Street Photgraphy Luxembourg

Condition artistique

d'Lëtzebuerger Land vom 17.04.2015

Es sind bekannte Ecken, die man auf ihren Bildern sieht, wie das Centre Hamilius, die Groussgaass oder den Bahnhofsvorplatz; trotzdem vermitteln die Bildern des Fotografenkollektivs Street Photography Luxembourg weit mehr als banale Wiedergaben dieser Wegpunkte. Man sieht auf Augenhöhe fotografierte Schoßhündchen, die sich hysterisch dem Gang durch die Stadt verweigern, Touristen, die dem Apparat am anderen Ende ihrer Selfie-Stange zulächeln, oder vorbeieilende Pendler, denen die Hektik eine anonymisierende Unschärfe über das Gesicht legt. Es ist der typische Blick der Straßenfotografie, der abseits gewohnter Perspektiven im Spiel mit Bewegungs- und Tiefenunschärfe und in der Wahl teils ironischer Bildkompositionen und kontrastreicher Bildstile eine neue Sicht auf Gewohntes liefert und authentische, lebendige Einzelmomente festhält, die anders nur für die Dauer eines Augenzwinkerns existierten.

Im Gespräch betonen Paul Bintner und Dirk Mevis, zwei der Fotografen des Kollektivs, dass Street Photography Luxembourg (SPLux) mehr sei als nur eine Facebook-Seite. Sie seien kein Klub mit Vereinsvorsitzendem, sondern sähen sich als basisdemokratisches Kollektiv, bestehend aus Amateurfotografen. Der Begriff „Hobby“ hört sich für Mevis in diesem Zusammenhang „zu sehr nach Makro und Blumen an“. Anstatt in die Routine eines Profis zu verfallen, seien sie lieber leidenschaftliche Freizeitfotografen, die in ihren Mittagspausen den Kugelschreiber gegen die Kamera eintauschen.

Trotzdem bemühe sich die Gruppe derzeit, den Status eines Vereins zu bekommen, um durch Mitgliedsbeiträge bessere Möglichkeiten zu haben, Ausstellungen zu organisieren, Workshops abzuhalten und durch Vorträge neue Ideen und Kontakte ins Kollektiv zu holen. Die Fotografen überlegen, neue Mitglieder durch eine Portfolio-Schau im Rahmen einer Slide-Night, die vergangenes Jahr großen Anklang fand, zu rekrutieren. Wie Bintner betont, kann man SPLux nicht einfach beitreten, denn die Gruppe sei bestrebt, das Niveau hoch zu halten. Mit Ausstellungen habe man 2014 erst richtig angefangen, so Mevis. Von ihm selbst hängen derzeit Fotografien in der Bouneweeger Stuff. In Kürze steht eine kleinere Ausstellung in der City Concorde an. Ansonsten existierten die Bilder von SPLux vor allem online.

Als Straßenfotograf sei es wichtig, oft genug hinauszugehen, um eine Routine zu entwickeln und sich – ganz im Sinne Henri Cartier-Bressons – Zeit zu lassen, den entscheidenden Augenblick abzuwarten, so Bintner. Essentiell ginge es jedoch darum, das Besondere im Gewöhnlichen zu sehen. Während man oft erst auf Reisen in fremde Länder seine exotische Umgebung als fotografierenswert erachtet, finden die Fotografen des Kollektivs diese Fotogenität im gewohnten Umfeld des aufgeräumten Disneyland-Ambientes der Innenstadt.

Wirkt der Wechsel von Farbe und Schwarzweiß sowie die unterschiedlichen Motive und Stile im Portfolio von SPLux zunächst stilistisch uneinheitlich, so liegt gerade darin doch die Stärke des achtköpfigen Kollektivs. Zwar liefert die Gruppe nicht unbedingt innovative Konzepte der Straßenfotografie, doch nähern sie sich dieser in unterschiedlichen Vorgehensweisen. Während sich Mevis beispielsweise auf Roland Barthes beruft und versucht, die Aufmerksamkeit des Betrachters so zu lenken, dass er das Bild inhaltlich hinterfragen muss, sucht Bintner durch die Gegenüberstellung der Muster und Farben von Straßenbelag und Kleidern den Witz, aber auch die Melancholie im Spontan-Alltäglichen.

