2014 |
2015 |
2016 |
2017 |
2018 |
|
Bruttoinlandsprodukt (BIP) |
5,77 |
2,86 |
3,08 |
2,30 |
4,59 |
Beschäftigungswachstum |
2,56 |
2,57 |
3,04 |
3,33 |
3,47 |
Arbeitslosigkeit |
7,07 |
6,77 |
6,34 |
5,92 |
5,63 |
Inflation |
0,63 |
0,47 |
0,29 |
1,73 |
1,40 |
Lohnstückkostenentwicklung |
2,18 |
3,04 |
0,74 |
2,80 |
1,60 |
Staatssaldo/BIP |
1,30 |
1,40 |
1,60 |
1,37 |
2,13 |
Das Land sei „heute anders als vor vier Jahren“, und das sei „gut so“, es sei „moderner, zeitgemäßer und besser vorbereitet auf die künftigen Herausforderungen“, „kerngesund“ sei es und „gut aufgestellt für die Zukunft“. So fasste Premier Xavier Bettel (DP) am Dienstag vor dem Parlament die Bilanz der liberalen Koalition zusammen, die 2013 den etwas zerzausten CSV-Staat übernommen hatte. Und während der anschließenden zweitägigen Debatten gab ihm niemand grundsätzlich Unrecht. Das Soziale sei zu kurz gekommen, die Wohnungspolitik bliebe ein Fiasko, hieß es da und dort, aber dass es dem Land besser gehe, wagte niemand zu bestreiten. Wie könnte man auch angesichts eines Wirtschaftswachstums, das derzeit zwei Prozentpunkte unter dem chinesischen liegt?
Dass der Premier und tags darauf der Finanzminister sich vor allem auf die Staatsfinanzen beriefen, um den Erfolg ihrer Amtszeit zu beweisen, durfte nicht überraschen. Denn seit den Maastricht-Kriterien wird politischer Erfolg oder Misserfolg in der Eurozone an der ökonomischen Disziplinierung, an Haushaltssaldos und Schuldenquoten gemessen. Und in ihrem Regierungsprogramm von 2013 hatten die schwungvollen jungen Männer es als übergeordnetes Ziel abgemacht, nicht das Tedeum abzuschaffen oder die gleichgeschlechtliche Ehe einzuführen, sondern bis zum Ende der Legislaturperiode „un solde structurel des finances publiques d’au moins +0,5% du PIB“ (S. 21) zu erreichen.
Und sie haben ihr Ziel erreicht. Der strukturelle Saldo lag vergangenes Jahr bei 2,2 Prozent, verkündete Xavier Bettel stolz. Auch wenn die Ironie der Geschichte will, dass sie es nach enttäuschenden Meinungsumfragen, dem Fiasko der Europawahlen und der Katastrophe des Referendums mit der Angst zu tun bekommen und ihr Haushaltsziel auf -0,5 Prozent gesenkt hatten. Die von Pierre Gramegna versprochene Kopernikanische Wende der Staatsfinanzen hatten sich viele anders vorgestellt. Er selbst hatte am Mittwoch vergessen, dass er jahrelang Panik vor der „verdeckten Staatsschuld“ der Rentenversicherung schürte.
„Die makroökonomischen Faktoren stehen alle auf Grün“, freute sich Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) am Dienstag. Die hohen Staatseinnahmen kämen „nicht zuletzt von der guten Entwicklung des Finanzplatzes“, und dies obwohl „mit den Luxleaks-Veröffentlichungen die Milch, die wir jahrelang getrunken hatten, plötzlich übergekocht war und die ganze Küche verschmutzte“, dichtete der Premier (S. 9). Mit vielen Anstrengungen zugunsten größerer Transparenz sei Luxemburg aber „aus der finsteren Ecke der grauen und schwarzen Listen“ gekommen (S. 10).
