Das neue Jahr begann in der britischen Politik klassisch: mit einem Streit über Großbritanniens Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Diesmal schlug Premier David Cameron in seiner Kritik an der Eurozone einen härteren Ton an. Damit seine Regierung die engere Integration der Union unterstütze, müsse die Union den Briten entgegenkommen, fand Cameron in einem Interview mit der BBC. Da die Eurozone von den Mitgliedsstaaten reformiert wird, habe auch Großbritannien das Recht, die Bedingungen der Mitgliedschaft in Frage zu stellen und Änderungen zu fordern, so der Premier. Die EU-Mitgliedschaft sei jedoch in Großbritanniens Interesse, versicherte er.
Es sind europäische Arbeits- und Sozialgesetze, auf die Cameron verzichten will. Sozialleistungen für EU-Migranten und die EU-Arbeitszeitrichtlinie will er abschaffen, weitere Forderungen werde er Ende des Monats in Den Haag bekanntgeben. Falls diese neue Härte ein Neujahrsvorsatz war, wird Cameron sie auf jeden Fall durchziehen müssen, um den Erwartungen der euroskeptischen Hinterbänkler gerecht zu werden.
Doch seine Forderungen, sowie der Verweis auf ein Referendums über die EU-Mitgliedschaft, sorgen im Ausland für Unverständnis. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy wies im Guardian darauf hin, dass Union und Binnenmarkt zusammengehörten. Es gehe nicht, dass jeder Mitgliedstaat sich das herauspicken würde, was ihm gefällt. Bundesaußenminister Guido Westerwelle verrät im Spiegel-Interview, Deutschland wünsche sich ein Großbritannien, das „ein konstruktiver und aktiver Partner in der EU bleibt“. Philip H. Gordon, stellvertretender Minister für europäische Angelegenheiten des US-Außenministeriums, gab während einem Besuch in London zu bedenken, ein EU-Austritt Großbritanniens könne gar die Beziehung zu den USA beschädigen. „Wir haben wachsende Beziehungen zur EU als eine Institution, die eine immer stärkere Rolle in der Welt spielt – und wir wünschen uns eine starke britische Stimme in dieser EU“, sagte Gordon. Das sei „in Amerikas Interesse“. Die USA werde weiterhin starke Beziehungen zu EU-Mitgliedsländer suchen, und ein EU-Austritt würde die „spezielle Beziehung“ zwischen den USA und Großbritannien auf keinen Fall stärken. Würde Cameron wirklich die historische Beziehung zu den Vereinigten Staaten riskieren?
Das Thema EU-Mitgliedschaft sorgt in Großbritannien von jeher für hitzige Debatten und hat auch schon Premierministern das Amt gekostet. David Cameron sitzt, wie viele seiner konservativen Vorgänger, in der Zwickmühle. Erzkonservative Hinterbänkler seiner Partei beklagen den Verlust an Souveränität und wünschen sich sehnlichst einen Austritt. Obschon mehr als die Hälfte der britischen Exporte in die EU gehen, glauben viele in den Commonwealth-Nationen und in Schwellenländern mehr Umsatz als in der krisengeschüttelten Union machen zu können.
Viele Tories, denen Camerons Haltung gegenüber der EU zu sanft war, liefen zu den euroskeptischen und rechtspopulistischen UK Independence Party (UKIP) über. Diese Partei, die außerdem der rechtsextremen British National Party (BNP) Mitglieder abgewann, genießt steigende Unterstützung. Einer rezenten ComRes-Umfrage zufolge haben UKIP nun mit 23 Prozent nun sogar die Tories (22 Prozent) hinter sich gelassen, was die Konservativen in Hinsicht auf die nächsten Wahlen alarmieren sollte. Labour führt mit 35 Prozent, nur noch acht Prozent würden die Liberaldemokraten wählen.
Nick Clegg, liberaldemokratischer und pro-europäischer Koalitionspartner, warnt derweil vor einer zunehmenden Isolation in Europa und stellt sich gegen ein Referendum zur EU-Mitgliedschaft, das Cameron zuletzt im Herbst in Aussicht stellte. Doch Clegg, der einige seiner wichtigsten Wahlversprechen in der Koalitionsregierung vermasselte, sehen viele Briten als Camerons Schoßhund, und nehmen den Vize-Premier nicht mehr sonderlich ernst.Alle Augen richten sich demnach auf den Premier. Wird er der Mehrheit seiner Partei treu bleiben und den Euroskeptikern nachgeben, sich von der EU isolieren und somit gegen den Wunsch der USA handeln? Dies scheint sehr unwahrscheinlich. Außerdem hat sich Cameron bis jetzt immer für eine EU-Mitgliedschaft ausgesprochen. Doch die Wiederwahl ist ihm wichtig, und den Erfolg der UKIP, die alle Euroskeptiker zusammentrommelt, kann er nicht ignorieren.
Labour-Chef Ed Miliband kritisiert Camerons Mittelweg. Die Haltung des Premiers sei „gefährlich“, er „schlafwandele“ Großbritannien am Ende aus der Union. Obwohl Labour ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft nicht grundsätzlich ablehnt, sei das Versprechen eines Referendums, dessen Modalitäten nicht geklärt sind, ebenfalls falsch. Solch eine Volksbefragung diene nur dazu, die Risse in der konservativen Partei zu übertünchen. Cameron wird seine Grundsatzrede über die britische EU-Mitgliedschaft voraussichtlich am 22. Januar in Den Haag halten.