Großbritannien steht vor einer Rezession. Bei steigenden Lebenshaltungskosten wächst das Geschäft von Kleinkreditfirmen. Manche berechnen effektive Jahreszinsen von 4 000 Prozent

Gold am Ende des Regenbogens

d'Lëtzebuerger Land vom 10.02.2012

„Du sagst uns, wie viel du brauchst und für wie lange, und wir sagen dir wie viel das kosten wird,“ erklärt die Animationsfilmfigur einer älteren Dame mit rosa Strickjacke und Föhnfrisur. „Wir finden es wichtig, den Leuten Kontrolle zu geben“, fügt eine weitere Figur hinzu. Wir befinden uns in einem Werbespot der Firma Wonga.com.

Wonga.com verspricht, via Internet Kleinkredite, auch Überziehungskredite genannt, innerhalb von Minuten auszustellen. Wer seine Kreditkarten bereits voll belastet hat, am Monatsende aber immer noch Geld braucht, der findet in Firmen wie Wonga (auf englisch: Kohle) eine kurzfristige Lösung. Aber auch eine riskante. Wonga berechnet einen effektiven Jahreszins von stolzen 4 214 Prozent. Daneben gibt es noch tausende andere Firmen, die im Netz oder in der Filiale Kredite zu sehr hohen Zinsen anbieten. Große Akteure sind QuickQuid mit 1 734 Prozent und die Kette The Money Shop mit 1 737,2 Prozent. Wer solche Darlehen nicht rechtzeitig bedient, kann sehr tief im Schuldensumpf versinken.

In Großbritannien sind solche Kreditfirmen derzeit dennoch sehr gefragt. Das liegt vor allem daran, dass Banken Erweiterungen von Kreditlinien für Kontoüberziehungen, aber auch kleineren Krediten nicht mehr so schnell zustimmen wie früher. Diese Krisenstimmung kommt für Wonga und Co. wie gerufen. Ihr Markt wird auf zwei Milliarden Pfund jährlich geschätzt, Tendenz steigend. Allein im vergangenen Jahr soll Wonga rund neun Millionen Pfund für Werbekampagnen gezahlt haben. 2009 wurden laut dem Office of Fair Trading Überbrückungskredite von insgesamt 900 Millionen Pfund aufgenommen.

Die genaue Zahl der Kunden dieser Firmen ist unbekannt. Insolvenzspezialisten rechnen jedoch damit, dass Millionen Briten in den nächsten sechs Monaten solche Darlehen aufnehmen werden. In einer Erhebung von R3, einer Gruppe von Insolvenzspezialisten, gaben 45 Prozent der 2 000 Befragten an, ihr Geld reiche nicht bis zum nächsten Zahltag aus. Unter den 24- bis 44-Jährigen steigt diese Zahl auf 62 Prozent. Geldprobleme seien demnach heute so groß wie noch nie zuvor, schlussfolgert R3.

Steve aus Lancaster teilte seine Erfahrungen dem Radiosender BBC 5 Live mit. Er hatte gleich mehrere Kredite aufgenommen. „Wie viele Leute geriet ich in eine Spirale. Ich konnte eine Anleihe nicht zurückzahlen und lieh ein wenig mehr aus. Dann konnte ich diese wieder nicht bezahlen, und am Ende hatte ich ein Dutzend solcher Kredite.“ Ein Kredit mehr erhöhte in nur einem Monat seine Schulden von 80 Pfund auf 650 Pfund. „Es wurde zum Alptraum“, gibt Steve zu. Eine andere Kundin machte ähnliche Erfahrungen: „Man kommt in einen Teufelskreis, in dem man immer diese kleinen Summen abbezahlt und denkt, die Schuld sei überschaubar. Man erkennt nicht, wie sich alles anhäuft.“

Das Konzept der Überbrückungskredite stammt aus den USA und wuchs schnell über deren Grenzen hinaus. Ende der Neunzigerjahre waren teure Darlehen auch in Großbritannien erhältlich. Von den sieben größten Kreditfirmen werden fünf von US-Unternehmen kontrolliert. Dass dieses Geschäftsmodell in anderen Ländern undenkbar ist, wissen die Leiter dieser Firmen nur zu gut. Laut Financial Times habe Wonga-Gründer Errol Damelin gegenüber Kevin Brennan, dem damals für Verbraucherdarlehen zuständigen Minister, bemerkt, dass sein Geschäftsmodell in anderen Ländern illegal sei. Das Vereinigte Königreich habe seiner Meinung nach die „vernünftigste Gesetzgebung“.

In der Tat bestehen in anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Deutschland Obergrenzen für Jahreszinsen. Kreditgeber in Großbritannien müssen zwar eine Lizenz des Office of Fair Trading (OFT) besitzen, doch Zinseinschränkungen gibt es keine. Martin Lewis von Money Saving Expert malt eine bunte Metapher: „Das Vereinigte Königreich ist das Gold am Ende des Regenbogens für Kredithaie. Sie wurden aus anderen Ländern herausreguliert und springen vor Freude, wenn sie unsere lockere Überwachung sehen. Deshalb vermehren sich die 4 000-Prozent-Zinsen-Leiher in den britischen Hauptstraßen so“, stellt Lewis fest.

