Es sind oft die kleinen Dinge, die in Pit Hoerolds Werken zur Geltung kommen – eine kurze Begegnung, ein flüchtiger Eindruck, ein prägendes Detail. In komm mir mit liebe und auf, zu großer fahrt wird das Hauptaugenmerk wiederholt auf Beschreibungen des Banalen, des Unscheinbaren gelegt und es wird klar, dass kleine Dinge große Wirkung haben können.
Beide Werke enthalten Gedichte, die in den letzten 35 bis 40 Jahren entstanden sind und zum Teil bereits veröffentlicht wurden. Eine ganze Schar an Gedichten also, und doch finden sich immer wieder Gemeinsamkeiten. Viele der Gedichte sind typographisch und erinnern in ihrer Form an die Werke eines Mallarmé. Worte sind in Pit Hoerolds Lyrik mehr als nur ein Werkzeug zur Beschreibung. sondern werden wiederholt personifiziert: Mal sind es „hungerzeilen, die am dichterpelz nagen“, mal schreibt Pit Heroeld eine regelrechte Hymne an die Worte, so in „ach was, noah“ (auf, zu großer fahrt, S. 60) in dem es nicht Tiere, sondern Worte sind, die Noah mit auf die Arche nimmt, die sich paaren und von dessen Boot die „sprache schnellen satzes an land“ geht, und sich „wort für wort, auseinander“ lebt. In komm mir mit liebe finden sich zahlreiche Metaphern, in denen die Liebe zu einer Frau der Liebe zur Literatur gleichkommt, zum Beispiel wenn Pit Hoerold den Mund einer Frau mit einem unsterblichen Vers vergleicht (S. 28).
Trotz der Vielfalt an Gedichten lassen sich die beiden Werke kaum überfliegen. Dies insbesondere deswegen, da Pit Hoerolds Lyrik das Augenmerk auf Details lenkt. Dies ist besonders gut zu ehen in komm mir mit liebe. Liebe, Sehnsucht, Trennung, Einsamkeit sind einige der zentralen Themen. Doch Sehnsucht und Zuneigung verstecken sich nicht hinter großen Gesten; Sexualität und Intimität nicht hinter Klischees. Glück bedeutet, die Hand des Geliebten zu halten; Sehnsucht entsteht durch den Klang ihrer Schritte und die Erwartung einer Umarmung... Die Spannung wird zum Beispiel durch die Art und Weise aufgebaut, wie ein junges Mädchen ihre heiße Schokolade mit einem Strohhalm trinkt, oder durch die Beschreibung eines Körperteils: „ooohhhr, was die hört ohrsand zur muschel hin die ohren in artielleriestellung, purpurrot ihr widerschein“ (S. 15). Wichtig sind die Merkmale, die eine Person ausmachen, wie ihr Lachen oder ihre drei Sommersprossen (S. 34). Genau das macht Pit Hoerolds Lyrik so authentisch.
Thematisch vielfältiger sind dagegen die Gedichte in auf, zu großer fahrt. Vieles dreht sich um Heimat und Heimweh, Reisen und Fernweh, und immer wieder steht die vertraute Landschaft von Luxemburg und dem Umland im Vordergrund. Es sind aber nicht diese Gedichte, die der Leserin am meisten im Gedächtnis bleiben, sondern jene, die zum Nachdenken und Hinterfragen anregen. Eins davon ist „fußgänger ohne zone“ (S. 69-86), das den Alltag eines womöglich obdachlos gewordenen Dichters beschreibt: „weiß nun, was hunger, / was kälte ist / eine ungeheizte wohnung, / der entzug des wassers, des lichts, / fehlen wird mir auch / ein warmes bad“ (S. 86).
Nebst unzähligen Gedichten, die sich stärker mit Alltagsmomenten oder flüchtigen Eindrücken befassen, ist es willkommen, dass auch soziale Themen angesprochen werden und alltägliches Leiden und Verzweiflungslosigkeit prägnant in Worte gefasst werden. Gleich mehrere Gedichte in diesem Band beschäftigen sich mit Tod und Sterben. Besonders einschneidend ist „dein bild vor augen“ (S. 128), in dem die unangenehme, die mechanische Seite des Todes angesprochen wird. Mehr und mehr verschwindet der Tod aus unserer Gesellschaft, wird tabuisiert, der Sterbende wird ins Krankenhaus gebracht und das Leben künstlich verlängert. Sterben ist nichts Natürliches mehr, kein fortschreitender, abschließender Prozess, sondern wird durch Medikamente, Schläuche und Apparate hinausgezögert und genau das geht aus „dein bild vor augen“ hervor. Dargestellt wird der Urinbeutel, die Schläuche, der Verstorbene wird im Detail beschrieben und es gibt „kein / gesicht / keine / sense / kein flügel / rauschen des engels / dem bruder / kein bruder.“ Der Tod wird nicht beschönigt, es wird kein tieferer Sinn im Sterben gesucht. Sterben ist alltäglich und Teil des Kreislaufes des Lebens, nichts Majestätisches und auch nichts, das man tabuisieren sollte.
Auch mit politischen Themen befasst sich Pit Hoerold in seinem Werk und mit einem dieser Gedichte solldie Kritik abschließen, lässt sich doch eine erschreckende Parallele zur aktuellen Flüchtlingssituation ziehen. „jetzt“ (S. 150-153) heißt das Gedicht, und mit jetzt ist eigentlich der 28.3.1999 gemeint, beschrieben wird das Schicksal der Menschen im Kosovokrieg: „keine zeit“ ist, „einen koffer zu packen, einen mantel / überzustreifen / das weniger / als nichts auf den karren zu werfen [...] / die menschen- / schmuggler haben hochkonjunktur, / übers meer, / über den pass / mit gefälschtem paß, die reisekasse / bis auf den glückspennz leer, / ankunft“ (S. 153).
Fast eins zu eins passt die Beschreibung auf das Leid der Flüchtlinge heute, der Opfer von Bürgerkriegen und Verfolgung, sei es in Syrien oder anderswo. Und genau hier zeigt sich, was gute Literatur ausmacht. Sie ist universell, lässt sich immer neu entdecken und interpretieren und auch wenn dies bei „jetzt“ auch oder größtenteils durch die traurige politische Realität der Fall ist, so zeigt sich diese Phänomen insgesamt in beiden Werken von Pit Hoerold. In vielen der Gedichte kann sich der Leser wiederfinden, mit vielem kann er sich identifizieren, wenn auch nicht jedes der Gedichte die Tiefgründigkeit der hier angesprochenen Auszüge hat. Doch auch die Leichtigkeit manch anderer Gedichte, die Darstellungen von flüchtigen und doch so wertvollen Momente und Erfahrungen, oder die Beschreibungen der heimischen Landschaft, haben ihr Gutes und so ging der Leserin eines beim Lesen immer wieder durch den Kopf: Es sind die kleinen Dinge....