Memory Labs der Fotografie

Erinnerungsbilder

d'Lëtzebuerger Land vom 10.04.2015

Paris, Wien, Berlin, Athen, Bratislava, Ljubljana, Budapest, Luxemburg – in dieser heterogenen Auswahl an Städten findet der Europäische Monat der Fotografie statt, der in Luxemburg am 24. April beginnt. Zu dem bereits im Mudam laufenden Memory Lab I: Ré-écritures (d’Land, 13.03.2015) werden Ende April drei weitere Ausstellungen (Passé, présent; Traces und Transit) hinzukommen. Neben den Memory Labs als thematische Kernausstellungen finden im Rahmen des Luxemburger EMoP noch 24 weitere Fotografieausstellungen, in Galerien, Kunstzentren und Institutionen im ganzen Land statt.

Der EMoP steht dieses Jahr unter dem Motto Memory Lab – Photography Challenges History und behandelt den Umgang zeitgenössischer Fotografie mit der Vergangenheit, größtenteils den prägenden europäischen Konflikten des letzten Jahrhunderts, jedoch auch mit regionalen oder persönlichen Aspekten von Geschichte. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie historische Ereignisse in der Fotografie vermittelt werden. Dabei gilt es laut Organisatoren den dokumentarischen Wert von Fotografie zu hinterfragen. Die beteiligten Künstler zeigen in ihren teils sentimental anmutenden Werken, wie stark fotografische Vermittlung an Interpretationen gebunden ist.

Auch Werke, die auf den ersten Blick einem dokumentarischen Stil verhaftet sind, wie Sarah Schönfelds Aufnahmen aus Auschwitz, liefern durch ihre Selektivität eine Interpretation des Gezeigten. Die abgebildeten Dixi-Toiletten vor dem Stacheldraht und die Wahl des Selfie-Genres dokumentieren und kritisieren zugleich die zunehmende Profanisierung der Gedenkstätte durch den Tourismus.

Klar inszeniert sind dagegen die Bilder des Fotografen Andreas Mühe, die Teil der Ausstellung Passé, Présent sind. In seiner Serie Obersalzberg entlarvt der Berliner gekonnt die Bilder des Propagandafotografen Walter Frentz, indem er die glorifizierenden Posen aus dessen Bildern in überspitzt inszenierten Studiofotografien nachstellt. Teil der Serie sind Aufnahmen, die einzelne Personen vor der romantisierten Kulisse der Berchtesgadener Landschaften zeigen, wie etwa Hitler in leichter Rücklage beim Anfertigen eines Selfies.

Vielfach verwenden die Künstler historische Aufnahmen. Ein Beispiel sind die Fotomontagen der Wiener Künstlerin Tanja Boukal, die Schwarzweißaufnahmen Hitlers aus seinem Feriendomizil mit aktuellen Touristenaufnahmen kombiniert. Beim Fotografieren sammelte die Künstlerin einige Schieferplatten auf dem Gelände, auf die sie die fertigen Montagen druckte, in denen ein monochromer Hitler in das bunte Touristengetümmel platziert wird. Auch durch die Reproduktion der Bilder als steinerne Quasi-Memorabilia gelingt Boukal eine kritische Reflexion über den populären Umgang mit Erinnerung.

Dem „postfotografischen“ Trend des Rückgriffs auf Archive und deren anschließender Überformung entsprechen auch die Arbeiten des Luxemburgers Silvio Galassi. In der Serie Ghosts reinterpretiert er Porträtfotografien aus persönlichen Sammlungen, die er auf Flohmärkten erstand, indem er diese zu verschwommenen Geisterbildern verfremdet und so Interpretationsspielräume über die Identität der Motive eröffnet.

Neben den methodischen Facetten ist die inhaltliche Ausrichtung insbesondere der osteuropäischen Künstler interessant. Als Teil des Memory Lab: Transit zeichnet Vladimir Nikolic in seiner Videoinstallation The First Murder den Weg des Mörders Aleksanders von Jugoslawien durch das heutige Madrid nach. Im Lab Passé, présent widmet sich Adrien Pezennec in seinen Fotografien aus dem Kosovo und Bosnien-Herzegowina in ruhigen Schwarzweißaufnahmen den Spuren und Erinnerungen des Jugoslawienkrieges. Diese Auseinandersetzung mit Konflikten abseits des zeitlich-geografischen Fixpunktes Zweiter Weltkrieg erweitert das doch ziemlich berechenbare historische Spektrum von Hitler und Konsorten.

International bekannte Namen wie Erwin Olaf, Bettina Rheims oder Nan Goldin finden sich ebenfalls im Programm. Olaf befasst sich in seiner Serie Berlin mit der Stadt unter dem Aspekt der Macht, wofür er kostümierte Kinder und Erwachsene in vielschichtigen, an klassische Porträtgemälde erinnernden Fotografien gegenüberstellt. Auch das Thema Gender Studies findet Einzug in die Memory Labs. Die gleichnamigen Arbeiten von Bettina Rheims, minimalistisch wirkende Porträtaufnahmen, zeigen Personen abseits traditioneller Geschlechteridentitäten. Als Referenz auf die Pariser Demonstrationen gegen gleichgeschlechtliche Ehe im Jahr 2013 fügt sich diese Serie in das Lab Passé, Présent.

An die aufstrebenden Fotografen richtet sich der EMoP Arendt Award. Die Luxemburger Firma Arendt & Medernach vergibt den mit 5 000 Euro dotierten Preis alle zwei Jahre an einen der ausstellenden Künstler. Die internationale Jury verleiht ihn dieses Jahr an die in Wien lebende Französin Tatiana Lecomte, die ebenfalls vorwiegend mit gefundenem Bildmaterial arbeitet. Ihre Werke werden ab dem 22. April in den Räumen von Arendt & Medernach präsentiert.

Insgesamt bietet der Luxemburger EMoP in seiner fünften Auflage eine interessante Bandbreite an methodischen, stilistischen und inhaltlichen Auseinandersetzungen mit Geschichte. Gerade dort, wo Künstler dokumentarische Pfade zugunsten konzeptionell-künstlerischer Zugänge weit hinter sich lassen, entstehen die spannendsten, weil unkonventionellsten Ergebnisse, die oft nichts mehr mit klassisch-dokumentarischer Fotografie gemeinsam haben. Werke wie die von Schönfeld oder Boukal liefern nicht nur eine neue Sichtweise auf das Vergangene, sondern geben zudem wichtige Denkanstöße zum heutigen Umgang mit der Vergangenheit und zur Subjektivität von Erinnerung an sich.

Memory Lab I: Ré-écritures vom 7.3. bis 31.5. im Mudam; Memory Lab II: Passé, présent vom 24.4. bis 13.9. im MNHA; Memory Lab III: Traces vom 25.4. bis 31.5. im Cercle Cité – Ratskeller; Memory Lab IV: Transit von 25.4. bis 6.9. im Casino Luxembourg – Forum d‘Art Contemporain. Weitere Informationen: www.europeanmonthofphotography.org
Boris Loder
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