D’Lëtzebuerger Land: Herr Fayot, haben Sie den Eindruck, dass die öffentliche Debatte dem Gewicht der Finanzbranche in der nationalen Wirtschaft gerecht wird? Um es anders zu formulieren: Ist das Parlament dem Finanzplatz gewachsen?
Franz Fayot: Das ist eine komplizierte Frage. Im Parlament gibt es wenige Abgeordnete, die sich mit dem Thema beschäftigen und Hintergrundwissen haben, sei es aus ihrer beruflicher Erfahrung oder aus Interesse. Es gibt einige, die sich mit Steuerrecht auskennen, weil sie Beamte waren, oder einige, die Anwalt sind, wie ich oder auch Laurent Mosar (CSV). Abgesehen davon, gibt es nicht viele, die sich damit beschäftigen. Außerdem herrscht eine Ungleichheit der Waffen zwischen Parlamentariern und Ministerialbeamten, wenn es um sehr technische Richtlinien geht. Letztere verhandeln diese Texte in Brüssel, wandeln sie in Gesetzesvorlagen um, die sie im Parlament vorstellen. Im Ergebnis gibt es wenige Abänderungsanträge und kaum eine kritische Auseinandersetzung mit den Vorlagen. Das hängt natürlich auch mit der Vorgabe „la directive, rien que la directive“ zusammen. Diese liberale Ausrichtung in Sachen Finanzmarktregulierung könnte man natürlich auch einmal in Frage stellen, prüfen, welche Optionen man bei verschiedenen Richtlinien nehmen könnte. Aber trotz meiner Versuche in den vergangenen Jahren, eine andere Glocke zu läuten und auf einen bedachteren Ausbau des Finanzplatzes zu setzen, herrscht ziemliches Einheitsdenken darüber, dass der Finanzplatz weiter beworben und ausgebaut werden muss. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, denen der Finanzplatz immer suspekt war, die aber auch nicht viel davon verstehen. Ich denke, so lassen sich die bisher vorherrschenden Positionen resümieren, ich glaube aber, dass sich dies derzeit ein wenig verändert.
Wodurch?
Einerseits durch die Wirkung der Finanzkrise. Und andererseits durch die ganzen Skandale, die es in den vergangenen Jahren gegeben hat. Luxleaks und die Panama-Papiere haben ein größeres Bewusstsein geschaffen für den Zusammenhang zwischen Private Banking und Finanzbeteiligungsgesellschaften sowie den Möglichkeiten zur Steueroptimierung und -strukturierung, auf den denen sie in hohem Maße beruhen, und dafür, dass dies international immer umstrittener wird.
Sie haben als Anwalt die Insolvenz von Kaupthing geleitet, haben also Erfahrung aus erster Hand und konnten sozusagen im Feld beobachten, was in den vergangenen zehn Jahren seit Ausbruch der Finanzkrise passiert ist. Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Änderungen, die es seither gegeben hat, wenn man berücksichtigt, dass die Abschaffung des Bankgeheimnisses nicht zu dem vom Codeplafi befürchteten Verlust von zehntausenden Stellen geführt hat?
Die Abschaffung des Bankgeheimnisses ist natürlich trotzdem eine Zäsur, weil sich dahinter eine ganze Industrie versteckte, die kleinere vermögende Kunden aus den Nachbarländern bediente, von der immer ein latentes Risiko ausging, dass die Reputation Schaden nimmt. Vielleicht wurde am Bankgeheimnis zu lange festgehalten durch die bewusste Politik, so lange Obstruktion zu machen, bis es wirklich nicht mehr ging. Der Abschied von diesem Geschäftsmodell, das auf den belgischen Zahnarzt aufbaute, hat aber auch den Weg geebnet für ein vielleicht noch gefährlicheres Private Banking, das Kunden bedient, bei denen man wirklich nicht mehr nachvollziehen kann, wo ihr Wohlstand herrührt. Auf internationaler Ebene ist die Bankenunion mit der neuen Aufsichtsstruktur, strengen Regeln zum Risikomanagement und den neuen Verdienstregeln für Bankmanager eine Entwicklung, die sicher in die richtige Richtung geht, die aber den Fortbestand kleinerer Bankhäuser gefährdet. Seltsamerweise hat die Finanzkrise in der Branche nicht zu einem größeren Bewusstsein für den verursachten Schaden geführt – die Suche nach dem größtmöglichen Gewinn geht weiter, als ob nichts passiert wäre. Der Rahmen hat sich verändert, aber die Kultur bei manchen Akteuren eigentlich nicht; das kann man im Bereich Private Banking sehen, wo beispielsweise die Banque Rothschild weiterhin sehr hohe Risiken eingegangen ist und deswegen auch von der CSSF mit einer schweren Geldstrafe bestraft wurde. Und dafür gibt es noch andere Beispiele. Dass es auf steuerlicher Ebene viel mehr Transparenz gibt, mehr Informationen ausgetauscht werden, ist sicher Ergebnis der diversen Steuerskandale.