Xavier Bettels Erklärung zur Lage der Nation enthielt weitgehend dieselben Schwerpunkte, die zwei Tage zuvor auf der Bühne des DP-Kongresses als Schwerpunkte des Wahlprogramms ausgestellt waren: Finanzen, Familie, Wirtschaft, Mobilität... Er zählte wieder den Stolz der Koalition auf, am besten von jedem Minister etwas: die Reform des Elternurlaubs und des Rettungswesens, das Nationbranding, Rifkin, Investitionen in die Eisenbahn, Trinkwasserschutzzonen, das Krankenhausgesetz, den Rückgang der Kriminalität und die Förderung des Luxemburgischen.
Alle Zuhörer im Parlament, in Presse, Funk und Fernsehen waren sich einig, dass Xavier Bettels Erklärung zur Lage der Nation eine Bilanz war, für die Claque der Mehrheit eine realistische, für die Miesmacher der Opposition eine geschönte, aber dank der blendenden Wirtschaftskonjunktur auf jeden Fall eine positive. In Wirklichkeit war es zuerst eine Abwicklungsbilanz, so wie sie bei der Auflösung einer Handelsgesellschaft fällig wird. Es war die Abwicklungsbilanz der 2013 von DP, LSAP und Grünen zur Renovierung des CSV-Staats gegründeten Association momentanée.
Denn mit keinem Wort erwähnte der Premier, dass und wie es weitergehen könnte. Er nannte nichts, was liberale, sozialdemokratische oder grüne Minister besser könnten als christlich-soziale, was ihre Arbeit wert machte, fortgesetzt zu werden. Zu keinem Augenblick erweckte er den Eindruck, dass die Fenster im CSV-Staat noch einige Zeit geöffnet bleiben sollten, dass es sich für die Wähler lohnen würde, Reformer und Modernisierer statt Konservative zu wählen.
Vielmehr beteuerte der Premier, dass „in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine Reihe richtige Entscheidungen getroffen wurde“ (S. 10), „es wurde auch schon vor 2013 die richtige Wahl getroffen“ (S. 21), auch wenn die Wachstumsengpässe vor zehn oder 15 Jahren hätten vermieden werden müssen. Mehrheit und Opposition hätten „ein gemeinsames Ziel“, ein „Anliegen, das über die Parteigrenzen“ zusammenführe: die Verbundenheit mit dem Land und das Bemühen, die „Lebensqualität der Mitmenschen zu erhalten und zu verbessern“ (S. 3-4), rief er zum Burgfrieden auf.
Nachdem Xavier Bettel sich solchermaßen am Dienstag eine Dreiviertelstunde bescheiden darauf beschränkt hatte, eine Abschlussbilanz der dritten Regierungskoalition ohne CSV binnen eines Jahrhunderts vorzulegen, knüpfte CSV-Spitzenkandidat Claude Wiseler am Mittwoch in einer doppelt so langen Rede daran an und legte sein künftiges Regierungsprogramm dar. In 15 Kapiteln, von Verfassungsrevision bis Sicherheit, und zahlreichen Unterkapiteln erklärte er nicht weniger buchhalterisch, was die nächste Regierung alles tun wird, weil die derzeitige vieles, aber nicht alles richtig tat.
Vieles was Claude Wiseler vorlas, zur Territorialreform, zu den Gemeindefinanzen, der Landesplanung, der Mobilität, dem Wachstum, der Familienpolitik oder dem Gesundheitswesen, hatte er schon vor einem Monat in fast den gleichen Worten auf dem CSV-Konvent in der Ettelbrücker Deichhalle aufgezählt, als er, wie 2013 DP, LSAP und Grüne, „ein Mandat für Reformen“ verlangte (d’Land, 30.3.2018). Aber nach der rückwärtsgewandten Bilanz Xavier Bettels klang es nun passgenau wie ein zukunftsgewandtes Programm, als ob sich die beiden schon im Interesse einer ordentlichen Geschäftsübergabe abgesprochen hätten.