unaufdringlichen Taschenbuchformat herausgebracht hat wie den Vorgänger (in der sänfte des apollofalters), deutet auf die feine Melancholie, die sich trotz gewitzter Pointen und schelmischer Bonmots als vordringliche Stimmung durchsetzt. Vergänglichkeit und Zueendegehen scheinen in den Bildern des Winters und des Schlafes als existentielles Moment durch. Es wird kein Zufall sein, dass das Ich dieser Gedichte Außerirdischen aus der Divina Commedia vorlesen will oder die Schönheit eines „lamento sopra la morte di ferdinando III“ hervorhebt.
Dieser ungewohnte Fokus auf Ende und Vergänglichkeit bleibt nicht ohne Auswirkung auf die für Jacobs typische poetische Selbstreflexion. Auch in diesem kleinen Band blitzen immer wieder pointierte Betrachtungen über das Wesen und den Stand der Poesie in den Gedichten auf. Wo der Dichter aber sonst gewandt zwischen Selbstbehauptung und Zweifel balancierte, wirkt die Haltung hier auffällig zurückgenommen. Er verstehe „überhaupt nichts von poesie“, lässt er einen jungen Prinzen zur Hofdichterin sagen, oder: er sei nur „der unsichere intendant (s)einer poesie“.
Mit der Einschränkung der Bedeutung des eigenen Tuns geht eine Note der Vergeblichkeit der Kunst im Allgemeinen und der Poesie im Besonderen einher: In einigen Gedichten stellt Jacobs die Musik in den Vordergrund, andere Texte gelten der Malerei. Eine Folge von sieben Gedichten wendet sich ganz der poetisch verdichteten Beschreibung „schöne[r] gemälde“ (1-7) zu.
Zum Thema der Vergänglichkeit gehört auch die Hervorhebung des Flüchtigen, des Traums, des Imaginären oder des Hörensagens. So lädt etwa der Dichter die Spatzen auf seinem Balkon, selbst Inbegriff der Bescheidenheit und Bedeutungslosigkeit, in sein „imaginäres kabinett der schönen dinge“ ein. So schlägt am Ende die Melancholie nie in Trostlosigkeit um, sondern wird zum Ausgangspunkt für neue poetische Ausformungen: nichts, was man in Stein meißeln wollte, sondern kleine Momente der Freude am gesuchten Detail, an der Vollendung der Form im Nebensächlichen.