Im Jahr 1472 gründeten Stadtobere im toskanischen Siena einen „Berg der Barmherzigkeit“, eine Art Pfandleihgeschäft, um den Armen in der Umgebung kleine Kredite zu geben. 1624 erfolgte eine Reform. Aus dem Pfandleiher Monte Pio wurde Monte dei Paschi di Siena. Ferdinand II., Großherzog der Toskana, Sohn von Cosimo II. de’ Medici und der Erzherzogin Maria Magdalena von Österreich, erteilte den Kunden des Instituts eine Staatsgarantie auf der Grundlage des Einkommens aus den staatlichen Weidegebieten, den Paschi, die man als Hintergrund unter mit Wattebauschwolken bestücktem blauen Himmel der Gemälde der italienischen Renaissance-Maler und vom Toskana-Urlaub her kennt. „It is especially meaningful that the Grand Duke asked in return to be indemnified by the entire citizenry of Siena for any losses he might incur. On this foundation, Monte dei Paschi was able to consolidate and increase its banking activity in the seventeenth and eighteenth centuries. Thus the bases were created for its considerable expansion right after national unification, and even more significantly in the twentieth century”, heißt es im 21. Jahrhundert auf der Webseite der Bank, die nach der Reform ihr Geschäft mit Landkrediten ausbaute.
Monte dei Paschi di Siena (MPS) hat 544 Jahre ununterbrochener Geschäftsaktivität auf dem Buckel und ist damit die älteste Bank der Welt. Wenn am 29. Juli die Ergebnisse des neuen Bankenstresstests der Europäischen Bankenaufsicht Eba veröffentlicht werden, ist sie eines der italienischen Institute, bei denen wahrscheinlich ein Kapitalmangel festgestellt werden wird. Das ist aus vielerlei Gründen ein einigermaßen großes Debakel.
Seit dem Ausbruch der Finanzkrise hat MPS bereits mehrere Rettungen und Kapitalerhöhungen hinter sich. Als 2014 die großen Eba-Stresstests vor der Übernahme der Bankenaufsicht durch die EZB erfolgten, fielen 25 Banken durch, davon allein neun in Italien, denen zehn Milliarden Euro an Kapital fehlten. Für MPS, die drittgrößte italienische Bank, wurde ein Kapitalbedarf von 2,11 Milliarden Euro festgehalten. Pläne, wie dieses Geld aufgetrieben werden sollte, wurden aufgestellt, wie bei den anderen durchgefallenen Banken auch. Die italienischen Behörden kritisierten den Aufbau der Stresstests an sich, glaubten aber an die Kapazität der Banken, das notwendige Kapital aufzutreiben.
Dass MPS und weitere italienische Institute erneut riskieren, durchzufallen, ist eine Schlappe für die EZB und stellt deren Glaubwürdigkeit als oberste Bankenaufsicht in der Eurozone in Frage. Dass die Europäische Zentralbank zu diesen Ehren kam, war Bedingung der deutschen Regierung dafür, dass Banken ohne Umweg über die nationalen Haushalte aus dem gemeinsamen Rettungstopf rekapitalisiert werden könnten. So sollte der Teufelskreis zwischen staatlich finanzierten Bankenrettungen, dadurch steigenden öffentlichen Schulden, öffentlicher Schuldenkrise, die in den Büchern der Banken zum Problem wurden, gebrochen werden.
Die EZB sollte für die Qualität der Aufsicht bürgen, also sicherstellen, dass nationale Aufsichtsbehörden keine Politik vom Turm der jeweiligen eigenen Chiesa betreiben, während alle dafür haften müssen. Eben deshalb wurden die großangelegten Stresstest durchgeführt, bevor die EZB die Aufsicht übernahm. Sie waren als Großreinemachen vor diesem Wechsel gedacht, was auch mit Haftungsfragen für die Zeit danach zu tun hatte. Jedes Land sollte bitte noch die Rechnung bezahlen, damit nachher niemand auf die Idee kommen könnte, die EZB selbst in der Verantwortung zu sehen – zumal die weiteren Teile der europäischen Bankenunion, gemeinsame Einlagensicherung und Bankenabwicklungsfonds damals noch nicht bereit waren.
Seither ist viel passiert. Nicht nur dass die EZB durch den einheitlichen Aufsichtsmechanismus SSM die Aufsicht der Banken übernommen hat. Am 1. Januar 2016 trat auch die Abwicklungsrichtlinie, die einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus, mit dazugehörigem Entscheidungsgremium in Brüssel, in Kraft. Die Richtlinie mit dem barbarischen Kürzel BRRD schreibt vor, wer in welcher Reihenfolge in die Tasche greifen muss, wenn eine Bank Solvenzprobleme hat. Nämlich zuerst die Aktionäre, deren Bankanteile an Wert verlieren, dann die Besitzer von Bankanleihen, die in Aktien umgewandelt werden und dann an Wert verlieren, dann die reichen Kunden mit Einlagen von über 100 000 Euro. Dadurch sollte das subjektive Risiko, der viel beschworene moral hazard, reduziert werden, also verhindert werden, dass Bankmanager sich verantwortungslos verhalten, um ihren Investoren eine Rendite, beziehungsweise sich selbst einen Bonus zu verdienen. Und wenn das schiefgeht, die Investoren in Bankanleihen ihre vollen Ansprüche behalten, während die Staaten Steuergelder in die Banken pumpen, mit denen dann Anleihezinsen ausbezahlt werden. Das unabhängige Abwicklungsgremium soll dafür sorgen, dass keine Regierung mehr auf die Idee kommt, ihre Banken doch noch zu retten, obwohl sie marode sind.
