Die Demokratische Partei heißt zwar so, aber die „Discussion des rapports d’activité“ ist ein Tagesordnungspunkt, der auf den Kongressen bloß der Form halber aufgerufen wird. Als sich am Sonntag wider Erwarten eine Hand hob, um das Wort zu beantragen, übersah Corinne Cahen sie zuerst einmal. Dann schien die Parteipräsidentin dem Redner nur ungern das Mikrofon zu überlassen, denn sie stellte sich sicherheitshalber dicht hinter ihn. Die über 300 Kongressteilnehmer in dem stählernen Mausoleum des Limpertsberger Tramsschapp warteten gespannt.
Denn es war Marc Ruppert, der sich zu Wort gemeldet hatte. Der Limpertsberger Geschichtslehrer hatte die Partei als Generalsekretär in den Wahlkampf führen sollen, war aber im November zurückgetreten und hatte sich „auf inakzeptable Weise“ von seiner Parteipräsidentin „unter Druck gesetzt“ gefühlt. Doch Marc Ruppert verzichtete auf eine öffentliche Abrechnung. Artig lobte er in allgemeinen Worten die „Basisdemokratie“, wünschte sich, dass die Diskussionskultur in der Partei auch außerhalb des Wahlkampfs weiterentwickelt werde, und rief zur Gradlinigkeit auf, sich nicht zum „Spielball“ machen zu lassen.
Die Kongressteilnehmer applaudierten ihm sehr lange. Vielleicht wollten sie ihm ihre Unterstützung versichern und waren gleichzeitig dankbar, dass er keine schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit wusch. Schließlich hat die DP Sorgen genug. Die Meinungsumfragen berichten von enttäuschten CSV-Wählern, die vor fünf Jahren liberal wählten und dann enttäuschte DP-Wähler wurden. Sicher waren auch unter den Kongressteilnehmern welche, die ihre Anfangseuphorie verloren hatten, die fanden, dass die Regierung mit ihren Steuererhöhungen und ihrem Referendum ihre Chancen verspielt hatte, die klagten, dass der liberale Premier zwar ein netter Typ sei, aber den Koalitionspartnern die politische Bühne überlasse.
Premierminister und Spitzenkandidat Xavier Bettel musste deshalb beteuern, dass er keineswegs defätistisch sei, sondern „hoch motiviert und zuversichtlich“, weil die DP „exzellent auf die Wahlkampagne vorbereitet“ sei. Dass die Regierung nach fünf Jahren vielleicht etwas mehr aufweisen könnte, führte er auf die Altlasten der CSV zurück: Er erinnerte noch einmal daran, welche desolate Lage er und Finanzminister Pierre Gragmegna von ihren CSV-Vorgängern überlassen bekommen hätten, mehr als einmal hätten sie sich „die Augen gerieben“, als sie in die Staatskasse blickten. Nach den Luxleaks-Enthüllungen habe ein ausländischer Politiker auf einem Treffen gefragt, ob er „wirklich neben den Luxemburgern stehen“ müsse. Statt über die Zukunft zu reden, habe man die Vergangenheit verteidigen müssen. Doch „objektiv steht das Land besser da als vor vier Jahren“, die „MS Lëtzebuerg“ sei renoviert, das nationale Motorschiff sei wieder sauber gestrichen, vollgetankt und erneut auf den Weltmeeren unterwegs.
Der Hesperinger Abgeordnete Claude Lamberty war seit Marc Rupperts Rücktritt kommissarisch Generalsekretär, nun wurde er ohne Gegenkandidat mit 91,6 Prozent der Stimmen als ordentlicher Generalsekretär bestätigt. Den skeptischen Mitgliedern und enttäuschten Wählern zählte er in seinem Rechenschaftsbericht jene Höhepunkte der Legislaturperiode auf, mit denen die DP sich am Wahltag in guter Erinnerung halten will: „Angefangen mit den Staatsfinanzen“, als die Regierung die „Schuldenspirale brach“ und die Finanzen mit einem Zukunftspak sanierte, der „auch wehgetan“ habe. Doch nur durch diesen „kleinen Schritt zurück“ seien viele positive Möglichkeiten entstanden, wie „eine gerechte Steuerreform“, die die Mittelschichten deutlich entlaste.
Als zweiten Grund zum Stolz sah Claude Lamberty „die Neugestaltung der Beziehungen zwischen dem Staat und der Kirche“ an, die „als eine der ganz großen Modernisierungen in die Geschichte unseres Landes eingehen“ werde. Denn es passe nicht zu einem fortschrittlichen Land, dass die Regierung den Bischof ernenne und die Kirche Religionsunterricht in den Schulen halte.