Der große Zusammenbruch ist dennoch ausgeblieben, sowohl nach der Abschaffung des Bankgeheimnisses, als auch nach der Einführung des Austausches von Steuerinformationen. Im Gegenteil haben sich die Geschäfte weiterentwickelt. Sind diese Geschäfte nach den neuen Regeln denn nun „sauber“?
Gute Frage. Von den Finanzbeteiligungsgesellschaften, den Soparfis, gibt es viele, die von Beteiligungsfonds abhängen, die, das ist kein Geheimnis, vornehmlich benutzt werden, um Gewinne steuerfrei zu den wirtschaftlichen Nutznießern zu leiten. In den Banken gibt es, wie sich durch die Panama-Papiere herausgestellt hat, viele alte Offshore-Strukturen, welche die CSSF heute so von den Banken nicht mehr akzeptiert. Daneben gibt es Anwälte und Domizilierungsgesellschaften, die teils ähnliche Beratung und Dienstleistungen anbieten, aber anders beaufsichtigt sind. So dass man davon ausgehen kann, dass in verschiedenen Berufssparten noch die gleiche Kundenberatung angeboten wird wie früher. Daher ist die Frage, wie sauber die Finanzbranche heute ist, schwer zu beantworten, zumal schon allein die Anzahl der Soparfis ein Hinweis darauf ist, dass Steuerstrukturierungen nach wie vor vorgenommen werden.
Sie sprechen die Anwälte an, zu denen auch Sie gehören und die im Rahmen der Panama-Papiere die Anfragen der Steuerverwaltung en bloc abgelehnt haben. Ist das für Sie ein Zeichen, dass die Anwälte unter eine andere Aufsicht gehören? Fanden Sie die Position des Anwaltsordens, aufgrund des Berufsgeheimnisses keine Informationen über Kunden aus den Panama-Papieren an die Steuerverwaltung zu geben, gerechtfertigt?
In meinen Augen war das eine ziemlich extensive Interpretation des Berufsgeheimnisses, zu sagen: Wir verweigern prinzipiell alle Kommunikation über diese Dossiers. Es gibt auch Leute, die der Ansicht sind, dass das Berufsgeheimnis gegenüber der Steuerverwaltung hauptsächlich im Rahmen laufender juristischer Prozeduren spielt, nicht auf Ebene der Beratungstätigkeit von Anwälten. Die von der Anwaltskammer verteidigte Position ist eine kompromisslose Verteidigung des Berufsgeheimnisses – ob diese haltbar ist, wird wohl das Gericht entscheiden müssen.
Haben Sie jemals Steuerstrukturen für Kunden aufgestellt?
Nein, ich bin kein Steuerexperte und habe das nie gemacht. Und ich tue es auch jetzt nicht.
Welche Aktivitätsbereiche sollen in Zukunft aktiv gefördert werden, wenn man künftige Skandale und Reputationsschäden vermeiden möchte?
Grundsätzlich sollte man versuchen, sich auf die Bereiche zu konzentrieren, in denen man nicht verletzbar ist, weil man eine Souveränitäts- oder Steuernische ausnutzt oder unterschiedliche Regulierungen gegeneinander ausspielt. Denn diese Nischen schließen sich immer schneller, und wenn das passiert, geht das meist mit grauen Listen oder ähnlichen Maßnahmen einher, die dem Ruf schaden.
Mit Verlaub, die große medienwirksame Initiative des sozialistischen Wirtschaftsministers Etienne Schneider für den Abbau von Rohstoffen im Weltraum beruht auf einer Souveränitätsnische.
Das stimmt. Aber SES begann auch als Souveränitätsnische. Doch die Legitimität des Unternehmens und der Wirtschaftsbranche, die drum herum entstanden ist, wird heute nicht mehr angezweifelt.
