Pizza-und-Scrabble-Abend bei Karen (28) und Freddie (25) in ihrem gemieteten Einfamilienhaus in Surrey Quays, im Südosten Londons. Die gerade eingetroffenen Gäste begrüßen das Paar und stellen die mitgebrachten Plastiktüten auf dem Küchentisch ab. Nachdem die Bierflaschen im Kühlschrank verstaut sind und die Schüssel mit den Kartoffelchips ein paar Mal herumgereicht wurde, kann es los gehen. Karen, Freddie und ihre Freunde versammeln sich um das Scrabble-Brett. Die zehn Leute, die heute zum Buchstabieren gekommen sind, sind alle im Alter von 25 bis 33. Die meisten von ihnen arbeiten Vollzeit und leben in Wohngemeinschaften.
Auch Karen und Freddie teilen sich das Haus mit ihrem Freund Arash. Das Paar arbeitet seit zwei Jahren, Freddie schreibt für ein Magazin, Karen arbeitet in einer Anwaltskanzlei. Ein Immobilienkauf kommt für beide nicht in Frage. „Wir haben momentan keine Ersparnisse. Erst nachdem wir unsere Studentenkredite abbezahlt haben, können wir anfangen, etwas auf die Seite zu legen“, erklärt Karen.
Sich nach der Ausbildung einen gut bezahlten Job zu angeln und sich eine Wohnung oder gar ein Haus zu kaufen, ist ein Weg, der für junge Briten zum Auslaufmodell geworden ist. Viele suchen verzweifelt nach einem Arbeitsplatz, leben jahrelang in Wohngemeinschaften oder ziehen sogar zurück ins Elternhaus, wenn das Geld nicht für die Miete reicht. Ein Wohnungskauf kommt wegen der steigenden Immobilienpreise noch weniger in Frage, und viele junge Briten glauben, sich diesen Wunsch nie erfüllen zu können. Auf die Generation der vielen Eigenheimbesitzer folgt nun die „Generation Rent“.
„Wir haben ja kein Kredit-Rating. Keine Bank würde uns jetzt ein Hypothekendarlehen geben“, beschreibt Freddie die Lage, in der momentan viele sind. Dabei hat in Großbritannien der Anteil der Eigenheimbesitzer stets höher gelegen als auf dem Kontinent. 2009 lebten 69 Prozent der britischen Haushalte in einem Eigenheim. Aber diese Zahl liegt nur noch knapp über der in die Frankreich (63 Prozent) und Deutschland (56 Prozent).
Die Eigentums-Erwerbsrate sank bereits vor der Finanzkrise. Seit 2005 bezahlen laut New Statesman eine Million neue Haushalte Mieten; vor allem jedoch sind junge Menschen unter 35 betroffen: Seit 1998 hat sich der Anteil der Mietenden in dieser Altersgruppe verdreifacht. Laut einer Studie von Halifax wird sich dies so bald nicht ändern, und hinter den Zahlen verbirgt sich ein Stimmungsbild aus Frust und Hilflosigkeit. Mehr als drei Viertel der 8 000 befragten Briten im Alter von 20 bis 45 Jahren offenbarten in der Studie für Halifax, dass sie gerne einmal ein Eigenheim besitzen wollen. Mehr als die Hälfte glaubt jedoch, sich diesen Wunsch nie erfüllen zu können.
Aber auch Erstkäufer sind unsicher: 85 Prozent von ihnen glauben, dass Banken ihnen nicht die nötigen Darlehen bieten und dafür „jede Ausrede nutzen werden“. Wie die Immobilien sich entwickelt haben, hat der Daily Telegraph unlängst beschrieben: Der Durchschnittspreis, den Ersterwerber für eine Immobilie zahlen, hat sich zwischen den Jahren 2000 und 2010 verdoppelt – von 68 644 Pfund auf 138 682 Pfund. Das Alter von Erstkäufer hat dieses Jahr eine Rekordhöhe erreicht: Erst mit – durchschnittlich – 38 Jahren wagen es Briten, Immobilien zu kaufen; in der Hauptstadt sogar erst mit 43 Jahren.
Liz Ford ist 28, und hat es trotzdem gewagt. Die Krankenschwester verabschiedete sich letztes Jahr von ihrer Wohngemeinschaft und kaufte sich eine Wohnung in Whitechapel, Londons trendigem East End. „Ich hatte vorher zehn Jahre lang Miete bezahlt und hatte es satt, die Hypotheken anderer Leute zu bezahlen“, erinnert sich Liz.
Doch um sich den Kauf leisten zu können, suchte sich die 28-Jährige ein shared ownership scheme. Das erlaubt es ihr, einen Teil der Immobilie zu bezahlen und den Rest in Form von Mieten abzutragen. Das Eigentum teilt man üblicherweise mit einer Wohnungsgenossenschaft, die die Miete einzieht. Den Anteil kann man je nach Vermögen erhöhen und so die Abzahlung etappenweise beschleunigen. Für Ersterwerber ist dies eine erschwinglicher Weg, die „Eigentums-Leiter“, wie es in Groß-britannien gerne genannt wird, empor zu steigen. „Ich besitze einen Anteil von 25 Prozent, die Kaution war nur ein Bruchteil des Betrags, den ich auf dem freien Markt hätte zahlen müssen“, freut sich Liz. „Ohne diesen Plan könnte ich mir nie eine Eigentumswohnung leisten.“
Liz kann die Freunde und Bekannten, die sich ebenfalls für einen Kauf entschieden, an einer Hand abzählen. Das ist nicht überraschend, denn vom Boom des Wohnungseigentums vor 30 Jahren ist in Großbritannien heute nichts mehr zu spüren. Zwischen den Jahren 1971 und 1991 stieg die Zahl der privaten Wohneigentümer laut Office for National Statistics von 49 Prozent auf 69 Prozent. Das stärkste Wachstum fand in den Achtzigerjahren statt, nachdem Margaret Thatcher das Right-to-buy-Schema eingeführt hatte. Dieses ermöglichte es den Bewohnern von Sozialwohnungen, ihre Bleibe zu einem herabgesetzten Wert zu kaufen, je nachdem, wie lange der Haushalt bereits dort lebte. Falls die Käufer sich entschieden, die Wohnung vor Ablauf einer gewissen Frist weiter zu verkaufen, musste ein Teil des Discounts an die lokalen Behörden rückerstattet werden.
