Wenn alles gut geht, gibt es Mitte Dezember ein Vorweihnachtsgeschenk an Senioren: Übergangsweise soll die Pflegeversicherung wieder für die „tâches domestiques“ der in Heimen untergebrachten Pflegebedürftigen zahlen. Seit dem Inkrafttreten des reformierten Pflegeversicherungsgesetzes Anfang des Jahres tut sie das nicht mehr, was ein wichtiger Grund dafür war, dass Senioren- und Pflegeheime ihre Unterkunftspreise um 100 bis 300 Euro monatlich anhoben oder ankündigten, es tun zu wollen. Der Schritt zurück der Regierung soll von der Abgeordnetenkammer mit dem Budgetgesetz zum Staatshaushaltsentwurf 2008 verabschiedet werden – jenem Gesetz, in dem gern zeitweilige politische Kurskorrekturen festgelegt werden, ohne dass vorher lange debattiert wird.
Den Schritt zurück an sich hatte der Regierungsrat schon am 7. März beschlossen (d’Land, 9.3.2007), ohne ihn an die große Glocke zu hängen. Aber damals hofften Familienministerin Marie-Josée Jacobs (CSV) – zuständig für die Heime – und Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) – verantwortlich für die Pflegeversicherung – noch, bis Ende dieses Jahres werde ein ExpertengutachtenTransparenz in die Preisbildung der Häuser bringen und sich anschließend rasch eine endgültige Lösung finden lassen. Am 25. Mai aber gaben beide Ministerien bekannt, die Resultate der Studie lägen noch nicht vor, dennoch werde für 2008 und rückwirkend ebenfalls für 2007 die Pflegeversicherung wieder für die „tâches domestiques“ bezahlen; vorausgesetzt, das betreffende Heim habe seine Preise nicht erhöht beziehungsweise sei bereit, die Erhöhung bis Ende 2007 rückgängig zu machen. In letzterem Szenario würden die Heimbewohner eine Rückzahlung von ihrem Haus erhalten. Laut Sozialministerium haben nur drei Heime ihre Preise erhöht.
Tatsächlich aber lag Ende Mai nicht nur noch keine Studie vor. Ihr Gegenstand war ebenfalls noch nicht klar. Mittlerweile ist das Lastenheft zur Studie geschrieben, aber der Experte noch nicht gefunden. „Die endgültige Lösung könnte bis nächstes Jahr auf sich warten lassen“, meint die Familienministerin. Vorsichtshalber sollen laut Lastenheft die Resultate sogar erst 2009 vorliegen dürfen. Dann könnte über die endgültige Lösung erst die nächste Regierung entscheiden und die Diskussion darüber nicht in den Wahlkampf geraten. Denn es wären nicht nur komplexe administrative und wirtschaftliche Sachverhalte berührt, sondern politische Grundsatzfragen der Betreuung alter und pflegebedürftiger Menschen; ein Politikbereich, der traditionell der CSV besonders am Herzen liegt.