Die DP habe auch die Kinder konsequent in den Mittelpunkt gestellt, durch die Schaffung eines Staatsfonds und die Reform des Elternurlaubs, die Verbesserung der Kinderbetreuung, die Einführung von 20 Stunden kostenloser Betreuung und des Luxemburgischen als Pflichtsprache bei der Frühförderung. Schließlich habe „keine Regierung zuvor auf so vielen Ebenen agiert, um das Wohnen in Luxemburg erschwinglicher zu machen“, von Mietzuschüssen und Steuerfreibeträgen über Baulandverträge bis zu „ganz großen Wohnprojekten“ in Düdelingen und Wiltz. In ähnlicher Reihenfolge sah auch Fraktionssprecher Eugène Berger die dem resoluten Motto „gesagt, getan“ gehorchende Regierungsbilanz: Steuerreform, Elternurlaub, Kinderbetreuung...
Aber die DP hat schon mehr als einmal in ihrer Geschichte darunter gelitten, wie undankbar die Wähler, und davon profitiert, wie korrupt sie sind. Um ein Wahldebakel zu verhindern, besinnt sie sich nun darauf, dass sie im Herzen eine mittelständische Steuersenkungspartei ist, für die individuelle Leistung wichtiger ist als kollektive Umverteilung. Finanzminister Pierre Gramegna hatte schon vor vier Wochen auf dem Bezirkskongress in Kopstal in Aussicht gestellt, dass die Steuerreform von 2017 nicht das Ende bedeute. Die Parteipräsidentin machte ihren Wählern am Sonntag noch ein wenig weiter den Mund wässrig: Es gebe „Spielraum, um die Menschen und Unternehmen zu entlasten“. Weil „jeder einen Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen geleistet“ habe, werde die „DP dafür sorgen, dass nun auch jeder von den Früchten dieser Anstrengungen profitieren“ könne. Die DP werde „in den nächsten fünf Jahren nicht nur die Steuerlast senken“, sondern auch die Besteuerung „weiter modernisieren“.
Dass ab diesem Jahr die fakultative Individualbesteuerung für Ehepaare angeboten werde, könne „für die DP nur ein erster Schritt“ sein. Weshalb werde beispielsweise ein zweiter Ehepartner, der sich entschließe, berufstätig zu werden, sofort nach einem festen Steuersatz besteuert, fragte sich Familienministerin Corinne Cahen. Die Individualisierung würde zahlreiche Ungerechtigkeiten beseitigen, antwortete sie und schien gewillt, die gemeinsame Veranlagung mit Ehegattensplitting aus der Zeit der katholischen Hausfrauenehen abzuschaffen – was politisch nur durchsetzbar scheint, wenn teure Kompensierungen für die der DP so lieben Mittelschichtenfamilien vorgesehen werden.
Denn wie delikat solche Reformen sein können, hatte sich Anfang 2016 gezeigt, als 8 540 Unterschriften zusammenkamen, um die damals immerhin schon 26 Jahre alte Umklassierung Verwitweter in eine ungünstigere Steuerklasse zurückzunehmen. Also fragte die DP-Präsidentin am Sonntag, weshalb „eine Witwe oder ein Witwer drei Jahre nach dem Tod ihres Partners höher besteuert wird“. Doch vielleicht soll mit der Verallgemeinerung der Individualbesteuerung die Frage bloß gegenstandslos werden.
Von der Betriebsbesteuerung, einer weiteren Senkung des Körperschaftsteuersatzes, ging am Sonntag keine Rede. Dafür stand auf fünf Tafeln am Bühnenrand, was die DP sonst noch für besonders wichtig in ihrem am 8. Juli veröffentlichten Wahlprogramm hält: „Arbeit und Leben“, „Mobilität und Infrastrukturen“, „Kinder und Zukunftschancen“, „Wirtschaft und Finanzen“ sowie, etwas überraschend, „Identität und Kultur“.
Unter „Arbeit und Leben“ verstand die Familienministerin „konkrete Maßnahmen im Wahlprogramm“ zur Flexibilisierung des Lohnarbeitsverhältnisses, im Interesse „der Kinder, der Eltern und der Betriebe“. Den Beschäftigten oder zumindest einem der DP werten privilegierten Teil von ihnen soll vermehrt Souveränität über ihre Arbeits- und Freizeit gewährt werden, das heißt die Abkehr von „starren Arbeitszeiten, starren Vorschriften und starren Arbeitsorten“ zugunsten atypischer Arbeitsverhältnisse.
„Telearbeit, Home office, digitale Arbeitsplätze und Büros in der Peripherie“ sollen aber auch zusammen mit einem nationalen Investitionsprogramm die Mobilität fördern, versprach Corinne Cahen, und die Kleinen sollen nach der Schule statt von den Eltern mit einem „Kanner-Club-Bus“ zur Freizeitbeschäftigung gefahren werden. Beinahe im Duett übte sie sich mit Xavier Bettel in Vaterlandsliebe, um CSV und ADR nicht die Wählerstimmen von Chauvinisten und Protektionisten zu überlassen. Kulturminister Xavier Bettel feierte die nationale Identität als Summe von Tradition und Moderne, dem Luxemburgischen und der Mehrsprachigkeit, kurz: von „Springprozession, Schlussprozession“ und Satelliten.