Der 17. Mai ist Welt-Aktionstag gegen Homophobie. Während die EU als einigermaßen tolerant gilt, werden in den Nachbarstaaten sexuelle Minderheiten oft schikaniert. Etwa in Moldawien

„Ich bin schwul, verzeih mir“

d'Lëtzebuerger Land vom 12.05.2011

„Ich versuche, nicht effeminiert zu erscheinen. Ich rede nicht unserem Slang und erwähne auch sonst nichts, was mich verraten könnte. Ich habe einfach Angst.“

Veaceslav hat gelernt, seine sexuelle Orientierung zu verstecken, denn schlechte Erfahrungen hat er in seinem Heimatland Moldawien bereits viele gemacht. Vor ein paar Jahren wurde er erpresst – ausgerechnet von Polizisten. Er befand sich mit Freunden in einem Park der Hauptstadt Chisinau, als zwei Zivilpolizisten ihn ansprachen und über sein Privatleben auszufragen begannen. Schließlich erklärten sie, Homosexualität sei in Moldawien verboten. „Sie drohten, mich einzusperren und erst gegen eine hohe Kaution freizulassen,“ erinnert sich Veaceslav, der damals Rechtswissenschaft studierte und von den Ordnungshütern wissen wollte, auf welches Gesetz sie sich beriefen. „Ich wusste ja, dass sie logen und mit mir Geld machen wollten.“ Veaceslav hatte recht. Die Polizisten befahlen ihm, ihnen zu einem Pfandhaus zu folgen, wo sie sein Mobiltelefon verpfändeten. Er würde das Telefon zurückbekommen, wenn er ihnen am nächsten Tag Geld brächte. „Sie gaben einen Treffpunkt an und drohten, mich bei meiner Familie und Freunden zu outen, mich zu verprügeln und sogar umzubringen, falls ich nicht alleine dorthin käme.“

Veaceslav telefonierte am selben Tag mit einer Repräsentantin von Gender Doc M, Moldawiens erster Hilfsorganisation für sexuelle Minoritäten. Man riet ihm, zur Polizei zu gehen, doch die war ja gerade das Problem. „Auf Anraten eines Anwalts der Organisation schrieb ich dann einen Brief an die Polizei“, erzählt Veaceslav. Zusammen mit dem Anwalt und einigen Polizisten fuhren sie zu dem Ort, an dem die Zivilpolizisten auf das Erpressungsgeld warteten. Veaceslav weigerte sich aus dem Wagen zu steigen. „Ich hatte schreckliche Angst, doch alles verlief nach Plan.“ Die beiden korrupten Polizisten mussten eine Strafe zahlen und wurden für zwei Jahre vom Dienst suspendiert. Doch auch für Veaceslav hatte die Affäre Folgen. Für seine Zeugenaussagen vor Gericht und verschiedene Treffen mit dem Anwalt musste er in seinem Job als Kellner kürzer treten, worauf sein Chef ihm kündigte. Seine Abwesenheit sei jedoch nicht der Hauptgrund für die Entlassung gewesen. „Der Boss wusste, dass ich Probleme mit der Polizei hatte, weil ich schwul bin. Das genügt hier, um gefeuert zu werden.“

Während seiner Arbeit als Koordinator bei Gender Doc M musste er oft ausländische Repräsentanten empfangen. Wahrend des kommunistischen Regimes, das Moldawien von 2001 bis 2009 im eisernen Griff hielt, musste jede Einreise deklariert und geprüft werden. „Polizisten, die mich erkannten, sprachen mich sofort auf den Erpressungsfall an. Sie fragten, ob ich mich nicht schämte, dass ihre Kollegen nun zwei Jahre lang ihre Familien nicht ernähren konnten“, erinnert er sich. Veaceslav war das erste Erpressungsopfer, das sich öffentlich in Moldawien wehrte. Ähnliche Fälle gibt es immer noch viele. Die meisten Opfer bezahlen ihre Erpresser aus Angst, geoutet zu werden.

Im Dezember letzten Jahres wurden Aktivisten von Gender Doc M Zeugen eines weiteren Einschüchterungsversuches durch Polizisten. Die Ordnungshüter hatten einen 26-Jährigen und dessen Begleiter an einem bekannten Ort, an dem sich Schwule verabreden, angepöbelt und ihnen gedroht, sie bei Eltern und Arbeitskollegen zu outen. Die Aktivisten überredeten die Polizisten, die beiden Männer in Ruhe zu lassen. Doch für den 26-Jährigen war es zu spät: er erhängte sich noch am selben Tag. Seine letzten Worte sprach er kurz davor in einem Telefonat mit seiner Mutter: „Ich bin schwul, bitte verzeih mir.“

In einer Stellungnahme schrieben die Polizisten, sie hätten den beiden Männern bloß eine „Lektion“ erteilt, nachdem sie diese beim Oralsex erwischt hatten. „Die Menschen hier geben den Polizisten in solchen Fällen recht und hinterfragen ihr Handeln überhaupt nicht“, erklärt Iulia Marcinschi von Amnesty International. „Dieser Fall ist eine Tragödie. So muss es kommen in einer Gesellschaft, die sexuelle Minoritäten derart unterdrückt.“

Über 90 Prozent der moldawischen Bevölkerung sind christlich-orthodox. Homosexualität ist nach wie vor ein Tabuthema; Schwule und Lesben se-hen Ordnungshüter als Bedrohung. Doch auch von Politikern kann kein Schutz erwartet werden, ganz im Gegenteil: Öffentliche homophobe Diskurse bringen in Moldawien Stimmen ein. Beispiele hierfür gab es in letzter Zeit genug, denn im Februar wurde im Parlament ein Antidiskriminierungsgesetz debattiert, das Bürger vor Benachteiligungen aufgrund von Rasse, Behinderung, Glauben und sexueller Identität schützen soll. Viele Parlamentarier forderten jedoch, letztere Klausel aus dem Gesetzentwurf zu entfernen. So auch Mihai Ghimpu, Chef der Liberalen Partei. „Wir sind liberal, doch wir sind gesund und wollen eine gesunde Familie. Wir bringen doch auch keine Patienten aus psychiatrischen Anstalten in die Öffentlichkeit“, argumentierte er.

