Wir sind noch nicht in der Realität von Beps angekommen, sagt EY-Steuerexperte Marc Schmitz

Noch ein wenig Geduld

March Schmitz, Steuerexperte von EY
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 27.04.2018

Alles für die Katz? Das kann man sich fragen, wenn man The outloook for global tax policy in 2018 von EY aufschlägt. Auf mehreren hundert Seiten wird darin auf Basis von Multiple-choice-Bögen Inventur gemacht, was dieses Jahr an Veränderungen in der Steuerlandschaft steht. Darin stellen die EY Steuerexperten einleitend fest: „Tax competition is fundamentally driven by governments wanting to attract economic activity to their jurisdiction. And it sits at the very heart of much of the change occuring today.“ Nach den Steuer-Leaks, nach jahrelangen OECD-Verhandlungen darüber, wie man Beps, die Steuererosion und die Gewinnverschiebung, eindämmen könnte, soll das Ergebnis sein, dass sich die Länder dennoch gegenseitig unterbieten, um Unternehmen anzuziehen?

Marc Schmitz, EY-Partner und Steuerexperte, beschwichtigt. Die Beps-Dispositionen, erklärt er, gipfelten in der EU in der Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken (Atad). Sie aber tritt erst am 1. Januar 2019 in Kraft, beziehungsweise am 1. Januar 2020 für die Richtlinie, die auf hybride Steuerkonstruktionen abzielt. Ein Gesetzentwurf zur Umsetzung liegt in Luxemburg noch nicht vor und angesichts des Wahltermins im Oktober, drängt allmählich die Zeit. „Soweit ich höre, will die Regierung das Gesetz noch vor den Wahlen durchs Parlament bringen“, sagt Schmitz. Darauf hofft er, denn nach den Wahlen werde es für eine neue Regierung, egal welcher Zusammensetzung, die sich erst noch bilden muss, schwer, innerhalb so kurzer Zeit ein Gesetz von derart weitreichender strategischer Bedeutung abzuschließen.

In der Übergangszeit herrscht Aufregung an allen Fronten. Immer neue Leaks, Papiere und Files nähren in der Öffentlichkeit das Gefühl, dass nichts passiert und sich der Besteuerung weiter entzieht, wer sich einen guten Berater leisten kann, seien es Unternehmen oder Vertreter der gesellschaftlichen Elite. Auf politischer Ebene werden bereits neue Steuermaßnahmen in Erwägung gezogen, wie beispielsweise die Digitalsteuer für Internetfirmen oder die Einführung der gemeinsamen harmonisierten Steuerbemessungsgrundlage (CCTB und CCCTB). Die Kunden ihrerseits, berichtet Schmitz, warten mit großer Ungeduld auf die Gesetze zur Umsetzung der Atad, um zu wissen, was genau sie ändern müssen. Die öffentliche Frustration angesichts immer neuer Berichte über die Steuerkonstruktionen kann Schmitz verstehen, aber dass die alten Strukturen immer noch bestehen, liege einfach daran, dass Atad noch nicht Kraft sei: „Wir sind noch gar nicht in der Realität von Beps angekommen“. Die eigentliche Wirkung der Bemühungen zur Eindämmung der Steueroptimierung würden sich frühestens in zwei Jahren zeigen, wenn es erste Erfahrungen mit den neuen Regeln gibt. Wenn die Atad funktioniere, so der Steuerberater, es also gelinge Steuervermeidungspraktiken und Missbrauch zu unterbinden, stelle das die Notwendigkeit, darüber hinaus eine CCCTB einzuführen, in Frage. Denn durch die Atad werde die Bemessungsgrundlage für das versteuerbare Einkommen automatisch breiter.

Das ist keine unschuldige Feststellung, denn wie aus dem Outlook hervorgeht, ist Luxemburg der einzige Hoheitsbereich, in dem die Steuerlast für Unternehmen in diesem Jahr durch eine Anpassung des Satzes gesenkt wird – ohne Änderungen an der Bemessungsgrundlage. Diese erwartet Schmitz durch die Atad-Umsetzung nächstes Jahr. „Das Problem ist, dass die Unternehmen, die Banken, die Soparfis und die Finanzierungsgesellschaften multinationaler Unternehmen nicht warten werden, bis die Basis breiter wird, sondern wahrscheinlich vorher ihre Koffer packen.“ Präzise quantifizieren kann Schmitz die Abwanderungsbewegung nicht, aber seit zwei Jahren gebe es zwei Tendenzen: Finanzholdings, die Luxemburg verlassen und Finanzholdings, die in Luxemburg ihre Substanz ausbauten, hielten sich bisher die Waage. Die Mehrheit warte einstweilen ab.