Auch die italienischen Banken unternahmen einiges, um Kapital zu finden. Sie emittierten Anleihen. Zwischen 20 bis 30 Milliarden Euro davon befinden sich Marktschätzungen zufolge im Besitz von Kleinanlegern und Sparern, die nach den Finanzturbulenzen der vergangenen Jahre vielleicht auch das Gefühl hatten, solche Anleihen seien sicherer, als das Bargeld auf dem Giro- oder Sparkonto zu halten. Außerdem gab es steuerliche Anreize für sie, solche Anleihen zu kaufen. Dieser Umstand stellt die Abwicklungsdirektive, die dafür sorgen soll, dass die „großen“ Investoren zuerst und die „kleinen“ Sparer zuletzt haften, auf den Kopf und stellt die italienische Regierung und damit die EU vor ein nicht unerhebliches Problem.
Durch das Referendum über den Ausstieg Großbritanniens aus der E, ist der Blick auch auf sonstige Probleme gefallen, die in der EU vor sich hergeschoben werden. Zum Beispiel der überdurchschnittlich hohe Prozentsatz an notleidenden Krediten in italienischen Banken. Nach den angepassten europäischen Regeln darüber, was ein notleidender Kredit ist, sollen es 360 Milliarden Euro sein. Nach dem Referendum brachen italienische Bankaktien ein. Bereits vergangenen Dezember beging ein Rentner Selbstmord, nachdem seine Anlage in Banca Etruria wertlos wurde. Er war einer von 130 000 Anlegern, die für ein Vier-Milliarden Bail-in gerade standen. Soll es nun ein weiteres geben? Italien und die EU-Kommission verhandeln seit geraumer Zeit darüber, ob Rom einspringen darf, um seine Banken zu retten. Für die Regierung steht einiges auf dem Spiel. Sollten abertausende Italiener ihr Erspartes verlieren, riskiert sie das für den Herbst anberaumte Referendum über die Verfassungsreform zu verlieren, durch die Senat und Parlament umgebaut werden sollen. Sollte es danach Neuwahlen geben, hat die euroskeptische Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo warscheinlich keine schlechten Chancen. Sie führt in den Umfragen und gerade wurde eine ihrer Kandidatinnen zur Bürgermeisterin von Rom gewählt.
Die Probleme sind nicht neu, und umso erstaunlicher ist es, dass die italienische Regierung keine großangelegte Rettungsaktion für ihr Bankensystem startete, bevor Anfang dieses Jahres die BRRD-Direktive ein solches Eingreifen schwieriger macht. Am Dienstag äußerte sich der Europäische Gerichtshof in einem Urteil über slowenische Bankenrettungen aus dem Jahr 2013 darüber, ob die Besitzer von Bankanleihen zur Kasse gebeten werden müssen, bevor ein Staat einspringen darf oder nicht, wenn die EU-Kommission entscheidet, ob es sich dabei um Staatsbeihilfen handelt oder nicht. Zwar gab es damals noch keine BRRD-Richtlinie. Das Urteil besagt, dass Bankanleihen nicht zwingend vor einem staatlichen Eingriff geschreddert werden müssen, Staat und Bank dann aber das Risiko eingehen, dass die Staatsgelder zurückgezahlt werden müssen. Die Meinungen darüber, ob das Italiens Position stärkt oder schwächt, gehen weit auseinander. Die EU-Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager sah sich auf jeden Fall bestätigt und an der Börse fielen die Kurse italienischer Banken.
So sucht die italienische Regierung nun nach einer Lösung, die private Investoren involviert, womit staatliche gehaltene Banken und Pensionsfonds gemeint sind. Denn auch der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hat bereits angedeutet, dass er sich für Ausnahmen von den neuen Regeln, die staatliche Bankrettungen verhindern sollen, wenig erwärmen kann. Es geht darum, etwa zehn Milliarden notleidende Kredite abzusichern und rund fünf Milliarden Kapital für MPS zu finden. Viel oder nicht viel Geld? Im Vergleich zum finanziellen und politischen Schaden der ohne Rettung entstehen könnte, ist das relativ. Im Endeffekt ist es vielleicht der Preis für das Überleben einer pro-europäischen Regierung.
Die Frage, die es in den nächsten Tagen und Wochen zu beantworten gilt, ist die, ob ein Land es sich erlauben kann, seine großen Banken nicht zu retten – zumal wenn einige Marktbeobachter die Situation mit „Europas Lehman Brothers“ betiteln.Und wie es erneut zu einer solchen Situation kommen konnte, nachdem die EZB die Bankenaufsicht übernommen hat, und was das für die Stabilität des europäischen Bankensystems insgesamt bedeutet. Mit Lehman Brothers gründete MPS übrigens noch im Juli 2008 ein Joint Venture zum Eintreiben von notleidenden Krediten.