Was bleibt in der Finanzbranche noch?
Die Fondsbranche zum Beispiel, die das Flaggschiff des Standorts geworden ist und von keiner Souveränitätsnische profitiert, sondern vom lokalen Know-Kow, das seit 1988 aufgebaut wurde, als Luxemburg die europäische Fondsregulierung als erstes Land umsetzte. Dann gibt es noch interessante Entwicklungsmöglichkeiten im Bereiche der grünen Finanzen oder der sozial verantwortlichen und nachhaltigen Geldanlagen.
Von grünen und sozial verantwortlichen Geldanlagen geht seit Jahren die Rede. Bisher hat sich aber keine Mikrofinanzbranche und keine islamischen Finanzen je zu einem ernstzunehmenden Geschäft entwickelt, im Vergleich zu den „traditionellen“ Branchen. Das bleiben bisher alles Krümel und wirklich „kugelsicher“ sind diese Bereiche auch nicht. Die Luxemburger Börse sagt beispielsweise, sie habe sich strenge Kriterien gegeben, um „grüne“ Anleihen zu kennzeichnen, aber gegen solche Bewertungssysteme werden auch schon Vorwürfe laut, sie würden dazu dienen, traditionellen Produkten einen grünen Anstrich zu verleihen. Sind das also ernstzunehmende Initiativen oder bleibt das Wunschdenken?
Berechtigte Frage. Fakt ist aber, dass sich in diesen Bereichen etwas tut und Klimaziele zu erfüllen sind und wir internationale Verpflichtungen haben, zu dekarbonisieren. Es gibt Möglichkeiten für den Finanzplatz, sich an dieser Entwicklung zu beteiligen. Was daraus wird, bleibt abzuwarten. Allerdings muss man sich als Standort mit einem gewissen Reifegrad auch bewusst sein, dass man nicht bei jeder Mode mitmachen sollte. Luxemburg hat zwar zu Beginn der Legislaturperiode einen Sukkuk (eine islamische Anleihe, Anmerkung der Redaktion) ausgegeben, das war ein Projekt der Vorgängerregierung, um Aufmerksamkeit zu schaffen und eine Nachfrage anzuregen. Viel ist dabei meines Wissens nicht herausgekommen. An diesem Beispiel zeigt sich, dass man auf dem Finanzplatz eine Analyse der Produkte anfertigen sollte, in denen die Branche stark ist, und sich darum bemühen dort noch stärker zu werden. Und manchmal nicht zurückschrecken sollte, anderes bleiben zu lassen.
Wer sollte diese Analyse machen?
Das sollte unter Leitung des Finanzministeriums geschehen. Das muss der Privatbranche natürlich zuhören. Aber zuhören heißt nicht, sich etwas diktieren lassen. Warum nicht mit Hilfe von Experten aus dem Ausland, die eine Swat-Analyse anfertigen?
Es gibt um den Finanzminister das Hohe Komitee für den Finanzplatz, das ihm beratend zur Seite stehen soll, dessen Mitglieder aber im Hauptberuf zur Aufgabe haben, ihre Kunden die neueste Mode anzudrehen.
Das ist offensichtlich. Eben deshalb denke ich, wäre Expertise von außen ratsam, ohne dass ich eine feste Idee vom Ablauf eines solchen Vorhabens im Kopf habe. Aber wir versuchen beispielsweise, einen Kulturentwicklungsplan aufzustellen, dem eine breite Anhörung vorausgegangen ist. Wieso sollte man etwas Ähnliches nicht für die Finanzbranche versuchen? Prinzipiell aber bleibe ich dabei, dass Produkte vom Luxemburger Finanzplatz ethisch einwandfrei sein sollten, keine Steuer- oder Souveränitätsnischen nutzen und auf internationaler Ebene unangreifbar sein müssen. Die Luxemburger Börse ist als Standort für Euro-Anleihen gut etabliert, gegen traditionelle Bankaktivitäten, der Finanzierung der wirtschaftlichen Aktivität, ist im Prinzip nichts einzuwenden, gegen das Privatkundengeschäft eigentlich auch nicht, wenn es frei von Schwarzgeld ist. Wobei die Kunden der Privatbanken immer reicher werden und von immer weiter herkommen, das ist bei immer strenger werdenden Anti-Geldwäscheregelungen nicht risikofrei. In der Blockchain-Technologie steckt viel Potenzial zur Anwendung in anderen Branchen. Technologie-Firmen, die Programme schreiben, die helfen Regulierungsvorschriften umzusetzen und einzuhalten, sind ein weiterer Bereich, der am Standort Luxemburg Sinn macht.
