Ob es sich beim Autor dieses Gedichtbands um einen Verwandten des ungleich bekannteren Ketil Bjørnstad handelt, verrät der Verlag nicht. Tomas Bjørnstad soll jedenfalls ein in Luxemburg ansässiger, Deutsch schreibender Norweger sein. Ausgerechnet Fjorde lautet der Titel seines Erstlings, als ob dies die naturgemäße Bezeichnung für das Buch eines in Trondheim geborenen Lyrikers sei. Die Illustration des Einbands zeigt denn auch gleich eine verhangene Fjordlandschaft, angereichert um einige surrealistische Motive wie einen Vollmond mit Pferd obenauf. Kitsch trifft Lynch. Der Klappentext – von einer Klappentextparodie kaum zu unterscheiden – kündigt allerdings keine Naturdichtung an, sondern eine Stimme der „Generation Y“, die hier „schonungslos“ und „kompromisslos“ Selbst und Gesellschaft unter die poetische Lupe nehme. Angesichts solch ebenso irreführender wie in ihrer Irreführung transparenter Signale drängt sich die Frage auf: Was bitte soll diese Inszenierung fiktiver Autorschaft? Die erneute Neuauflage eines alten Rewenig-Tricks, mit dem eine Leserschaft überlistet werden soll, die sich mehr für den Autor als für das Werk interessiert, mit dem aber auch zugleich und unvermeidlich vom Werk selbst abgelenkt wird?
Schlägt man Fjorde auf, gelangt man schnell zur Einsicht, dass Bjørnstads Texte sich nicht unbedingt zu verstecken brauchen, auch wenn hier keinesfalls die nächste norwegische Literatursensation ihrer Entdeckung harrt. Thematisch löst das Buch ein, was sein Einband verspricht. Die Gedichte bewegen sich zwischen den Polen skandinavisch angehauchter Naturerlebnisse einerseits und den Lebenserfahrungen eines trotz allem irgendwie durchschnittlichen Millenials andererseits. Mal schaut das lyrische Ich die Waldhänge hinauf zum Mond, lässt sich vom Nebel umhüllen oder blickt hinaus auf das in der Dunkelheit glitzernde Meer. Dann wieder trinkt, tanzt und liebt es sich durch einen nicht enden wollenden Spätkapitalismus oder hält sich die Welt am Bildschirm vom Leibe. Zwischendurch wird fleißig norwegisches Lokalkolorit gestreut, damit man auch ja nicht vergisst, dass hier kein gebürtiger Luxemburger am Werk war. Da wird der Klubgänger einfach mal mit einem nordischen Volkstänzer verglichen, warum auch nicht.
Formal bietet der Band gemäßigten Modernismus: ein freies, aber nicht zu unregelmäßiges Versmaß; einen an der Umgangssprache orientierten Rhythmus, der des Öfteren zerhackt wird, ohne dass sich die syntaktischen Bezüge zur Gänze auflösen; eine gewagte Metapher oder abrupte Wendung hier und da, die die Schwelle zum Hermetischen jedoch nie überschreiten. In seinen Ortsbeschreibungen setzt der Autor auf leidlich verbrauchte Sprachbilder – eine beständige Beschwörung von Mond, Nacht und Nebel. Man sehnt sich nach einem Gastauftritt Ingeborg Bachmanns in Bjørnstads lyrischem Kosmos, die mal eben ganz laut „An die Sonne“ deklamiert, um der spätromantischen Nachtschwärmerei den Gnadenstoß zu geben. Stattdessen liest man eine Huldigung Jim Morrisons, dessen Namen falsch buchstabiert wird. Subtiles Augenzwinkern oder Tippfehler? Die sprachliche Irritation, auch die unfreiwillige, beherrscht der Autor jedenfalls und erkundet in „Bleisatz“ die Grenze zwischen Wort- und Flachwitz: „Je nachdem, wie Sie das Blei deuten, / wird Ihnen Weiteres erspart bleiben. / Zögern Sie beileibe nicht, / der erste Satz ist immer die beste Bleibe.“
Wo Tomas Bjørnstad auf skandinavischen Tand, Trakl’schen Weltschmerz und fragwürdige Scherze verzichtet und sich stattdessen als dichtender Digital Native präsentiert, gelingen ihm hingegen durchaus beachtliche Texte. Freilich, Zeilen wie „Wir haben kein Ziel / und doch das Gefühl, / uns verirrt zu haben“ sollte man besser Hamburger Indie-Rockbands überlassen. Aber wenn in „Hühnerbrühe mit Gaga“ der Sprecher ebenjene Popikone in einem Fettauge entdeckt, schaut man doch genauer hin, auch schon vor der unverhofften Begegnung: „Ganz von selbst windet es / Geselligkeit, ein flexibles Vertragsmodell, / einfaches Handling im über- / grünen Klee hausmacher Art, / wo Sehnsucht frisst und ein Schirmbild / voller Lametta uns die Ehre gibt, dabei zu sein, / wenn alle am Auslöffeln sind.“ Da sind sie dann plötzlich: eine Affinität für Sprache und Bilder einer medial durchdrungenen Alltagswelt und ein Wille, Wahrnehmungen auseinanderzunehmen und in kühner Form neu zusammenzusetzen. Solche Verse sind keine Ausnahme in Fjorde, und doch verschwinden sie zu oft hinter selbstgewählten Nebelschleiern. Es ist zu hoffen, dass der Dichter seinen eigenen Stil bald an Land zieht und sein Pseudonym im Nordmeer versenkt.