Kino

Lachen ist die beste Medizin

d'Lëtzebuerger Land vom 18.10.2019

Das Straßenbild der fiktiven Stadt Gotham wirkt überaus toxisch: Wegen eines Streiks häuft sich der Müll; die Ratten, die der Abfall anzieht, werden bald zum Gesundheitsproblem. In dieser Stadt lebt Arthur Fleck (Joaquin Phoenix); er arbeitet als Clown bei einer Artistengruppe und versucht sich als Stand-Up-Comedian, doch die unmenschlichen Zustände, die um sich greifen, werden für ihn immer unerträglicher ...

Joker ist zuvorderst eine Origin Story, die die Geschichte des kranken Bösewichts mit dem nihilistischen Weltbild aus dem Batman-Universum erzählt. Diese Artistengruppe erinnert ein wenig an die Ausgestoßenen aus Freaks (1932), jedoch könnte man zur Annahme verleitet sein, der Film bemühe zudem jedes nur denkbare Klischee, um Arthur Flecks Abstieg in den Wahnsinn herzuleiten: Er leidet unter einer unerklärten Störung, eckt bei seinen Mitmenschen überall an und lebt noch bei seiner Mutter.

Einen konkreten psychopathologischen Befund nachzuzeichnen, liegt indes nicht im Interesse des Films. Im Comic war es noch ein chemischer Unfall, der den Joker heraufbeschwor – 2019, will man meinen, genügt die toxische Gesellschaft. Sie zu analysieren – und da ist die Nähe zu Martin Scorsese unverkennbar –, darauf liegt das Hauptaugenmerk des Films.

Regisseur Tod Philipps hat bekundet, dass Taxi Driver (1976) eine wichtige Inspirationsquelle für ihn war, und das ist deutlich zu sehen. Sein Gotham ist ein filmisch überhöhtes Bild eines verruchten urbanen Milieus. Philips entledigt sich jeder fantastisch-übernatürlichen Aspekte, derer sich noch das Comic-Heft bediente. Stattdessen analysiert er – manchmal wie mit dem Seziermesser – die Verlassenheit unserer Zeiten. Er entwirft das Bild einer Gesellschaft, in der Zynismus und Ignoranz die Überhand genommen haben und Phrasen wie „Lachen ist die beste Medizin“ geradezu pervers auf den Kopf gestellt werden. Dabei wird scharfe Medienkritik geübt, insbesondere am US-amerikanischen Fernsehen, die mit der Figur des Late-Night-Hosts Murray Franklin ihren deutlichsten Ausdruck findet: Robert DeNiro gibt diesen Talkshow-Moderator mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Gehässigkeit, spiegelt damit das Bedürfnis dieser Gesellschaft, sich betäubendem Spektakel hinzugeben, das nicht davor zurückschreckt, Menschen als Konsum- und Unterhaltungsware auszustellen.

Todd Philipps versucht gewiss nicht, uns Sympathie oder Mitleid für den (Anti-)Helden nahezubringen, sondern beobachtet die gewalttätigen Reaktionen des Joker mit kühler Distanz: Sie sind brutal, weil die Welt, in der er lebt, brutal ist. Sein Motiv besteht zunächst aus nichts als persönlicher Rache, die dann rezipiert und auf die reiche Oberschicht angewandt, und ferner als „verdiente“ Strafe für die Nachlässigkeiten der Gesellschaft aufgefasst wird. Ähnlich wie bei Robert DeNiro in Taxi Driver, sehen wir in Joaquin Phoenix’ Gesicht, dass es für ihn nicht die Rettung sein kann, wenn er für seine Gewalttat zum Volkshelden gemacht wird.

Phoenix (You were never really here, 2017) entwickelt dabei eine enorme Sogkraft. Seine Performance ist ein Kraftakt, der zwischen sehr zurückgenommenen Ausdrucksweisen und exaltierter großer Gestik wechselt, die Figur des Joker damit ganz eigen anlegt. Weder werden Anleihen bei Heath Ledger in The dark knight (2008) gemacht, noch bei Jack Nicholson in Batman (1989).

Dass die handlungsrelevanten Wende- und Höhepunkte allzu vorhersehbar erscheinen, tut diesem Filmerlebnis keinerlei Abbruch: Joker lebt sehr von seiner Atmosphäre, die durch eine äußerst kraftvolle Filmsprache generiert wird. Das irritierende und subjektive Sound-Design, das den Zustand Arthur Flecks in dieser kaputten Welt für den Zuschauer sinnlich erfahrbar macht, funktioniert imposant als ein Eindringen auf die Sinne.

Für die Marvel-Superhelden, die sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, nur um sich die Köpfe einzuschlagen und damit hohles Spektakel feiern, anstatt es kritisch zu betrachten, ist hier kein Platz.

Die Anerkennung der internationalen Filmkritik am Vorbild von Joker ist ein Indiz dafür, dass eine Comicfigur über den Medientransfer sinnvoll für die Leinwand genutzt werden kann. Die Auszeichnung mit dem Goldenen Löwen bei der Mostra in Venedig zeigt, dass populäres Unterhaltungskino sich zu öffnen vermag für anspruchsvolle Themenfelder. In diesem Sinne ist Joker ein wirkungsmächtiges Beispiel, das Mainstreamkino mit dem Arthouse-Kino zu verbinden.

Marc Trappendreher
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