Dies sei „nicht das kaputte, sondern das bankrotte Großbritannien“, meint die Labour-Abgeordnete Stella Creasy. „Die Kredithai-Industrie lässt mit den hohen Zinsen das Land zur Ader. Wir wissen, dass eine Obergrenze einen riesigen Unterschied machen würde. Ich verstehe nicht, wieso die Regierung das nicht einführt“, entrüstet sie sich.

Die Kreditnehmer sind, Studien zufolge, meist ledig, kinderlos und besitzen ein Einkommen von über 1 000 Pfund im Monat. Der Durchschnittsbetrag eines Darlehens liegt zwischen 230 und 300 Pfund. Ein Großteil benutzt dieses Geld für Nahrungsmittelkäufe und zum Bezahlen von Haushaltsrechnungen; viele andere sind gezwungen, Hypotheken oder Mieten mit Darlehen zu begleichen. Noch vor einigen Wochen schien vor allem Wonga, das vor vier Jahren gegründet wurde, eine andere Klientel ansprechen zu wollen. Denn neben den Werbespots, in denen Senioren erklären, wie einfach es ist, online Geld zu leihen, wurde auch gezielt um Studenten geworben. „Studentenkredite sind viel billiger als persönliche Kredite. Aber man leiht oft mehr, als man braucht, und hat nach dem Abschluss einen riesigen Schuldenberg. Mit Wonga ist zwar der Zinssatz viel höher, aber du kannst nur für einen Monat leihen und zu einem Zeitpunkt zurückzahlen, der dir passt“, versprach eine Werbung auf der Website des Unternehmens. Man könne auch ein kürzeres Studentendarlehen nehmen und es um einem Überbrückungskredit ergänzen, hieß es weiter.

Doch Wonga hilft nicht nur beim Finanzieren des Studiums: „Wenn deine Kumpels dir von billigen Flugtickets zu den Kanaren erzählen, hast du Optionen.“ Diese Werbung, die junge und finanziell oft noch unerfahrene Menschen anspricht, die übrigens wohl auch keine Krdeitkarte besitzen, sorgte für großes Aufsehen. Eine wohltätige Schuldnerberatungsstelle fand die Kampagne „sehr zynisch“; für die National Union of Students handelte es sich um „raubtierhaftes Marketing“. Der Werbetext wurde daraufhin von der Internetseite entfernt und Wonga-Sprecher versicherten, man habe nur auf „die hohen Kosten und das Risiko einer Kontoüberziehung“ aufmerksam machen und den Vergleich zwischen „der potenziellen Falle eines langfristigen Kredits“ und „einer kurzfristigen Lösung“ ziehen wollen.

Dies ist nicht der erste Rückschlag für die Firma dieses Jahr. Transport for London (TfL), das für die Koordination des Londoner Verkehrssystems zuständig ist, hat neulich alle Firmen der Kleinkredit-Industrie vom großen Sponsoring ausgeschlossen. Noch vor zwei Jahren fand TfL an der Unterstützung durch Wonga nichts auszusetzen. Damals sponserte der teure Darlehensgeber Transportdienste bis spät in die Silvesternacht. Der effektive Jahreszins war in den etlichen Werbungen jedoch nicht abgedruckt und TfL wurde wegen der Wahl des Sponsors kritisiert.

Trotz all der Kritik sieht sich Wonga-Gründer Damelin als Retter und Helfer, dessen teure Darlehen sogar den sozialen Aufstieg ermöglichen. „Wir sind die Guten“, erklärt er im Guar-dian. „Ja, wir befinden uns in einer kontroversen Sparte, doch es ist ein wichtiger sozialer Dienst, den wir leisten. Um soziale Mobilität zu ermöglichen, muss man den Leuten Kredit geben können, wenn sie ihn brauchen und es angebracht ist.“ Damelin beschreibt Kleinkredite auch als neue, hippe Lebensweise, die angeblich mit dem Benutzen von sozialen Medien zu tun hätte: „Die junge Generation tweetet und ist auf Facebook. Sie nimmt die Welt in ihre Hand. Dazu gehört, dass man selbst über die eigene finanzielle Zukunft entscheidet. Wir sind Teil dieser Generation und manche Leute verstehen uns halt nicht.“

Hiermit meint er wohl auch die Regierung, denn Premier David Cameron und seine Minister scheinen sich des Ernstes der Lage nicht bewusst zu sein. Westminster hat noch keine konkreten Schritte gegen exzessive Zinsnahme eingeleitet. Ein Sprecher Camerons erklärte, man müsse „vorsichtig sein, wenn man in diesen Markt eingreift, damit man nicht den Zugang zu Krediten verringert und die Leute in die Hände von Kredithaien treibt“. Der Mangel an Regulationsmechanismen hat diese Situation jedoch bereits seit langem herbeigeführt. Der einzige Unterschied zwischen Wonga und Co. und zwielichtigen Kredithaien bleibt am Ende nur die Lizenz.

Claire Barthelemy
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