Er ist recht attraktiv und ein wenig mysteriös, dieser Joakim (Maarten Heijmans), mit dem Lara (Peri Baumeister) erst kürzlich eine Affäre begonnen hat. Ihre Beziehung mit dem Polizisten Toni (Jules Werner) gehört nun der Vergangenheit an. Joakim lebt als Taxifahrer, bis er seinen Kampfkunstclub eröffnen kann. Lara arbeitet in einem Waisenhaus. Die Kinder lieben sie, und sie gibt alles für die Kinder. Wenn sie sich in letzter Zeit Sorgen gemacht hat, liegt das daran, dass eine ihrer ehemaligen Bewohnerinnen, Sarah, verschwunden ist. Dann hebt der Fund einer Leiche im Péitruss-Tal der Stadt Luxemburg ihr Leben aus den Angeln. Die Ereignisse rufen nicht nur Toni wieder auf den Plan, sondern bringen auch Laras Bild von Joakim ins Wanken...
Max Jacoby (Dust, 2009) übernahm bei Péitruss die Regie und das Drehbuch. Der Krimi wurde bereits Frühling beim 9. Luxembourg City Film Festival in Vorpremiere gezeigt und läuft derzeit in den Kinos. Die Geschichte des Yorkshire Ripper, ein Mann namens Peter Sutcliffe, der zwischen 1975 und 1980 mindestens dreizehn Frauen getötet hat, diente dem Filmemacher als Ausgangspunkt. Eine der wesentlichen filmhistorischen Bezugsquellen von Péitruss ist dabei der Film Noir, in dessen Tradition er sich stellt. Mit dem Begriff Film Noir ist jene Strömung innerhalb des amerikanischen Films der 40er und 50er-Jahre gemeint, die ästhetisch anspruchsvolle, düstere Kriminalfilme hervorbrachte. Für diese Filme sind nicht nur die moralisch ambivalenten und zwielichtigen Helden konstitutiv, sondern auch ein ganz prägnanter visueller Stil, der mit der sogenannten low-key-Beleuchtung harte Licht-Schatten-Kontraste generierte. Als Ausdruck einer amerikanischen Nachkriegsgesellschaft spiegelten diese Filme den Realitätsverlust einer Generation von Kriegsheimkehrern, die sich in ihrer Heimat entwurzelt fühlten. Obwohl sich das Ende dieser klassischen Phase des Film Noir mit Orson Welles‘ Touch of Evil recht präzise auf das Jahr 1958 datieren lässt, war der Einfluss dieser filmästhetischen Bewegung gewichtig, die sich dann unter dem Begriff Neo-Noir bis heute und weit über den amerikanischen Film hinaus fortsetzte.
Eingedenk dessen – freilich mit Bedacht auf manche Einschränkungen – weist einiges darauf hin, Péitruss als einen solchen Vertreter des Neo-Noirs zu deuten. Allerdings: Anstatt seinen männlichen Polizisten als Hauptfigur ermitteln zu lassen, rückt Jacoby eine Frau ins Zentrum des Films, die das Verbrechen und dessen Aufdeckung als Beobachterin erlebt. Über sie bindet Jacoby den Zuschauer an das Geschehen, lässt ihn immer wieder ihren Standpunkt einnehmen und sich in ihre Lage versetzen und fordert so implizit zur Stellungnahme auf. Denn in Péitruss kommt, neben der pessimistisch-humanistischen Botschaft, eine Auseinandersetzung mit moralischen Fragen zum Ausdruck. Wie auch in Dust tritt hier ein Fremder auf, dringt in Laras Leben ein und wird zum Störfaktor einer geordneten Existenz, die allmählich hinterfragt werden muss. Dieser Joakim ist ausdrücklich als Antiheld charakterisiert. Als entwurzelter Protagonist ist er eine solche Noir-Figur, und die Frau ist für ihn gewiss nicht der Rettungsanker, den er sich erhofft. Der Held ist selbst Täter und wird von seiner Vergangenheit eingeholt. Er trägt Schuld, mit der er sich auseinandersetzen muss. Ist es berechtigt mit ihm mitzufühlen? Jacoby steigert so die innere Spannung – repetitiv werden dann auch mittels der alternierenden Montage Bilder des Liebesaktes und den Übungen zur Selbstverteidigung verknüpft. Leidenschaft und Gewalt liegen hier sehr nah beieinander.
Nach Doudege Wénkel (Christophe Wagner, 2012) knüpft die Produktionsgesellschaft Samsa Film mit Péitruss also noch einmal an den Kriminalfilm an. Doch wo in Letzterem noch in ganz klassischer Manier das Aufklären eines Mordes im Zentrum der Handlung stand, da schreitet Péitruss stärker ins Feld des psychologischen Thrillers, indem er die Liebesbeziehung zwischen Lara und Joakim fokussiert, die nach und nach aus den Fugen gerät. Regisseur Max Jacoby ist freilich nicht bestrebt, alle Fragen zu beantworten. Dafür sprechen allein schon die narrativen Verschachtelungen, die komplexe Erzählung und deren Charaktere. Vielmehr geht es ihm um den Erfahrungsraum der Protagonistin, die desorientiert und machtlos ist angesichts einer intransparent gewordenen Welt in der sie ihre Illusionen zugunsten eines skeptischen Welt- und Menschenbilds aufgeben muss. Die Täter-Opferkonstellation verschiebt sich in diesem Film und zielt bewusst darauf, den Zuschauer in diesem Spiel von vorgetäuschten und ungeklärten Identitäten ebenso zum Wirklichkeitsverlust zu bringen. Was stimmt und was stimmt nicht? Wer lügt? Wem soll man glauben? Von wem geht die Aggression aus? Jacoby will den Zuschauer um diese Fragen herumkreisen lassen. Gewalt wird kaum gezeigt, dafür aber viel eher suggeriert. Jacoby lässt seine Heldin in dieser Welt schließlich triumphieren, weil sie sich angepasst hat, nicht weil sie dem Schema Gut-gegen-Böse entsprechend siegen „muss“. Es ist sicherlich nicht die beste der Beziehungen, die die Heldin des Films führt, aber sie findet eine Stabilität in diesem Wirklichkeitsverlust, der um sie greift. Nicht viel mag das sein, aber es scheint, als wäre es doch genug für die Heldin und das Glück, das sie vermittelt.
Stilistisch wird auch hier versucht eine unheimliche Atmosphäre aufzubauen, so gibt es ein festes Farbschema, das vor allem die Farbe Rot gewichtet und sie gegen dunkel ausgeleuchtete Räume stellt. Kameramann Tibor Dingelstad fängt die luxemburgische Hauptstadt in einem Wechselspiel zwischen Tag- und Nachtszenen ein, zeigt sonnendurchflutete Parks und regennasse Straßen. Auf der Tonebene dominiert ein Soundtrack von David Sinclair, der den kalten und desolaten Zustand seiner Figuren auditiv erfahrbar machen will.