Wie tief Stereotypen sitzen, zeigten die ersten Reaktionen auf die Ernennung Taina Bofferdings (LSAP) zur Innenministerin. Ihre Kompetenz wurde angezweifelt, in einem Tonfall, der auch auf ihr Geschlecht abhob. Die diskriminierenden Mechanismen waren recht schnell zu durchschauen.
Gänzlich überzeugt scheinen auch die Herausgeberinnen des Sammelbands Mit den Haien streiten, Frauen und Gender in Luxemburg seit 1940 noch nicht von den Erfolgen zu sein, wenn sie im Vorwort zögernd mutmaßen, dass „wir heute möglicherweise in einem postpatriarchalischen Zeitalter leben“. Im Rückblick erscheinen ihnen die patriarchalischen Strukturen der unmittelbaren Nachkriegszeit deutlich ausgeprägter, von den Bürgerrechts-, Frauen-, Drittwelt- und Friedensbewegungen der 60er und 80er Jahre wurden sie zutiefst in Frage gestellt. Andererseits lassen die Herausgeberinnen keinen Zweifel aufkommen, dass Sexismus in der Luxemburger Gesellschaft nach wie vor allgegenwärtig ist. Mit theoretischen Analysen und 27 Beiträgen aus verschiedenen Blickrichtungen zu den Themenfeldern Geschichte, Schule, Politik, Medien, Kunst, Identitäten und Feminismus will der Sammelband aufklären, entgegenwirken und sensibilisieren. Er sei gedacht als „Fortführung und Weiterentwicklung des [...] ‚Kampfes‘ um Sichtbarkeit und des Bemühens um ein ‚mehrperspektivisches und dezentriertes Betrachten der Luxemburger Wirklichkeit‘, so die Herausgeberinnen Germaine Goetzinger, Sonja Kmec, Danielle Roster und Renée Wagener.
Wie zögerlich sich die mediale Repräsentation von Frauen verändert, zeigt die Betrachtung der Werbung und die Häufigkeit, mit der Frauen als Expertinnen zur Politik befragt wurden. Laura Kozlik analysiert 70 Jahre sexistische Werbeanzeigen im Magazin Revue. Viviane Thill hat 36 Sendungen von Hei Elei Kuck Elei aus den 80er Jahren hinsichtlich der Partizipation von Frauen untersucht und verzeichnet – insbesondere im Themenfeld Politik – eine erstaunliche Unterrepräsentanz.
Einen interessanten Blick auf die unmittelbare Nachkriegszeit wirft Martine Marchal mit „An eis bleift nëmmen de Batz“, die die Repräsentation von Frauen in der Nachkriegspresse des Luxemburger Widerstands und der Zwangsrekrutierten unter die Lupe genommen hat. Während man vielleicht geneigt wäre, in diesem eher nichtkonformen Milieu Abweichungen vom damals – in Reaktion auf die Verwerfungen des Krieges – beschworenen Frauenbild anzunehmen, ist das Gegenteil der Fall. Marchal konstatiert auch hier einen backlash gegen Frauen in der Nachkriegszeit: Zum einen die Forderung, Frauen sollten zurück in ihre (vermeintlich) traditionelle Rolle als Ehe-, Hausfrau und Mutter, zum anderen eine abstrafende und von Verachtung geprägte Haltung gegenüber jenen Frauen, denen man vorwarf, mit den amerikanischen Befreiern „liiert“ zu sein. Die Sorge um die Sexualität der Luxemburger Frauen war allgegenwärtig, stets mäandernd zwischen Hure und Heiliger – die keusche, junge Frau als moralische Marienfigur. „Von Anfang an wird auf die Familie – mit der Mutter am Herd und dem Vater als Familienoberhaupt – als Fundament für die Erneuerung des Landes gepocht.“ Frauen, so Marchal, wurden als „Bätz“, „Ferkel“ und „Spulllompen“ bezeichnet. Die Autorin macht bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit einen grundlegenden Unterschied zwischen der Terminologie in französischen und den Luxemburger Zeitungen aus: Nirgendwo in der französischen Presse finde man solch misogyne Beschimpfungen und Angriffe wie in Luxemburg.
Nüchtern und instruktiv sind im Kapitel „Schule“ die Beiträge von Germaine Goetzinger und Colette Kutten. Goetzinger geht in „Der lange Wandel des Lehrerinnenbildes – Von der Diskriminierung über die Gleichstellung zur professionellen Überrepräsentanz“ insbesondere auf die langjährige Praxis der Unterzeichnung von Verzichtserklärungen auf den Beruf im Falle einer Ehe, wie auch auf die Lohnschere zwischen Frauen und Männern ein. Den Paternalismus der 50er Jahre illustriert sie anhand eines Revue-Kommentars von Paul Aschman über zukünftige Lehrerinnen: „Gar nicht so schlecht finden wir, dass neben den drei Weltsprachen und dem Luxemburgischen selbstverständlich praktischen Fächern wie Kochen, Nähen, Kontabilität, Hygiene ein gebührender Platz eingeräumt wird.“ Kutten illustriert anhand von Auszügen aus Zeitungsartikeln in ihrem Text „Lernen für Heim und Herd, Haushaltungsschulen und Haushaltungsunterricht in Luxemburg“ anschaulich die offensichtliche Diskriminierung von Frauen und macht so klar, dass sich die sexistische Perzeption wie ein roter Faden durch die pädagogischen Begründungen – selbst der Schulbehörden zieht. „Den jungen Mädchen sollten alle jene Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt werden, die aus ihnen gewissenhafte, sparsame und arbeitsame Hausfrauen machen“, liest man etwa noch im Beratungsregister des Gemeinderats von Bettemburg vom 16. August 1957.