So kam es zu einer massiven Privatisierung der Sozialwohnungen, die in der Nachkriegszeit im Kontext einer Wohnungsknappheit hastig und massenweise erbaut worden waren. Diese Arbeiterwohnungen wurden zum Symbol eines neuen Reichtums – heute stehen sie jedoch in vielen Gegenden für Armut und Kriminalität. Bauten wie das Heygate Estate in Süd-London sind Beispiele gescheiterter Wohnviertel, die nach der Privatisierung vernachlässigt wurden und zu Schandflecken ihres Stadtteils wurden. Einst erfüllten die Sozialwohnungen den Wunsch nach einem Eigenheims für Menschen, die nie für möglich gehalten hätten, einmal in ihren eigenen vier Wänden zu leben. Heute leben in diesen Bauten oft junge, oft diplomierte Arbeitslose, die zwar von einem Eigenheim träumen, sich diesen Wunsch aber wahrscheinlich sehr spät oder gar nie erfüllen werden können.
Mietwohnungen sind demnach momentan sehr gefragt in Großbritannien, und die Kosten sind drastisch gestiegen. Die Association of Residential Letting Agents berichtete vor zwei Wochen von einer wachsenden Kluft zwischen Angebot und Nachfrage bei mietbaren Immobilien: 74 Prozent der Mitglieder des Verbands haben beobachtet, dass die Zahl der nach Mietwohnungen suchenden Haushalte die Zahl der zu vermietenden Wohnungen „stark“ übertrifft; im Zentrum Londons stimmen diesem Befund sogar 82 Prozent der Agenten zu. In der Hauptstadt stiegen die Mietpreise im Mai um 2,2 Prozent, so dass die Durchschnittsmiete auf 1 968 Pfund gestiegen ist. Innerhalb eines Jahres sind die Preise in London um 17 Prozent gestiegen.
Laut Shelter, einer Stiftung gegen Obdachlosigkeit, haben diese Entwicklungen weitreichende Konsequenzen. Wegen der steigenden Preise im Wohnungswesen ist die Mobilität von Arbeitssuchenden im Alter von 18 bis 34 stark eingeschränkt. Sie können es sich nicht leisten, in eine jobreichere Gegend zu ziehen, was wiederum die Genesung der Wirtschaft bremst. Doch die Situation hat auch soziale Folgen: Angeblich ziehen 22 Prozent der 18- bis 34-Jährigen zurück zu ihren Eltern, da sie sich die hohen Mieten nicht leisten können. An die Gründung einer eigenen Familie ist in dieser Situation schwer zu denken, und 20 Prozent der jungen Leute schieben das Kinderkriegen hinaus.
Noch schlimmer wird es, wenn man weg will, aber nicht kann: 31 Prozent der 18- bis 34-Jährigen sehen sich gezwungen, in einer Beziehung zu bleiben oder mit einem Ex-Partner weiter zusammen zu leben, weil ihnen das nötige Geld für einen Umzug fehlt. Denn der Umzug ist ein teures Unterfangen: In London zum Beispiel muss man eine Kaution und gleichzeitig eine oder zwei Monatsmieten vorauszahlen, wenn man in eine neue Wohnung zieht. Zusätzlich fordern Vermieter Empfehlungen von vorherigen Vermietern, Bankauszüge und sogar Referenzen von Arbeitgebern. Für junge Arbeitslose kann die Suche nach einer Wohnung demnach genauso frustrierend sein wie die nach einem Job.
Die Aussichten mögen düster erscheinen, doch die jungen Leute passen sich wohl oder übel an die Situation an. „Ich glaube, die meisten in meiner Generation haben es akzeptiert, dass es ihnen ohne die Hilfe der Eltern unmöglich ist, eine Wohnung kaufen zu können“, meint Liz. Auch die Prioritäten wechseln zwangsläufig von einer Generation zur nächsten. „Manche meiner Freunde ziehen es vor, für eine Eigentumswohnung zu sparen, anstatt Geld für eine teure Hochzeit auszugeben“, sagt die Krankenschwester. Die kommende Generation in Großbritannien wird noch höhere Uni-Einschreibgebühren zahlen müssen und demnach noch höher verschuldet sein. Für sie wird es auch wohl kaum so ein solides elterliches Sicherheitsnetz geben, das einen großen Teil der heutigen Generation im Notfall noch auffangen kann.
In Karen und Freddies Spielabend ist von dieser entmutigenden Stimmung natürlich nichts zu verspüren. Das Gespräch über die finanzielle Zukunft der Anwesenden ist mit ein paar Scherzen schnell aus der Runde verabschiedet, und das Buchstabieren hat wieder Vorrang. Denn junge Briten haben sich an schlechte Nachrichten über ihre Zukunft gewöhnt. Sie sind die Generation, die während der schlimmsten Wirtschaftskrise seit den Dreißigerjahren den ersten Job und die erste Mietwohnung finden musste. Die Marke Generation Rent wird sie wohl oder übel auch wegstecken und das Beste daraus machen.