Basierend auf dem 2016 erschienenen gleichnamigen Roman von Pierre Lemaitre ist Trois jours et une vie nun die vierte Buch-Verfilmung des französischen Autors, dessen Adaption von Au revoir là-haut 2018 mit fünf Césars ausgezeichnet wurde. 1999: Es ist Weihnachten in dem kleinen Dorf Olloy in den belgischen Ardennen. Mehrere Schicksalsschläge über einen Zeitraum von drei Tagen werden das Leben des 12-jährigen Antoine für immer verändern. Die Zeit wird für ihn zur Prüfung, aber die Vergangenheit bleibt unvergessen...
Mit Trois jours et une vie legt der französische Regisseur Nicolas Boukhrief eine psychologische Studie vor, die insbesondere um das Themenkomplex Schuld-Vergebung-Verarbeitung kreist. Die Grundstruktur der Handlung mag für einen Krimi, die moralische Undurchsichtigkeit und die Noir-Tradition sprechen. Und doch ist Trois jours et une vie vor allem ein psychologisches Drama, das dank eines durchweg überzeugenden Schauspielensembles (darunter Sandrine Bonnaire, Pablo Pauly und Charles Berling) eine Intimität transportiert, ohne dabei zu werten und so den Zuschauer zur Positionierung veranlasst.
Wenn man davon ausgehen will, dass der Roman unter bestimmten Aspekten in der Tradition eines Gustave Flaubert steht, dann liegt es nahe, dem Film vereinzelt Parallelen zu Claude Chabrol zuzuschlagen. So interessiert auch Nicolas Boukhrief sich für eine mittelständige Gesellschaft, und ähnlich wie Chabrol in Les biches (1968), erzählt er mit großem Einfühlungsvermögen; die Beschreibung des Themas bleibt moralisch aber wertungslos. Mit äußerster Sensibilität wirft der 56-jährige Regisseur (La confession, 2016) Fragen danach auf, wie man weiterleben kann, wenn man schwere Schuld auf sich geladen hat; wie kann man damit zurechtkommen, wenn die Vergangenheit einen nicht loslässt? Von dieser beklemmenden Prämisse wird das weitere Geschehen überlagert. Fast zwei Stunden nimmt sich der Regisseur für die Einführung der Figuren, ihre Veränderung, für Beobachtungen, Beschreibungen, Begegnungen.
Immer tiefer zieht er uns in einen Bann, der den Zuschauer ebenso wie seinen Protagonisten gefangen hält. Die Möglichkeit zur Flucht entpuppt sich als Illusion, derart ergeben sich für den jungen Antoine schicksalhafte Verstrickungen, aus denen er sich nicht mehr zu lösen weiß. Daraus ergibt sich letztendlich das Porträt eines unschuldig Schuldigen und Boukhrief verfährt dabei nicht überaus moralisierend und verurteilt auch niemanden, denn das Wissen um und die Reaktionen auf das Verbrechen gehen auseinander. In Ansätzen versucht der Film ebenfalls ein Sittengemälde zu zeichnen, das seinen Protagonisten zunehmend seiner Freiheit beraubt. Und doch sind es nicht allein die äußeren Umstände, die sein Handeln bestimmen, sondern viel mehr seine eigenen Entscheidungen. Lüge und Schweigen sind hier so miteinander verbunden, dass sie einem Menschen nach und nach ein Leben aufzwingen, das nicht das seine ist und die eigenen Ambitionen dahinter zu verschwinden beginnen.
In diesem Mikrokosmos des Dorfes Olloy entwirft der Regisseur aber auch ein freilich vereinfachtes Psychogramm der belgischen Gesellschaft. Ausgehend von einem Einzelschicksal wird so der Versuch unternommen mehr oder weniger tief in die belgische Seele zu blicken, denn die Affäre Dutroux ist im kollektiven Bewusstsein nach wie vor stark verankert. Eine nahezu verstörende Atmosphäre strahlt ebenfalls der so zentrale Schauplatz des Waldes aus, dessen Bedeutungen zwischen Schutz- und Bedrohungsraum sehr ambivalent angelegt ist und mittels unheimlicher Filmmusik untermalt wird. Dabei wird ein verschollener Junge immer mehr zum Bedeutungszentrum des Films – über ihn interagieren, kommunizieren und handeln die Figuren, sodass er gleichsam in absentia fortwährend präsent ist. Der Film interessiert sich dann am Ende nicht mehr für seinen initialen Konflikt, und vergisst alles Irritierende und Fragwürdige, indem er seine Figuren in einen engen und kleinlichen Rahmen zurückbringt. So gibt es kaum dramatischen Wende- oder Höhepunkte, will man von der buchstäblich sintflutartigen Reinigung absehen. Anstelle plötzlicher Erkenntnis tritt viel eher das Gefühl von einsichtigem Verständnis – das Unveränderbare, in der Vergangenheit liegende wird letztendlich akzeptiert.