D’Lëtzebuerger Land: Herr Kox, ist Luxemburg ein Steuerparadies oder nicht?
Henri Kox: Ich denke nicht. Wir haben nur das ausgenutzt, was die internationale Regulierung zugelassen hat, auf eine ganz intelligente Art, wodurch jedoch der moralische Charakter des Geldes nie hinterfragt wurde. Das ist aber eine Frage, von der wir schon lange fordern, dass sie in den Vordergrund gestellt wird: Was passiert, wenn wir alle Nischen ausnutzen, die auf globaler Ebene Probleme auslösen? Das gilt nicht nur für die Finanzwelt. Es gilt für den Ressourcenverbrauch allgemein, der gerechter werden muss. Das gilt umso mehr für die Finanzwelt, weil wir ein offenes Land sind und dies umso mehr ausgenutzt wurde. Wir haben davon profitiert. Unser Reichtum ist nicht nur Luxemburg geschuldet. Das war schon bei der Stahlindustrie so ...
Sie holen sehr weit aus. Ist Luxemburg heute ein Steuerparadies?
Heute bin ich auf einer Linie mit dem Finanzminister, der in den vergangenen Jahren versucht hat, uns aus den Nischen heraus und von den schwarzen Listen runter zu führen. Er hat versucht, uns sauberer, transparenter, nachvollziehbarer und, international gesehen, korrekter aufzustellen. Das ist ihm gut gelungen. Da gab es eine seltsame Regulierung, bei der wir alles ausgenutzt haben, was möglich war und sie stand deswegen in der Kritik. Jetzt haben wir uns dem OECD-Standard angepasst. In der Diskussion in der parlamentarischen Haushalts- und Finanzkommission wollte die CSV da weiter gehen, weil wir nicht alles ausgenutzt haben, was möglich gewesen wäre.
Sie sind also der Meinung, heute ist Luxemburg sauber?
Ich glaube, wir sind dabei, sauber zu werden.
Ihr Parteifreund, der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold, sieht das anders. Er sagt immer wieder, mehr oder weniger explizit, Luxemburg sei ein Steuerparadies. Ihre Partei hat diesen Mann früher nach Luxemburg eingeladen, um ihr während Pressekonferenzen bei der Oppositionsarbeit gegen die damalige Regierung zu helfen...
Wir stehen auch heute noch im Austausch. Wir haben eine gut funktionierende Europaparlamentsfraktion, in der Claude Turmes eine ganz aktive Rolle spielt. Auf der Ebene führen wir viele Diskussionen über die europäische Finanzpolitik und wie sie gestaltet werden soll. Wir sind in diesem Kontext für eine Harmonisierung der ganzen Politik. Da sind wir uns als Luxemburger Grüne in vielen Punkten mit Sven Giegold einig. In der Form und in der Umsetzung haben wir durchaus andere Wege zu gehen, was die Geschwindigkeit anbelangt, den Rahmen, das, was dahinter steckt.
Heißt das, Sie sind für die Harmonisierung der Bemessungsgrundlage und des Steuersatz für Firmen in der EU?
Was im Moment geschieht, können wir nicht zulassen. Denn es führt zu Situationen, in denen die Finanzierungsfähigkeit des Staates in Frage gestellt wird. Wir sind also für eine teilweise Harmonisierung, die natürlich auf verschiedenen Bemessungsgrundlagen geschehen sollte, weil es eine hundertprozentig einheitliche Harmonisierung nicht geben kann. Dafür müsste man die sozialen und ökologischen Standards anpassen. Deshalb wird es immer Unterschiede zwischen den europäischen Ländern geben. Aber sie dürfen sich nicht gegenseitig unterbieten, da muss es eine Untergrenze geben.
Was ist konkret unter einer teilweisen Harmonisierung zu verstehen?
Ich kann keine Zahl nennen.
Aber Sie sind dafür, dass der Steuersatz für die Körperschaftssteuer harmonisiert wird?
Ja, und die Bemessungsgrundlage. In Luxemburg wurde bisher gesagt, wir haben einen hohen Satz und eine kleine Bemessungsgrundlage und ich hätte gerne darüber diskutiert, dass wenn wir den Satz senken – das haben wir gerade gemacht –, wir dann schauen, was und wer besteuert wird. Das ist eine Diskussion, die wir offen und transparent führen wollen.
Sie sprechen die Steuersenkung für Unternehmen an, die die Regierung mit der Steuerreform durchgeführt hat. Aber was soll auf europäischer Ebene harmonisiert werden?