Trotz der über 100 Jahre währenden Tradition der Straßenfotografie als Kunstgattung wird nach aktuellen Rechtsprechungen international bereits von ihrem Aussterben gesprochen. Der deutsche Fotograf Espen Eichhöfer wurde vor kurzem von einer Passantin, die sich auf einem Bild einer Ausstellung im C/O Berlin wiedererkannte, auf Schmerzensgeld verklagt. In Luxemburg veröffentlichte das Wort in Bezug auf SPLux vor einigen Wochen den Artikel „Beim Knipsen hart an der Grenze“, der die rechtliche Problematik darzulegen versucht. Den Straßenfotografen wirft der Autor Verantwortungslosigkeit im Umgang mit dem Gesetz vor, da für das Veröffentlichen von Fotos grundsätzlich das schriftliche Einverständnis der gezeigten Personen vorliegen müsse. Diese Anforderung ist mit den Grundsätzen einer dem entscheidenden Moment folgenden Fotografie schwer vereinbar, weshalb das Recht auf Privatsphäre in der Straßenfotografie wie in kaum einer anderen Kunstgattung mit der künstlerischen Freiheit kollidiert. Das von Mevis verfasste schriftliche Gegenstatement zum Artikel beruft sich auf ebendiese Kunstfreiheit, die in schwammigen Paragrafen gesetzlich verankert ist. Doch genügt im juristischen Zweifelsfall eine Selbstdeklaration als Kunst? Im Falle Eichhöfers soll nun ein Gutachter über den künstlerischen Wert der Fotografie urteilen. Eichhöfer sammelt derzeit per Crowdfunding Geld, um zu klären, welches Recht höher anzusetzen ist, das am eigenen Bild oder das der Freiheit der Kunst. Das Urteil könnte durchaus internationale Strahlwirkung haben.

Auch Mevis hat für Eichhöfers Weg durch die Instanzen gespendet. Er zieht Parallelen zwischen dem im Zusammenhang mit Charlie Hebdo stets betonten Recht auf freie Meinungsäußerung und der Kunstfreiheit, und fragt, weshalb dies für die Straßenfotografie nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit gelte. Tatsächlich mutet der gesamtgesellschaftliche Kontrast geradezu wie eine Perversion an: Während online in sozialen Netzwerken bereitwillig private Fotografien und Daten an Firmen wie Facebook preisgegeben werden, die daraus Bewegungsmuster oder gar detaillierte persönliche Verhaltensprofile ableiten können, steigt offline der Wert der Privatsphäre und die Bereitschaft, diese juristisch geltend zu machen. Bintner sieht darin ein Generationenphänomen: Junge Leute seien eher gewohnt, fotografiert zu werden und fragten danach, wo sie die Bilder anschließend finden könnten. Es seien Menschen ab Ende Dreißig, die große Vorbehalte hätten. Mevis ergänzt, die Angst sei eine Frage des Zeitgeists; der NSA-Skandal und Facebooks permanente Änderungen der Privatsphäre-Einstellungen wären dabei wenig hilfreich. Bintner merkt an, dass nach Anschlägen wie dem auf Charlie Hebdo eine spürbare Paranoia herrsche und die Leute in den Tagen danach merklich misstrauischer gegenüber den Kameras der Fotografen gewesen wären.

Doch was, wenn nach und nach dem Recht am Bild der Vorzug gegeben würde? Die klassische Straßenfotografie ist keine Kunst abstrakter, akademischer Konzepte, sondern besitzt einen hohen dokumentarischen Wert. Es ist die Betrachtung der condition humaine, die Mevis in seiner Stellungnahme ins Feld führt. Nicht nur als Blick in den Spiegel seien die Arbeiten des Kollektivs und der Straßenfotografie generell so wertvoll, sondern auch aufgrund ihres dokumentarischen Gehalts. „Wir erhalten den Blick auf die heutige Gesellschaft; ohne Street Photography weiß in zehn bis 15 Jahren niemand mehr, wie das Stadtleben aussah“, so Bintner.

Die condition artistique wird in dieser Diskussion somit zum Subjekt der condition humaine: „Was für eine Gesellschaft ist das, wenn niemand mehr Sachen aufnimmt, hinterfragt und zeigt?“, so Mevis. Die Furcht um die Privatsphäre sieht er als gesellschaftliche Herausforderung: „Die Frage ist, ob die Gesellschaft stark genug ist, diesen Tendenzen entgegenzuwirken.“

Online-Portfolio von Street Photography Luxembourg: www.streetphoto.lu
Boris Loder
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