Eine Sparte, die in der Vergangenheit gefördert wurde, waren die Finanzierungsgesellschaften für multinationale Konzerne. Wie man im Fall Fiat Finance and Trade gesehen hat, kann auch dieser Bereich den Ruf schädigen. Sind Sie dafür, diese Branche weiter auszubauen?
Diese Aktivität sollte mit der Einführung der fiktiven Zinsen gefördert werden, und dann wurde davon abgesehen, weil man am Beispiel Belgien gesehen hat, dass dies keine gute Idee ist.
Die Einführung der fiktiven Zinsen stand im Regierungsprogramm dieser Koalition.
Fakt ist: Es wurde nicht gemacht. Die Vorlage für die Vermögensstiftung liegt ebenfalls in einer tiefen Schublade, wo sie hoffentlich auch bleibt.
Sie sagen, die Fondsbranche sei das Flagschiff des Finanzplatzes. Sie beschäftigt viele Mitarbeiter und in Luxemburg herrscht die Überzeugung vor, dass sie, steuerlich gesehen, einwandfrei ist, an den Luxemburger Fonds also nichts auszusetzen sein dürfte. Trotzdem ist sie nicht gegen Angriffe aus dem Ausland gefeit. Sie ist auch nicht unverletzlich, wie sich kürzlich herausstellte, als die EU-Kommission die Zulassung der Fonds von der CSSF an die Europäische Wertpapierbehörde Esma übertragen wollte, was zu Wettbewerbsnachteilen geführt hätte. Gibt es nicht insgesamt ein Legitimationsproblem für ein kleines Land, das Finanzdienstleistungen exportiert?
Es gibt immer die Grundkritik, dass Luxemburg sich als kleines Land auf Kosten anderer Länder bereichert, indem es die Vermögen ihrer reichen Bürger verwaltet. Das bleibt immer suspekt. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die angebotenen Dienstleistungen lupenrein sind und streng reguliert durch eine seriöse Aufsichtsbehörde, damit man den Vorwürfen Fakten entgegenstellen kann.
Es gibt aber im Ausland auch diejenigen, die gerne das Luxemburger Fondsgeschäft übernehmen würden. Es läuft eher darauf hinaus, ob Luxemburg Finanzdienstleistungen exportieren darf, wie Deutschland Autos exportiert, oder ob dieses Recht nicht unabhängig von der Steuerthematik immer mehr in Frage gestellt wird. Ist es für einen sozialistischen Abgeordneten legitim, dass Luxemburg dies tut, und müssen künftige Regierungen dieses Recht verteidigen?
Im Binnenmarkt herrscht freier Dienstleistungs- und Warenverkehr, und ich denke, Finanzdienstleistungen sind ein Exportprodukt wie ein anderes. Da dieses Recht nicht explizit in Frage gestellt wird, sondern immer in Verbindung mit Steuerfragen oder, wie im Falle der Fondszulassung, via die Esma über andere Wege angegriffen ist, ist es schwierig, direkt dagegen zu argumentieren. In der Steuerwelt gibt es aber isolationistische Tendenzen, beispielsweise bei der Richtlinienvorlage für eine gemeinsame konsolidierte Steuerbemessungsgrundlage, die darauf hinausläuft, dass die Aktivitäten eines Unternehmens im jeweiligen Land besteuert werden, was natürlich die großen Ländern bevorteilt. In der europäischen Realpolitik hat Luxemburg nicht mehr viele Freunde und Verbündete wenn es um den Finanzplatz geht. Aber wir befinden uns immer noch in einer Rechtsunion, in der man seine Argumente vorbringen kann. Und im Versuch, die Zulassung verschiedener Fonds zur Esma zu verlagern, trägt das ja auch seine Früchte.
Links von Ihnen gibt es diejenigen, die finden, der Finanzplatz sollte zurechtgestutzt und abgebaut werden. Haben Sie Verständnis für solche Forderungen?
Solche Positionen lassen sich einfach vertreten, wenn man keine Gefahr läuft, Regierungsverantwortung zu übernehmen und sie jemals im Finanzministerium durchsetzen zu müssen.