Kino

Den Sternen so nah, der Science-Fiction so fern

d'Lëtzebuerger Land vom 04.10.2019

Die Typografie der Titelsequenz erinnert an Blade Runner, den Science-Fiction-Klassiker von Ridley Scott aus dem Jahre 1981, – doch die Analogie erweist sich recht schnell als Trugschluss. Ad Astra erweist sich nur oberflächlich als Science-Fiction-Film.

Regisseur James Gray (The Immigrant, 2013; The Lost City of Z, 2016) eröffnet seinen Film mit einer spektakulären Action-Szene einer explodierenden Antenne zehn Kilometer über der Erde. Durch die Explosion stürzt Roy in die Tiefe und die Bewegung ist für den weiteren Film geradezu paradigmatisch zu verstehen, denn es geht abwärts für unseren Helden; erst ganz tief muss er fallen, bis er sich wiederfindet und seine Wandlung abschließen kann. Ja, Gray arbeitet sich hier entlang der bekannten Stationen der Heldenreise: Roy McBride (Brad Pitt) soll zum Planeten Neptun reisen, wo sein verschollener Vater (Tommy Lee Jones) scheinbar immer noch an Experimenten arbeitet, die die Sicherheit der Erde gefährden. Und Roy McBride ist der mustergültige Kandidat für diese Mission: Er ist ein Meister seines Fachs und mit seiner kühlen, distanzierten Art verfügt er freilich über all die nötigen Voraussetzungen für die anstehende Raumfahrt. Je weiter ihn seine Mission führt, desto deutlicher werden jedoch seine wahren Gefühle offenbar...

Für die Science-Fiction in alldem spricht lediglich der Handlungsraum im Weltall – den es indes nicht gebraucht hätte – und die fiktionale, durch den technischen Fortschritt beeinflusste Zukunftsvision, von der hier bis auf eine Shopping-Mall auf dem Mond wenig zu sehen ist. Für das Abenteuer indes spricht allein schon das Grundmotiv der Handlung, nämlich der vertraute Topos der Reise. Aufgrund der Entfremdung in der Vater-Sohn-Beziehung schlägt die Filmkritik Ad Astra darüber hinaus gerne Anleihen bei Apocalypse Now zu: Ein Weltraumsoldat sucht nach seinem Vater und entdeckt so sein pervertiertes Selbstbild. Als Gegenpol der Reisebewegung fungiert die Selbstfindung des amerikanischen Helden mittels der durch Voice Over eingestreuten Momente der Introspektion, die uns genau sagen, was wir wann mit ihm wie zu fühlen haben. Besonders im letzten Drittel fokussiert der Film durch die Loslösung von der traditionellen Erzähldramaturgie eindrücklich die Isolation des Menschen im Weltall und Brad Pitt, der seine mimisch-gestischen Ausdrucksmittel auf ein Minimum zu konzentrieren weiß, vermag diese Einsamkeit zu transportieren – all seiner Gebrochenheit zum Trotz, verliert der Held seine Vitalität nicht. Kameramann Hoyt van Hoytemar schafft es, diese Welt in präzisen und kühlen Bildern einzufangen; sie halten den Zuschauer auf Distanz, gerade so als spiegle sich in den Bildern die Entfremdung des modernen Menschen der Zukunft.

Dieser Roy McBride, das ist auch eine Art Space-Cowboy, an ihm können wir ablesen, was passiert, wenn die Gesetze der Grenze und der Landgewinnung für den Westerner ins Weltall verlagert werden. Eine Action-Szene auf dem Mond, die einen Vergleich zur Mad-Max-Reihe nicht scheuen muss, legt davon Zeugnis ab. James Gray zeigt damit, zumindest in Ansätzen, die Verlassenheit unserer Zeiten, indem er das Bild einer Weltraumfahrtsgesellschaft entwirft, in der das Umweltbewusstsein zugunsten von Konsum und Kommerz zu entschwinden beginnt – da trifft er zumindest partiell eines der Kernthemen der Science-Fiction. Ferner ist für das Genre nicht viel Neues zu verzeichnen. Überhaupt wirken diese Figuren aufgrund dieses beinahe schon aufdringlich-sentimentalen Weltraumexistenzialismus direkt an Interstellar (2014) angelehnt: Da gibt es den Raumfahrtpiloten, der über seine Mission auch seine familiären Probleme lösen will (hier Brad Pitt, da Matthew McConaughey), da gibt es den älteren Mentor (hier Donald Sutherland, da Michael Caine) und da gibt es die wartende Frau (hier Liv Tyler, da Jessica Chastain), nur: Jessica Chastain erbrachte in Interstellar als aktiv Handelnde die Lösung des Konflikts. Liv Tyler hingegen wartet und kuckt ganz traurig. Als Grundlage für das Science-Fiction-Kino kann Ad Astra daher kaum ein neuer Aspekt abgewonnen werden.

Marc Trappendreher
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