„Maximale Transparenz bei der Preisbildung der Heime“ wünscht sich Sozialminister Di Bartolomeo; Familienministerin Jacobs meint, „das Sozialministerium will wissen, ob die ,tâches domestiques‘ imUnterkunftspreis enthalten sind“ – was sich anhört, als sei dem Familienministerium die Antwort gar nicht so wichtig. Mit den „tâches domestiques“ hatte alles angefangen: Bis zu 2,5 Stunden wöchentlich für Hilfe im Haushalt zahlte die Pflegeversicherung auch an in Heimen untergebrachte Pflegebedürftige bis Ende 2006 – und zwar erhielt so gut wie jeder pflegebedürftige Heimbewohner pauschal die 2,5 Stunden pro Woche zuerkannt. Seit Inkrafttreten der Gesetzesnovelle am 1. Januar erhalten diese Zuwendung nur noch daheim Versorgte. Denn seit Herbst 2004 gelten neue Regeln für die Berechnung jenes Zuschusses zum Unterkunftspreis, den weniger gut betuchte Bewohner von Alten- und Pflegeheimen vom Nationalen Solidaritätsfonds erhalten können. Präzisiert wird in einer Ausführungsbestimmung, dass durchaus umfangreiche Haushaltsleistungen „obligatorisch“ im Heimpreis inklusive sind. Woraus das Sozialministerium schloss, hier finanziere die Pflegeversicherung etwas „doppelt“. Mars Di Bartolomeo war federführend bei der Pflegeversicherungsreformund nach den Wahlen 2004 ins Amt gekommen mit einer „Lizenz zum Einsparen“ in allen ihm unterstehenden Ressorts: seit er aus dem Reformgesetzentwurf, den schon sein Vorgänger schreiben ließ, die Zahlungen für „tâches domestiques“ an Pflegebedürftige in Heimen strich, warnte der Dachverband der Heimbetreiber Copas, dann würden die Preise um rund 270 Euro im Monat steigen – und zwar für sämtliche Heimbewohner.
Die Debatte ist noch nicht entschieden: Für Copas-Präsident Michel Simonis gilt „Haushaltshilfe im Preis inbegriffen“ nur für die Heimbewohner, die den Zuschuss des Solidaritätsfonds erhalten, für Mars Di Bartolomeo und seine Beamten dagegen „für alle Heimbewohner“. Für Marie-Josée Jacobs ist diese Frage „nicht so leicht zu beantworten“, und sie findet, als die Pflegeversicherungsreform ausgearbeitet wurde, hätten „manche Leute mehr miteinander reden sollen“ – ein verblümter Alleingangs-Vorwurf an die Generalinspektion der Sozialversicherung.
Zum Beispiel, so Jacobs, brauche „ein dementer Heimbewohner, der Sachen durch sein Zimmer wirft, womöglich mehr Hilfe im Haushalt als ein nicht dementer Pflegebedürftiger, und auf jedenFall mehr als ein Bewohner, der gar keine Pflegeleistungen erhält“. Dabei wollte das Familienministerium die „obligatorischen Leistungen“ eigentlich längst klar beschrieben haben. Sein Gesetz über den Zuschuss des Solidaritätsfonds zum Heimpreis sollte, das sah sein Entwurf im Sommer 2002 vor, auch einen „acceuil gérontologique“ definieren – einen Fächer aus zehn Betreuungs-Kategorien, die nichts mit Pflege zu tunhätten und von „hôtellerie“ über „animation socioculturelle“ und „gestion des besoins affectifset émotionnels“ bis hin zur „assistance philosophique et spirituelle“ reichten. Daraus sollte ein Qualitätsansatz folgen, den das Familienministerium kontrollieren wollte. Dieses Vorhaben scheiterte am Staatsrat und am Dachverband Copas: beide fanden, Qualitätsregeln seien in einem Zuschuss-Gesetz falsch platziert, besser sollte ein separates Gesetz erstellt werden. Und so strich das Familienministerium das Vorhaben wieder. Es war jedoch dieser globale Ansatz, aus dem heraus die Rede war von der „détermination des actes à prester obligatoirement par le service et dont le côut est compris de manière forfaitaire dans le prix de base“. Der Staatsrat lobte den „effort de transparence“.
Muss man, da nun bis 2009 eine Expertenstudie Aufschluss über die Preisbildung der Heime liefern soll, schließen, dass das Familienministerium seinerzeit beim Versuch, mehr Transparenz herzustellen, scheiterte? Gewissermaßen ja, denn auf das Inkrafttreten des Zuschussgesetzes mit der neuen „obligatorischen Basis“ hin hätten die Heime eigentlich ihre Preise deutlich erhöhen können – was jedoch nicht geschah. Zu kontrollieren, ob die Basisleistungen auch eingehalten und wirklich nicht extra im Preis verrechnet werden, wurde das Familienministerium daneben nirgendwo im Gesetz autorisiert. So dass die Regelung in der Praxis wohl tatsächlich nur auf FNS-Zuschussberechtigte Anwendung fand. Und Diskussionen über ein eventuelles Qualitätssicherungsgesetz haben erst vor einiger Zeit intern im Familienministerium begonnen.
