Über Tote spricht man nicht schlecht, vor allem dann nicht, wenn man sie vormals für umgängliche Zeitgenossen hielt und sich gern an sie erinnert. Über den im Sommer viel zu früh verstorbenen Georges Hausemer konnte man in den vergangenen Wochen und Monaten viel Gutes hören. Die Gedenkfeier zu seinen Ehren im Merscher Literaturarchiv, zahlreiche Trauerbekundungen im Netz, in der Presse oder bei literarischen Veranstaltungen zeugen vom Umfang des Verlusts – nicht zuletzt für den Luxemburger Literaturbetrieb. Hausemer war nicht nur ein beliebter Schriftsteller; sein Einsatz für die Belange der Autoren, für den Stellenwert der Luxemburger Literatur und für ihre Verbreitung im In- und Ausland wird in Zukunft fehlen.
Was also tun, wenn der Tote, gewissermaßen als Abschiedsgruß, zu Pöbeleien von jenseits des Jordans ansetzt? Sich heimlich ärgern? „Trotzdem lachen“? Betreten schweigen? Oder seiner Ratlosigkeit Luft machen, indem man in die Nebel am anderen Flussufer hineinruft: Georges, was zum Teufel?
Unbehagen bei diesem Buch bereiten weder das Unterfangen als solches, noch die erzählerischen Schwächen, die sich vor allem in der Suche des Erzählers nach einem Verfasser anonymer Briefe manifestieren. Wäre dem Autor die Zeit dazu vergönnt gewesen, hätte er den Plot sicher dichter gestrickt. Doch um den Plot geht es in dem Buch eigentlich nicht. Hausemers posthum erschienene Kleine luxemburgische Literaturgeschichte präsentiert sich vorrangig als satirischen Roman über den einheimischen Literaturbetrieb. Ein literarisch völlig unbedarfter Mann sucht nach einer gescheiterten Beziehung sein Glück im luxemburgischen Verlagswesen. Anhand dieser Figur und ihrer Einblicke in die kleine Welt der Luxemburgensia zeigt Hausemer eine Reihe von systemischen Schwächen des realen Betriebs auf, die eine anhaltende Herausforderung für alle darstellen, die in Luxemburg Bücher veröffentlichen wollen.
Diese Reihe von Schwächen beginnt bei der Hauptfigur. Das Personal, das der fiktive Luksbuks-Verlag aufbietet, kann sich, wie Hausemer nur zu gut wusste, kein Luxemburger Verlag leisten. Der Erzähler ist ein Mann, den es in Luxemburg (bisher) gar nicht geben kann, von einem Luxemburger Verlag eigens dazu eingestellt, den Vertrieb der Bücher zu gewährleisten. Als Spiegelung der Unmöglichkeit der Figur werden dem Vertreter im Verlagsgebäude weder ein Büro, noch ein eigener Schreibtisch zugeteilt.
Eine weitere Schwäche des Systems, die Hausemer diagnostiziert, ließe sich sicher grenzüberschreitend feststellen: den bisweilen gar nicht so latenten Machismus im Literaturbetrieb, den Hausemer thematisiert, indem er Frauen vor allem als Empfangsdamen, Groupies und Gattinnen bedeutenderer Männer auftreten und den Erzähler abfällig über das Aussehen von Literatinnen urteilen lässt. Ähnliches ließe sich für seine Darstellung eines allgemeinen Desinteresses an Literatur behaupten, bei Lesern wie bei Teilen der Presse, aber auch bei den Vertretern der Branche selbst. Der Erzähler hat von den Büchern, die er verkaufen soll, keinen blassen Schimmer. Die Namen einheimischer Autoren kommen ihm meistens nicht einmal entfernt bekannt vor. Er denkt, die literarischen Erzeugnisse aus Luxemburg passten alle auf die Ablagefläche seines Campingtischs. Aber auch die Rahmenbedingungen erschweren die Ausübung seines Berufs. Die Räume, in denen Bücher eine Rolle spielen können, werden knapp. Der Erzähler bemerkt beispielsweise den Schwund von Verkaufsflächen. Im Roman findet außerdem als Anspielung auf eine Werbeaktion eines Autoherstellers von vor ein paar Jahren eine lieblos organisierte Lesung in einem Autohaus statt, eine andere – als Anspielung auf den Veranstaltungsort der Walfer Bicherdeeg – in einer Turnhalle.
Dass die Literatur ein Nischendasein im Kulturbetrieb fristen muss, offenbart sich in Hausemers Darstellung als Symptom von Dilettantismus und Provinzialität. Symbolisch für die Beschränktheit des Milieus steht das Unvermögen des Protagonisten, seinen Pass zu finden. Die fantastischen neuen Schuhe, die er sich zu Beginn kauft, bleiben damit eine sinnlose Investition: Er kann keine Grenzen überschreiten. Als Gegenpart zu einem Erzähler, für den schon ein Ausflug an den Stausee ein Abenteuer bedeutet, lässt Hausemer sein Alter Ego namens Selmer auftreten, ein Schriftsteller, der Notate aller Art aus entlegenen Weltgegenden an den Verlag schickt und sich wegen fehlender Anerkennung grämt.
Dafür, dass es mit der Anerkennung von guten Texten hapert, macht Hausemer augenscheinlich auch neuere Phänomene und Tendenzen im Literaturbetrieb verantwortlich, insbesondere, wo sie mit aggressiveren Formen der Selbstdarstellung durch soziale Medien einhergehen. Der Kritik des Autors an Buchbloggern, die Bücher dazu instrumentalisieren, sich selbst in den Vordergrund zu spielen, mag man dabei im Kern einiges abgewinnen. Die Art und Weise jedoch, wie Hausemer die Erzählung zum Schlüsselroman macht und sich so zum Kritiker von „lebenden, dahinsiechenden oder bereits verstorbenen Personen“ aufwirft (siehe Vorwort), verwandelt eine im Ansatz sinnvolle Analyse des Milieus in eine müßige Stichelei, die umso bedauerlicher wirkt, wenn man bedenkt, dass die Adresse für Reklamationen hinfällig geworden ist. Dabei geht es nicht um die mögliche Konsensfähigkeit von Hausemers Porträts ihm unliebsamer Mitwirkenden im Betrieb oder darum, ob sich die derart Porträtierten von Hausemers Anwürfen angegriffen fühlen, sondern darum, dass eigentlich interessantere Themen von einer kleinlich scheinenden Fixiertheit auf einzelne Personen verdeckt werden.
Der Roman verfestigt das Klischee eines heillos verkabbelten, bornierten Milieus, in dem Autoren und Verlagsmenschen ihre Energie lieber in Streitigkeiten investieren als in gute Bücher. Ein Schelm, wer behaupten wollte, Hausemer habe am Beispiel seines Protagonisten zeigen wollen, dass gerade solche Reibereien einer Professionalisierung der Buchbranche im Weg stehen.