Die französisch-luxemburgische Koproduktion Les hirondelles de Kaboul wurde bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes in der Reihe Un certain regard gezeigt. Der Animationsfilm beruht auf der Buchvorlage des algerischen Schriftstellers Yasmina Khadra (Pseudonym für Mohammed Moulessehoul) und wurde nun unter der Regie der französischen Filmemacherin Zabou Breitman verfilmt. Schauplatz ist die Stadt Kabul Ende der Neunziger: Bewaffnete Taliban-Kämpfer und vermummte Frauengestalten prägen das Straßenbild.
Les hirondelles de Kaboul ist multiperspektivisch erzählt und verwebt zwei Handlungsstränge ineinander: Mohsen und Zunaira, ein junges, verliebtes Paar, möchten gerne im Untergrund lehren, aber das Regime hält sie davon ab. Und dann sind da noch Atiq, der Wächter des Frauengefängnisses, und seine Frau Mussarat. Einzelschicksale also, die pars pro toto für eine Bevölkerung des unter dem Taliban-Regime terrorisierten Afghanistans stehen. Zunaira träumt von einer besseren Zukunft mit Mohsen, Atiq hingegen glaubt nicht mehr an das Land, in dem er lebt. Diese Weltsichten von Aufbruchsphantasie und Resignation werden sich im Verlaufe des Films treffen. So verhandelt Breitman das Wechselspiel zwischen Hoffnung und Verzweiflung; beides schafft die Animationskünstlerin Eléa Gobbé-Mévelle, mit dem Zeichenstift sichtbar zu machen. Die visuelle Transition von den Burka-tragenden Frauen zu den davonfliegenden Schwalben ist in diesem Zusammenhang stark gewollt und drängt unbeholfen auf visuelle Poesie.
Die Grundstimmung in der Handlung ist indes das Gefühl einer Vergeblichkeit und Ohnmacht, die an Verdammnis denken lässt. Mohsen ist verwirrt und wie gelähmt von der düsteren und gewalttätigen Zeit in der Angst, Terror und Verdrängung zusammenwirken. Ebenso erweist sich die Suche nach Wahrheit für Atiq als ebenso absurd wie gefährlich; all diese Figuren eint der Wunsch, zu resignieren angesichts der Widersprüchlichkeiten dieses Regimes. Zabou Breitman zeigt eine Welt, die aufgrund der Grausamkeit weder rational noch emotional völlig zu fassen ist. Und da kommt der Animationsfilm formal ganz zu seiner Geltung: Die Animation schafft eine bizarre Distanz zwischen Dargestelltem und Zuschauer.
Der Animationsfilm schafft es, durch die Reduktion auf Grundformen, die vorherrschenden und mittlerweile konventionell gewordenen Bilder, die in den Nachrichtendiensten zirkulieren, zu verfremden. Damit ebnet der Film einen visuell spannenden Zugang zu den Gewalttaten, um sie so in ihrer Unverständlichkeit erfahrbar zu machen. Es ist indes keine Verharmlosung von Gewalt, vielmehr eine neue Form der Artikulation. In äußerst graphisch-verfremdenden Bildern ersetzt
Les hirondelles de Kaboul den Realitätseindruck des Spielfilms und stellt die Zeichnung voran, die es vermag, Gewalt hervorzurufen, die in realen Bildern unerträglich wäre. Dieser Tendenz der Distanzierung widerspricht hingegen die Subjektivierungsstrategie des Point-of-View, der den Blick der vermummten Frau widergibt. Dadurch kommt nämlich eine Auseinandersetzung mit den
inhumanen Praktiken gegenüber Frauen zum Ausdruck: Die Frau wird eindringlich als Opfer eines irrationalen radikalen Fundamentalismus charakterisiert.
Vor knapp einem Jahr erschien Nora Twomeys The Breadwinner, ein weiterer Animationsfilm, der auf einer Romanvorlage beruht und dessen Handlung ebenfalls im Afghanistan spielt. Les hirondelles de Kaboul reiht sich in dieses Ensemble ein, wenngleich er an die irritierende Wirksamkeit von Vorgängerfilmen wie etwa Waltz with Bashir oder Persepolis schwerlich heranreichen kann. Marc Trappendreher