Damit aber ist das Verhältnis der Preisbildung der Heime gegenüber ihrem Leistungskatalog noch ebenso wenig allgemein durchsichtig wie die Basisleistungen geklärt sind. Ein viel debattiertes Thema war der „accueil gérontologique“ schon kurz nach dem Inkrafttreten der Pflegeversicherung gewesen, mit der Anfang 1999 auch ein Pflegemarkt geschaffen wurde. Senioren- und Pflegeheime waren nun in ihrer Preisbildung frei, das Familienministerium nahm lediglich die Zulassung der Heim-Anbieter für den Markt nach Standards wie der Größe der Räume oder der Zahl und Qualifikation des Personals vor. Zur allgemeinen Ernüchterung der damaligen CSV-LSAP-Regierung aber sanken die Heimpreise nach Inkrafttreten der Pflegeversicherung und der Herstellung des Marktes nicht, wie gehofft, sondern stiegen: mitunter um 100 Prozent zwischen 1999 und 2001. Der pflichtgemäß zu leistende „accueil gérontologique“ sollte ein Sockel in der künftigen Preisbildung sein, zu einer juristisch tragfähigen gemeinsamen Basis aber fanden Regierung und Copas nicht.
So dass die nun diskutierten Fragen eigentlich alte Fragen sind, einschließlich der, ob und inwiefern der Staat in die Preisbildung der Häuser eingreifen sollte. Im Moment ginge der Familienministerin schon die Publikation einer Preisliste zu weit – mögen Abgeordnete aus den Gewerkschaftsflügeln von CSV und LSAP auch immer wieder danach fragen: „Wir haben die Träger gebeten, ihre Preise und Leistungen im Internet zu veröffentlichen. Das ist freiwillig. Wir kontrollieren sie ja auch nicht.“
Doch es stellt sich nicht nur die Frage nach der Preisbildung der Heime und ihrer Kontrolle, die beim rechtlichen Stand der Dinge auch der Sozialminister nicht über Nachforschungen über den Verbleib der Zuwendungen aus der Pflegeversicherung hinaus treiben kann. Viel allgemeiner ist nach der Betreuungspolitik zu fragen: Nach Ansicht der Generalinspektion der Sozialversicherung und der Cellule d’évaluation et d’orientation für die Pflegeversicherung würde selbst in den Altenheimen im Schnitt „mehr als die Hälfte der Bewohner da nicht hingehören“, wenn man den Grundsatz der Pflegeversicherung ernst nimmt, die Zuhaus-Betreuung zu favorisieren. Anstelle immer neuer stationärer Strukturen müssten mehr ambulante her.
Darüber nachzudenken rät auch die Copas. Ein solcher Prioritätenwechsel aber stünde ziemlich konträr zum Ansatz der CSV-Familienpolitik, immer neue Heimplätzezu schaffen – 1 600 weitere Plätze sind derzeit in Bau oder in Planung, obwohl Luxemburg schon vor fünf Jahren einen doppelt so hohen Anteil an Pflegebetten pro Kopf der Bevölkerung wie die meisten EU-Länder aufwies. „Die Nachfrage steigt immer noch“, sagt die Familienministerin, die nicht glaubt, dass dies vor allem daran liegen könne, dass es keine zentrale Warteliste gibt und die Anfragen auf Heimplätze über Land verstreut sind. „Vielleicht liegt es daran, dass bei uns die Renten so hoch sind und die Zuschüsse aus dem Solidaritätsfonds zum Heimpreis so großzügig.“ Zum Leben im Heim als Way of life passt allerdings nichts besser als ein Markt-Umfeld mit freien Preisen – womit offen ist, wofür die Seniorenpolitik der Regierung hauptsächlich steht.