Es geht darum zu verhindern, dass den Staaten die Substanz verloren geht, weil wir die Steuern immer weiter nach unten drücken. Sie brauchen ein gewisses Steueraufkommen zum Funktionieren. Es gibt die Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der eine klarere Finanzpolitik auf europäischer Ebene definieren möchte. Wird der Brexit Realität wird, müssen verschiedene Länder mehr Geld einzahlen. Dieses Geld muss irgendwo herkommen und deswegen muss es eine Untergrenze geben. Die Breite der Bemessungsgrundlage muss diskutiert und die Blackbox-Geschichten, um die Besteuerung zu umgehen, müssen so weit wie möglich abgeschafft werden. Es gibt eine Basis zur Diskussion, die auch mit der über eine gemeinsame Ausrichtung der Wirtschaftspolitik zusammenhängt sowie den sozialen und ökologischen Standards.
Apropos ökologische Standards: Die Grünen haben in der Vergangenheit das Schlagwort aus dem Umweltbereich pollueur-payeur benutzt, um zu fordern, die Banken müssten für die von ihnen während der Finanzkrise verursachten Schäden zahlen. Sie warnten eindringlich vor der steigenden Staatsschuld und „dass wir nicht auf Kosten anderer Generationen leben dürfen“. In der Opposition plädierten Sie außerdem für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Aber auch diese Regierung unter grüner Beteiligung hat ihre Beteiligung an BGL und Bil nicht verkauft und die Schulden für diese Bankrettungen liegen immer noch beim Staat. Noch hat sie sich der Initiative zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer angeschlossen. Sind Sie weiterhin für eine solche Steuer?
Also, Regierung und Programm sind ja zwei verschiedene Paar Schuhe. Wir können die Finanztransaktionssteuer immer noch als flottes Instrument sehen. Würde sie auf europäischer Ebene diskutiert und angewandt würden und mit den Einnahmen sinnvolle Politiken finanziert, ist das durchaus eine Diskussion, die man führen könnte. Es wird immer das Level Playing Field ins Feld geführt...
... vor ein paar Jahren störte es Sie nicht, dass es ein solches auf globaler Ebene nicht geben würde. Das war immer das Argument von CSV-Finanzminister Luc Frieden gegen eine solche Steuer.
Es ist auch das Argument des CSV-Abgeordneten Laurent Mosar. Ich denke, wenn die Europäische Union als Basis für die Anwendung gilt, ist ein einsatzbares Instrument. Es kann nicht sein, dass das Level Playing Field immer angeführt wird, um jede Initiative im Keim zu ersticken. Dass wir in dieser Regierung in einigen Bereichen nicht alles umsetzen konnten, was im grünen Wahlprogramm stand, ist klar. Da geht man Kompromisse ein.
Die Schuldenentwicklung habe ich als Haushaltsberichterstatter vor drei Jahren ab 2001 analysiert. Der Apel fir den Duuscht, den der Staat damals hatte, wurde über eine Steuerreform verteilt, und das nicht nur an die Haushalte, sondern auch an die Unternehmen. Alles in allem wurden zwei Milliarden Euro ausgeteilt. 2008 sind die Schulden explodiert, weil der Staat die Banken stabilisiert hat. Dieses Geld ist aber nicht verloren. Ich bin kein Finanzexperte, der jeden Tag den Börsenkurs studiert. Aber anscheinend sind die Papiere nicht so schlecht bewertet. Diese Beteiligung muss einmal richtig valorisiert werden und dieses Geld im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung für Luxemburg investiert werden.
Der eventuelle Verkaufserlös sollte also nicht benutzt werden, um Schulden abzubauen?
Das „AAA“ von Luxemburg wurde erst kürzlich wieder bestätigt, ohne dies überbewerten zu wollen. Wir reden hier von einem Schuldenstand von 23 Prozent im Verhältnis zum BIP. Auch wir haben in der Vergangenheit immer davor gewarnt, eine Hypothek auf die Zukunft der jungen Generationen aufzunehmen, weil wir zu hohe Schulden hatten. Ich glaube aber, dieser Schuldenstand ist tragbar. Längerfristig sind andere Kriterien wichtig. Das hängt ja mit der Entwicklung Luxemburgs zusammen, damit, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt, ob man diesen umkrempeln muss. Unser Parteipräsident (Christian Kmiotek, Anmerkung der Redaktion) hat „Fuß vom Gas“ gesagt, was die wirtschaftliche Entwicklung angeht, und es bleibt abzuwarten, an welche Kriterien das künftige nachhaltige Wachstum gebunden wird.
Die Debatte um das nachhaltige Wachstum kreiste bisher eher um Industriebetriebe. Die größte Wirtschaftsbranche ist aber der Finanzsektor. Sind Sie also der Meinung, dieser müsse in seiner Entwicklung gebremst werden? Muss auch die Finanzbranche den „Fuß vom Gas“ nehmen?