Im Kapitel „Politik“ wird neben der durch eine Pressehatz zu Fall gebrachten Madeleine Frieden-Kinnen auch auf die Erfolgskarrieren von drei Politikerinnen und ihre unterschiedlichen Werdegänge und Haltungen eingegangen: Astrid Lulling, Colette Flesch und Mady Delvaux-Stehres. Von Colette Flesch stammt das Zitat „Ich musste mit den Haien streiten“, das zugleich den Titel des Sammelbandes lieferte. Auffällig ist, dass hier drei prominente Frauen der Luxemburger Politik vorgestellt werden, die auch fotografisch ähnlich in Pose gesetzt werden wie „bedeutende“ männliche Politiker.
Renée Wagener konstatiert in ihrem stark auf Interviews basierenden Beitrag „Eine doppelte Emanzipation? Jüdische Frauen in Luxemburg nach dem Zweiten Weltkrieg“, dass nur wenige Jüdinnen die frauenpolitische Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre und 1970er Jahre konkret miterlebt hätten. Inwieweit hier tatsächlich gegenüber den Luxemburger Frauen insgesamt eine unterdurchschnittliche Beteiligung zum Ausdruck kommt, ist allerdings schwer einzuschätzen. Recht apodiktisch gefasst im Sinne der Entgegensetzung von Religion und Fortschritt erscheint in ihrem Beitrag die Aussage: „Trotz oder wegen der fortschreitenden Säkularisierung halten die hier vorgestellten Frauen an religiösen Traditionen fest, sogar, wenn damit egalitäre Prinzipien in Frage gestellt werden.“ Bedeutet das Festhalten an Traditionen zwangsläufig Rückschritt?
Erfrischend ist der Beitrag von Sonja Kmec „Neuer Wein in alte Schläuche?“ Die Historikerin begibt sich darin auf Spurensuche einer Krise der Männlichkeit, und zwar nicht nur, indem sie das Männermagazin Paperjam nach Beispielen durchforstet, sondern etwa auch die Webseite der Katholischen Männeraktion (KMA) und die „Lëtzebuerger Männervereenegung“ AHL. Die Finanzkrise habe die Rhetorik der „libido dominandi“ (Bourdieu) abgeschwächt, Konkurrenzdenken bleibe aber das A und O der Unternehmenskultur. Die Angst vor weiblichem Erfolg ist vorhanden und löst in Teilen eine „Krise“ aus, allerdings nicht in dem „einen“ hegemonialen Männerbild, das es nicht gibt. Interessant wäre es hier, noch genauer zu ermitteln, in welchen soziologischen Kontexten sich welches Männerbild hegemonial etablieren kann.
Bady Mincks filmischer Welt – „Wo Gugelhupfe auf Hecken wachsen und pelzige Zungen das Sprechen verhindern“ gilt Danièle Weckers Beitrag im Kapitel „Kunst“. Sie präsentiert einen Gegenentwurf zum traditionellen Erzählkino, wo der Kamerablick die passive Rolle der Frau unterstützt und sie als sexualisiertes Objekt in Szene setzt. Wecker zufolge breche Minck mit den traditionellen filmischen Codes und biete den Zuschauerinnen, unabhängig vom Geschlecht, einen alternativen Sinnraum, in den sie sich einschreiben könn(t)en. Mincks Filmsprache wirke in dem Sinne emanzipatorisch, als dass die Zuschauerinnen sich alternativ eine andere gelebte „Wirklichkeit“ mitkonstruieren könnten.
Mit den Haien streiten ist ein echter Sammelband zu den Themen „Frauen und Gender“. Dabei liest sich das Verzeichnis der AutorInnen fast wie das „who is who“ der feministischen Szene. Es ist eine Art wissenschaftliche Bestandsaufnahme der Frauengeschichte Luxemburgs, ein Meilenstein nicht nur wegen der historischen Exkurse und der zahlreichen Beispiele aus Medien, sondern nicht zuletzt, weil einige Beiträge vergegenwärtigen, dass die von Frauen erkämpften Rechte im Alltag jederzeit wieder verwässert oder ausgehebelt werden können. Obwohl es den Herausgeberinnen erklärtermaßen darum geht, „Stimmen – selbstbewusste, vorlaute und unterdrückte – einzusammeln, sowie die Strukturen deutlich zu machen, die diese zulassen oder mundtot machen“, vermisst man für einen umfassenden Blick jedoch die Einbeziehung von Perspektiven migrantischer Frauen, von Arbeiterinnen oder prekär Beschäftigten. Dies hätte den in manchen Beiträgen etwas euphorisch anmutenden, modernen Fortschrittsgedanken mit einer gewissen Stilisierung bestimmter sozialer Trägerinnen vielleicht auch relativiert. In dieses Bild passt die wiederholt anzutreffende Fokussierung auf „bedeutende Persönlichkeiten“ und Frauen, die „Bedeutendes“ geleistet haben. Die Aufteilung nach sieben übergeordneten Themen macht Sinn und gibt dem Band Struktur. Dennoch hätte eine übergeordnete, verbindende, auch theoretische Einordnung insgesamt oder nach Themenfeldern gutgetan. Doch der Schwachpunkt des Sammelbandes ist vielleicht gerade seine Stärke. Zeigt er doch Wege von Frauen auf, die sich in einer von Männern dominierten Gesellschaft durchgesetzt haben.