„Bier ist mehr als nur ein aus Hopfen und Malz hergestelltes alkoholisches Getränk. Insbesondere seine identitätsstiftende Kraft lässt sich nicht leugnen“, heißt es in der Einleitung zur Ausstellung Onse Béier, die noch bis zum 6. Oktober in den Nationalarchiven am Heilig Geist zu sehen ist. „Bier steht für Geselligkeit und Miteinander, ist bis heute nicht aus dem gesellschaftlichen Leben wegzudenken und spielt in vielen Aspekten des täglichen Lebens eine wichtige Rolle.“ Da Alkoholkranke meist versuchen zu verheimlichen, dass Alkohol in vielen Aspekten ihres alltäglichen Lebens eine wichtige Rolle spielt, können diese Aussagen gleich zu Beginn Ausstellungsbesucher doch ein wenig überraschen. Dabei sind es vielmehr Behauptungen, denn die Ausstellung bleibt die Antworten auf die Fragen weitestgehend schuldig ,„Inwiefern kann man in Luxemburg von einer ,Bierkultur‘ oder ,Biertradition‘ sprechen? Und welchen Stellenwert nimmt das Bier innerhalb der luxemburgischen Gesellschaft ein? Wie erklärt sich die kulturgeschichtliche Bedeutung?“ Das liegt einerseits daran, dass die Fragestellung ein wenig hoch gegriffen ist. Was andererseits den anekdotischen Charakter der Exponate nur noch unterstreicht.
Zu sehen gibt es alte Bierfässer, Bierflaschen, Biergläser, Biermatten, Bierdeckel, Bierjetons, alte Bierreklamen und Spielkarten, Kegelbahn-Punktetafeln und Aschenbecher. Die Leihgaben aus anderen Museen sind schön anzusehen. Sie sollen die Erinnerung an die gute, alte Zeit hervorrufen. Als die Gesellschaft noch gesellig, also intakt war. Als also die Männer zum Wirt gingen, um Karten zu spielen und Bier und Schnaps zu trinken, während die Frauen zu Hause kochten und Kinder hüteten. Und als es, wenn die rot-weiß-blauen Fahnen auf dem Ausstellungplakat ein Indiz sind, auch noch weniger Ausländer gab, die etwa Super Bock oder Sagres tranken.
Außerdem zeigt die Ausstellung eine Reihe von Unterlagen aus den Archiven. Etwa eine Grundstücksurkunde des Grafen von Berlyamont. Oder Patentanmeldeformulare für den motorisierten Antrieb in einer Brauerei, die Beitrittsurkunde Luxemburgs in den norddeutschen Braubund von 1907. Was der Beitritt in diesen Bund für die Luxemburger Brauereien bedeutete, warum er wichtig war, wird nicht erklärt. Den Machern von Onse Béier gelingt es nicht wirklich, ihre Exponate zu valorisieren, einen Kontext herzustellen und zu zeigen, warum die von ihnen ausgewählten Objekte und Unterlagen darin wichtig sind. So heißt es beispielsweise an anderer Stelle: „Der Erlass des Steuergesetztes von 1871 setzt die inländischen Brauereien mit denen der deutschen Bundesstaaten gleich. Dies hat zur Folge, dass vor allem größere, wirtschaftlicher arbeitende Brauereien konkurrenzfähig bleiben. Die zweckmäßigere Organisation hat einen sehr positiven Effekt auf die Produktion. Diese verzeichnet einen spektakulären Anstieg.“ Worin die Steuerreform bestand und weshalb sie eine Konsolidierung bewirkte, von wie viel auf wie viel die Produktion anstieg, erfährt man nicht. Ebenso wenig gibt es eine genaue Angabe darüber, wie lange genau die „lange Tradition“ des Bierbrauens in Luxemburg denn tatsächlich zurückgeht; die Quellenlage vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sei ein wenig spärlich und Luxemburg davor ja ohnehin kein eigenständiger Nationalstaat gewesen...
Über die Wirkung des Einzugs der Eisenbahn in Luxemburg schreiben die Ausstellungsmacher recht allgemein und faktenfrei: „Die schwerwiegenden Veränderungen im Zuge der Industrialisierung wirken sich auch erheblich auf die luxemburgische Bierkultur aus. Die Brauereien prägen mit ihren modernisierten Produktionshallen das Stadtbild in Luxemburg.“
Damit das Ganze nicht vollends zur Glorifizierungsveranstaltung des Alkoholkonsums wird, gibt es hier und da einen Hinweis darauf, dass die Trunksucht die Produktivitätszugewinne in den Schmelzen hemmte oder dass die Gendarmerie vermerkte, ob Straftaten nüchtern oder unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Von Forschung zum Thema Bierherstellung zu sprechen, wie die Ausstellungsmacher dies beanspruchen, und wie der Ausrichtungsort in den Nationalarchiven suggeriert, scheint daher recht gewagt.
Auf der weniger wissenschaftlichen Ebene wird nicht einmal etabliert, was „unser“ Bier besonders macht, es also beispielsweise von belgischem oder deutschem Bier oder dem in fast allen europäischen Ländern ebenfalls seit langem heimischen Bier unterscheiden soll. Sie zeigt aber, dass es für bierbegeisterte Historiker und Historikerinnen und Food-Forscher vielleicht interessante Ansatzpunkte geben könnte. Beispielsweise die Brauereibesitzerinnen, von denen in den Archivunterlagen die Rede ist, von denen eine mit ihren streikenden Arbeitern verhandelte. Oder aber die Sortenvielfalt, die, wie die vielen Bierdeckel zeigen, mit denen sie angepriesen wurden, breitgefächerter scheint als man das heute annehmen würde. Begleitet wird die Ausstellung Onse Béier von der Fotoausstellung Prost!, einer Auswahl von größtenteils undatierten Schnappschüssen anonymer trinkender Leute, von denen die Mehrzahl von unbekannten Autoren stammt, sowie dem Rahmenveranstaltungsprogramm Béier no véier (jeweils ab 17 Uhr). Unter anderem gibt dort am heutigen Freitag Eric Thibor, der Homebrewer des Jahres 2016, eine Masterclass, wird am 11. August die Zukunft der Mikrobrauereien diskutiert und geht am 6. Oktober CNA-Direktor Paul Lesch auf das Bier in der Luxemburger Filmgeschichte ein. Die Ausstellung hat damit vielleicht das Verdienst, Leute bis in den Eingangsbereich der Archive zu locken, die ansonsten dort nicht hinkommen würden, kann aber damit auch fehlende Archivgesetze und Forschungskultur nicht wettmachen.