Das gilt für alles.
Wie würde man das machen?
Wir sagen ja nicht, dass wir kein Wachstum wollen. Wir wollen mehr Windräder und mehr Solarflächen auf den Dächern.
Aber in welchen Bereichen soll die Finanzbranche wachsen und in welchen nicht?
In den grünen Finanzen. In der Übergangsphase, bis zum Erreichen der Klimaziele, gibt es Möglichkeiten. Nehmen Sie das Beispiel der EIB und des Juncker-Plans, bei dem 70 Prozent der Investitionen in nachhaltige Technologien fließen. Es geht dabei um die Hebelwirkung, das heißt, die öffentliche Hand hilft, das Risiko mitzutragen, und die Privatinvestoren müssen die Gelder finden, um in die Übergangsphase mit einzusteigen. An der Börse sind wir in den grünen Finanzen schon nicht schlecht aufgestellt und dies ist der Bereich, in dem wir gerne Wachstum sehen würden. Wir möchten einen attraktiven Finanzstandort, der international orientiert ist und der Finanzierungsmöglichkeiten für diese Bereiche bietet.
Wie würden sie die Weiterentwicklung der grünen Finanzen fördern? Mit welchen Instrumenten lässt sich das bewerkstelligen?
Ich bin kein Finanzexperte, der alle Details diskutieren kann. Ich weiß aber, dass wir erstens Länder und Projekte bei der Klimaanpassung identifizieren können. Wir sind durch die Teilnahme an der Klimakonferenz in Paris auf der Landkarte angekommen, wir haben international eine gewisse Glaubwürdigkeit, auch wenn in Luxemburg nicht immer alles umsetzbar ist. Wir würden gerne zusammen mit der EIB internationale Investitionsprojekte identifizieren. Es gibt beispielsweise einen Waldfonds, um die Aufforstung voranzutreiben. Es sind diese Bereiche, die mit sozialen und ökologischen Kriterien ausgestattet werden müssen, und in denen zudem die Forschung und Entwicklung vorangetrieben werden muss.
Ist der Bereich grüne Finanzen einer, der Ihrer Meinung nach so an Bedeutung gewinnen kann, dass er die traditionellen Standbeine des Finanzplatzes ersetzen könnte?
Im Moment wird ja eine abschließende Diskussion über die Externalisierung der Wirtschaftsmodelle geführt. Das beginnt mit einer Kohlendioxidsteuer, die wenig diskutiert wird. Den erneuerbaren Energien wird immer vorgeworfen, sie seien zu teuer, im Vergleich zur Atomenergie beispielsweise oder fossilen Energien, aber die externalisierten Kosten werden in dieser Rechnung nicht berücksichtigt. Wir brauchen deshalb diese Diskussion über die Externalisierung der Kosten. Und eine, über die Lebensmittel, denn im Preis von Bio-Produkten sind die Folgekosten schon stärker integriert als bei herkömmlichen Produkten, weil ihre Produktion weniger Schäden verursacht ...
Inwiefern ist das eine Antwort auf die Frage, wie die grünen Finanzen groß werden können ...
Durch Druckausübung.
Anders gefragt. Islamische Finanzen wurden jahrelang als ethisch lupenreine Anlagen gepriesen, als Geschäftsmöglichkeit, die es zu entwickeln gelte. Daraus ist nicht viel geworden. Bei der Mikrofinanz verhält es sich ähnlich. Sie sprechen von grünen Anleihen, die an der Luxemburger Börse gelistet sind, deren Volumen im Vergleich zu den herkömmlichen Anleihen aber mikroskopisch ist. Wissenschaftler hinterfragen, inwiefern es sich bei solchen Produkten um green washing handelt. Wie realistisch ist es vor diesem Hintergrund, dass sich die grünen Finanzen zu einer ähnlich gewichtigen Sparte entwickeln, wie die Fondsbranche oder der Privatbankbereich?
Wie realistisch ist es, dass wir allgemein eine nachhaltige Entwicklung auf der Welt einleiten können? Wie realistisch ist es, dass es morgen keinen Krieg mehr gibt? Ich kann da nur mit Gegenfragen antworten, weil ich nicht aufgeben will. Wir kämpfen darum. Wir versuchen unsere Argumente einzubringen, damit wir auf eine ethischere, sozial und ökologisch gerechtere Welt hinsteuern, und da gibt es Instrumente, die wir mobilisieren müssen. Die Green-Washing-Problematik gab es anfangs auch beim grünen Strom und es gibt sie immer auch bei den Finanzen, die sich als Wirtschaftsbranche verselbstständigt haben. Aber hinter den Finanzen stehen immer soziale und ökologische Kriterien, gibt es Menschen, Welten und Tiere. Das gehört in den Vordergrund, beispielsweise wenn es um die Investitionen der Rentenreserven geht, damit keine Perversionsprojekte mitfinanziert werden. Das wird zunehmend schwierig, da beispielsweise große Unternehmen wie Nestlé, in die Biobranche einzusteigen ...