Wie sie sich entscheiden, ist für den Staatshaushalt von großer Bedeutung, denn seit das in Vorbereitung der Steuerreform zusammengestellten Kompendium geleakt wurde, konnte sich jeder ausrechnen, dass die Soparfis ungefähr 800 Millionen Euro jährlich an Steuern einbringen. Doch Soparfi ist nicht gleich Soparfi, erklärt Schmitz. Die Mehrheit davon, fährt er fort, gehörten zu Kapitalbeteiligungsgesellschaften, sogenannten Private-Equity-Fonds, Immobilienfonds oder anderen alternativen Fonds, die für jedes neues Objekt, jede neue Firmenbeteiligung eine Soparfi gründeten. Sie seien von der Atad weniger betroffen als die Soparfis, die zu multinationalen Konzernen gehören. Dass sie im großen Stile abwandern, hält der Steuerexperte daher für weniger wahrscheinlich. Bei der zweiten Kategorie sieht das etwas anders aus. Spätestens wenn Atad II in Kraft tritt und die hybriden Steuerkonstruktionen eingedämmt werden, die ausnutzen, dass die Vergütung von Krediten in einem Land als Zinsen und in einem anderen als Dividenden angesehen werden, werden sie sich die Frage stellen, wo sie ihre Finanzierungsaktivitäten ansiedeln. Marc Schmitz plädiert freimütig dafür, ihnen die Möglichkeit zu geben, bei kapitalfinanzierten Investitionen fiktive Zinsen absetzen zu können. „Findet man, die Finanzierungsaktivitäten passen gut zu Luxemburg, muss man eine andere Möglichkeit finden, damit Luxemburg für kapitalfinanzierte Investitionen interessant bleibt.“ Eine solche Einführung fiktiver Zinsen müsse unbedingt von Anti-Missbrauchsregeln begleitet sein, unterstreicht Schmitz. Es dürfe nicht möglich sein, ein und denselben Euro durch eine Multiplikation an Firmen mehr als einmal abzusetzen und die fiktiven Zinsen dürften auf jeden Fall nur auf neuen Kapitaleinzahlungen angewandt werden. Aber solchermaßen abgesichert, brauche Luxemburg eigentlich kein Vorgehen der EU-Kommission zu befürchten – die hat in ihrem Entwurf zur CCCTB selbst die Einführung der absetzbaren fiktiven Zinsen vorgeschlagen, weil sie möchte, dass Unternehmen ihr Kapital thesaurieren und neue Investitionen darüber finanzieren, statt Kredite aufzunehmen und sich zu verschulden.

Mit dem Austausch der Rulings und dem Country-by-Country-Reporting (CBC) gibt es erste Erfahrungswerte. Um Schlussfolgerungen über die tatsächliche Wirkung der Neuerungen ziehen zu können, sei es dennoch zu früh, weil es zwischen der Anfertigung der Bilanzen, der Besteuerung und deren Überprüfung eine zeitliche Verschiebung gebe, die noch nicht eingeholt sei. Rulings würden heute nur noch in Fällen angefertigt, in denen das Gesetz interpretiert werden müsse, so Schmitz. Wann immer die Rechtslage klar sei, gebe der Steuerberater schlicht sein Gutachten ab. Diese Gutachten würden aber im Gegensatz zu den Rulings nicht mit und auch nicht zwischen Steuerbehörden ausgetauscht, so dass die Beamten in diesen Fällen jetzt über weniger Informationen verfügten als vorher. Die CBC-Berichterstattung habe zu einem großen Arbeitsaufwand für Unternehmen und ihre Steuerberater geführt; diese Informationen liegen den Steuerverwaltungen jetzt vor. „Die Frage ist, ob die Verwaltungen sie verwerten können?“, so Schmitz. Er glaubt, dies sei angesichts der schieren Datenmenge ohne Investitionen in die Automatisierung nicht möglich. Dafür brauche es Programme, welche „die Daten nach bestimmten Parametern abfragten und dann die Anomalien ausspucken“, auf die sich die Beamten dann konzentrieren könnten. Der Steuerexperte Schmitz begrüßt, dass die Steuerverwaltung sich personell in der Kontrolle verstärkt. „Das ist absolut notwendig“, sagt er, auch weil die Firmen auf Basis ihrer Steuererklärung besteuert würden, also auf Basis eigener Angaben. Danach hat die Verwaltung fünf Jahre Zeit, dies zu prüfen und dann die richtige Besteuerung vorzunehmen. Kommt sie dazu innerhalb von fünf Jahren nicht, gelten die Angaben der Steuererklärung und Firmen, bei denen fristgerecht Diskrepanzen festgestellt werden, werden einfach nachbesteuert, ohne Bußgelder oder Verzugszinsen. Einen Anreiz, richtige Angaben zu machen, gibt es also nicht.

Michèle Sinner
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