Fundamentalistische und rechtsradikale Gruppen sehen das Antidiskriminierungsgesetz als Bedrohung und haben in den letzten Monaten regelrechte Hetzkampagnen veranstaltet. Pro Familia und Moldova Crestina, zwei extrem konservative Gruppen, holten sich hierfür Scott Lively, einen evangelikalen Missionar und Anti-Schwulen-Aktivist, zur Hilfe. Der Amerikaner wirkte bereits bei Hetzkampagnen in Uganda mit und war angeblich an der Verschärfung des dortigen Anti-Schwulen-Gesetzes beteiligt, das die Todesstrafe für Homosexuelle vorsieht. Lively hat nun in Moldawien ein neues Spielfeld gefunden. Pro Familia hat nach Livelys Besuch sogar eine „schwarze Liste“ mit Namen von Befürwortern von Lesben- und Schwulenrechten zusammengestellt.

Mitglieder und Partnerländer der Europäischen Union sind verpflichtet, die Europäische Menschenrechtskonvention zu achten, und ohne das Antidiskriminierungsgesetz kann ein Assoziierungsabkommen zwischen Moldawien und der EU nicht in Kraft treten. Brüssel erwartet, dass das Gesetz noch in diesem Jahr verabschiedet wird. Die Klausel über sexuelle Minoritäten muss inbegriffen sein. Obwohl der größte Teil der politischen Klasse Moldawiens einen EU-Beitritt anstrebt, werden Zivilrechte weiterhin missachtet. Wenn ein fundamentalistischer Panikmacher wie Lively im Antidiskriminierungsgesetz eine „Homosexualisierung der Gesellschaft“ sieht, sind in einem so religiö-sen Land wie Moldawien Versprechen an die EU schnell vergessen.

Seit den Diskussionen über das Gesetz haben sich Drohungen und Übergriffe auf Aktivisten von Gender Doc M gehäuft. Die Arbeit für mehr Toleranz läuft trotzdem auf Hochtouren. GDM organisiert Seminare mit europäischen Partnerorganisa-tionen, bietet Rechtsberatung an und trainiert Polizisten, Psychologen und Sozialarbeiter. Nebenbei bringt das Dokumentationszentrum zwei Zeitschriften heraus.

Vor allem aber stellt Gender Doc M in ihrer Zentrale einen sicheren Zufluchtsort bereit. Hier hat sich eine Gemeinschaft gebildet, die zusammen einmal pro Woche einen Disco-Abend veranstaltet. Laut Anjelika Frolova, der Leiterin von Gender Doc M, ist es immer noch schwierig einen Klubbesitzer zu finden, der bereit ist, sein Lokal für die einzige Queer-Party im ganzen Land zu öffnen. Das Risiko, nach der Disco von Gegnern verfolgt und angegriffen zu werden, besteht für Besucher immer.

Trotzdem findet die Party regelmäßig statt und ist zudem gut besucht. So auch an einem Donnerstag Abend im November letzten Jahres. Im Eingang des Clubs, der sich im obersten Stock eines Einkaufszentrums in Chisinau befindet, stehen mehrere Türsteher. „Keine Fotos von den Leuten bitte“, verordnet einer von ihnen als er die Digitalkamera erblickt. „Aus Sicherheitsgründen“, erklärt er. Drinnen sind bereits Gäste am Tanzen, die Spiegelungen der Diskokugel beleuchten heitere Gesichter und ausgestreckte Arme. Auch Veaceslav ist da, er scheint hier jeden zu kennen. Nach einer Weile steigt er mit anderen Mitgliedern von Gender Doc M auf die Bühne und ruft Leute aus dem Publikum zu sich. Es folgt ein Quiz über Safer Sex, und Infoblätter, Broschüren und Kondome werden verteilt. Bevor die eigentliche Disco-Nacht mit hämmernder Electro-Musik beginnt, ertönt eine russische Version von Gloria Gaynors Fetenhit I Will Survive. Jeder singt lautstark mit.

„Es ist wieder eine sehr gelungene Nacht“, bemerkt Veaceslav im Laufe des Abends. In den meisten europäi-schen Städten wäre dies eine Klubnacht wie jede andere, doch hier ist die Disco ein Zufluchtsort. „Für uns ist dies der einzige Ort im Land, wo wir wir selbst sein können. Ich kann hier mit Männern diskutieren und tanzen, ohne Angst zu haben“, lächelt er, bevor er wieder in der Menge verschwindet.

Zu diesem Zeitpunkt im November war der Kampf für das Antidiskriminierungsgesetz in vollem Gange. Letzten Monat wurde der Gesetzentwurf jedoch wieder aus dem Parlament genommen. Es gebe nicht genug Unterstützung von den Abgeordneten, hatte Justizminister Alexandru Tanase den Schritt begründet. Die Regierung würde das Gesetz nun abändern, um den Wünschen der Bevölkerung gerecht zu werden. Was genau damit gemeint ist, verriet er nicht. Für Gender Doc M ist das ein bitterer Schlag, doch die Aktivisten sind einiges gewohnt. Sie lassen sich nicht unterkriegen. Denn gerade jetzt sind Aufklärungsarbeit und Beratungen wichtig. Genau wie auch die Disco-Abende.

Claire Barthelemy
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