Ist „Bio für alle“ nicht das, was Sie wollen?
Doch, doch. Aber handelt es sich dabei um ein grünes Mäntelchen oder nicht? Eine Firma, die Stahl für Windräder und gleichzeitig für Kanonen und Panzer herstellt?
Welche Aktivitäten wollen Sie denn nicht mehr sehen am Luxemburger Finanzstandort?
Die Aktivitäten, die international ohnehin am Pranger stehen. Das braucht man nicht mehr sagen: Mafiagelder und andere Gelder, die hier versteckt werden und von dubiosem Ursprung sind – das wird unterbunden, indem alles transparenter gemacht wird. Der Austausch zwischen Steuerbehörden dient dazu, Gelder, die im Ausland verdient werden, und dann, sage ich mal, auch noch auf legalem Wege hier investiert werden, dass die nicht versteckt werden. Damit sie offengelegt sind, sie nicht an den Steuerbehörden vorbei geleitet werden, weil das die die Existenzmöglichkeit der Nachbarn untergräbt. Da sollten wir noch sauberer werden und noch transparenter auf den Austausch von Informationen pochen. In Europa wird es diesbezüglich zu einer immer größeren Anpassung kommen und wir müssen verhindern, dass auf internationaler Ebene in anderen Ländern schwarze Schafe weiter existieren. Dafür brauchen wir ein starkes Europa, das eine starke Stimme hat, und wir sollten weiterhin Vorreiter bleiben. Die grünen Finanzen; also die Börse, die hat ein Prozent an grünen Anleihen, das ist homöopathisch, das muss man klar sagen. Aber die erneuerbaren Energien waren das vor 15 Jahren auch.
Ein Prozent wovon?
Ein Prozent am gesamten Energievolumen. Heute beträgt der erneuerbare Anteil am Strom zum Teil 30 Prozent und am gesamten Energievolumen zwölf Prozent. Vor 15 Jahren hieß es noch: Das ist nicht möglich. Heute kann man also fesstellen: Ein Prozent in einem Bereich ist wenig, aber wenn wir heute anfangen, zu diskutieren, Kriterien festzulegen und weiter Werbung zu machen, muss das kein Nischenprodukt bleiben, sondern kann eines der Hauptprodukte Luxemburgs werden. Deswegen muss man anfangen, dies offensiv zu verteidigen. Ich muss sagen, ich hätte mir einen Finanzminister Luc Frieden nicht vorstellen können, wie er auf einer Cop Produkte vorstellt, die mit einer Klimakonferenz vereinbar sind. Für mich ist das ein positives Signal, auch wenn dies nicht die Welt oder den Luxemburger Finanzplatz retten wird. Es ist ein Zeichen, dass wir in diese Richtung weitergehen können.
Mit Luc Frieden wäre die Vorstellung von grünen Produkten bei der Weltklimakonferenz nicht möglich gewesen?
Ich behaupte das mal so.
Es wird viel spekuliert, die nächste Regierung werde eine Koalition zwischen Ihrer Partei und der CSV. Wenn Umfragen nicht völlig falsch liegen, ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass die CSV den nächsten Finanzminister stellen könnte. Das wäre nicht Luc Frieden, aber wie sehen Sie die mögliche Zusammenarbeit mit einem CSV-Finanzminister, in diesen Bereichen?
Wir haben den Anspruch, gestärkt aus diesen Wahlen herauszugehen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten für die nächste Regierung. Das ist eine Fortführung dieser Koalition, allen Unkenrufen zum Trotz. Wir arbeiten bis zum Schluss, damit diese Koalition eine positive Bilanz ziehen kann. Wir schreiben ein Wahlprogramm. Dafür haben wir bereits einige Punkte besprochen, die auch von den aktuellen Koalitionspartnern nicht alle geteilt werden. Das ist die Basis für ein Koalitionsabkommen. Zur Fortsetzung der Dreierkoalition ist eine Option hinzugekommen, eine schwarz-grüne Option, die es vorher nicht gab.
Wieviel Spielraum haben Sie? Sie haben mit den aktuellen Koalitionspartnern einen Vertrag unterschrieben, der die Einführung fiktiver Zinsen vorsah.
Das wurde ja nicht umgesetzt.
Aber was wären Sie denn bereit, mit einer CSV zu unterschreiben?
Darauf kann Henri Kox keine Antwort geben. Unser Wahlprogramm steht noch nicht endgültig fest.