Der Erste Weltkrieg war eine neue Art Krieg, steht breit an der Wand. Es war ein Stellungskrieg, wo die Soldaten in Schützengräben ausharrten, blind in Richtung Front und zurück stürmen mussten, umkamen oder versuchten, „in Schmutz, Schlamm, Kälte und Angst“ zu überleben. Den Schmutz, den Schlamm und die Kälte der Schützengräben vermitteln die aus Brettern nachgebauten Gänge in der Ausstellung Lëtzebuerg an den Éischte Weltkrich in Niederkerschen nicht, nur das bedrückende Halbdunkel, in dem die Besucher uniformierte Schaufensterpuppen bei der Befestigung eines Grabens oder beim Telegrafieren sehen können.
Es war ein industrieller Krieg: Gezeigt werden Fotos der riesigen Munitionsfabriken von Krupp und Schneider, ordentlich aufgereihte Granaten jeden Kalibers, eine Kanone, ein Maschinengewehr. Ein französischer Panzer FT-17 von Renault, in den sich ein Fahrer und ein Schütze zwängten und sich im Höllenlärm nur durch Anrempeln verständigen konnten, der mit seiner Wendigkeit und seinem drehbaren Geschützturm zum Urahn aller modernen Panzer wurde, sieht, sauber restauriert, wie ein buntes Spielzeug aus.
Vor Kinderaugen geschützt, hängen hinter einem schwarzen Vorhang Porträts von Geules cassées, Männern, denen Schrapnell das halbe Gesicht weggerissen hatte. Ein berühmtes Bild aus den Imperial War Museums zeigt eine Prozession durch einen Giftgasangriff geblendeter britischer Soldaten.
Anfang August 1914 fielen deutsche Truppen in Belgien und Luxemburg ein, als Durchmarschgebiet für einen Angriff auf Frankreich. Während in Belgien der Furor teutonicus binnen Wochen 5 000 Zivilisten ermordete und 20 000 Häuser niederbrannte, erklärte Staatsminister Paul Eyschen, dass „wegen der korrekten Haltung, welche Regierung und Land gewahrt, [...] in mehreren offiziellen deutschen Schriftstücken Luxemburg als befreundetes Land bezeichnet worden“ sei. So steht es auf einem Flugblatt in einer Vitrine. Großherzogin Maria Adelheid schickte ein Telegramm an Kaiser Wilhelm II., um eine Erklärung für die Verletzung der Luxemburger Neutralität zu erbitten, die Höflichkeitsform ist handschriftlich verbessert.
Eine ganze Wand füllen Porträts aus dem Livre d’or de nos légionnaires 1914-1928, von Luxemburgern in den französischen Truppen, während Großherzogin Charlottes späterer Prinzgemahl Felix als österreichischer Hauptmann an deutscher Seite kämpfte. Der Kriegsalltag im Land wird erzählt am Beispiel der Einquartierung deutscher Soldaten, der Lazarette, der Spione, der freiwilligen Helfer, des Roten Kreuzes... Bald brach die Versorgungskrise aus, neben Brotkarten der Gemeinden hängen Fotos von Frauen, die Schlange um Karten und um Brot standen. Postkarten verspotten Schwarzhändler, Schmuggler und den sozialistischen Versorgungsminister Michel Welter. Von spontanen Bürgerwehren gegen Gemüsediebe und von Volksküchen erfahren die Besucher, sie können an Landkarten des Gutlands ablesen, wo Bomben einschlugen, wo mit Fesselballons oder der Attrappe einer Eisenhütte Fliegerangriffe abgewehrt wurden.
Der Erste Weltkrieg war nicht nur ein Stellungs- und ein industrieller Krieg, sondern auch der erste Krieg, den das Großherzogtum verloren hat. Das interessiert natürlich am meisten an einer Ausstellung über Luxemburg und den Ersten Weltkrieg, doch es bleibt der große blinde Fleck auch dieser Ausstellung. So wie sie, vom deutschen Revisionismus und Christopher Clark irregeführt, zu erwähnen vergisst, wer den Krieg begonnen hat: Weil wir heute alle Europäer und morgen mit Frau Merkel und Doktor Schäuble Kerneuropäer sein wollen, geben sich die Ausstellungsmacher wieder neutral wie 1914 im Zollverein und belehren die Besucher, dass „die dominierenden Ideologien“, „die industrialisierten Großmächte“, „Frankreichs Verlust der Regionen Elsass-Lothringen“ und „die europäischen Mächte“ für den Ersten Weltkrieg verantwortlich gewesen seien. Und nicht zuerst ein mit Verspätung industrialisiertes und vereintes Deutsches Reich, das sich beeilte, um Außenminister Bernhard von Bülows „Platz an der Sonne“ zwischen den anderen imperialistischen Mächten zu besetzen.
Weil kein aufrechter Patriot an einen verlorenen Krieg erinnert werden will, ist Lëtzebuerg an den Éischte Weltkrich nun schon der dritte Versuch, eine Ausstellung über den Ersten Weltkrieg zu organisieren. Einen ersten hatten Historiker der Universität unternommen, doch die Regierung strich die Mittel der für Ende 2015 geplanten Ausstellung, so dass nur die Aufsatzsammlung Guerre(s) au Luxembourg 1914-1918 übrigblieb. Gerade versprach Kulturstaatssekretär Guy Arendt (DP), dass die abgesagte nationale Ausstellung nächstes Jahr als vierter Versuch durch eine „virtuelle Ausstellung“ ersetzt werden soll. „Virtuell“ heißt so viel wie „nicht wirklich“, „scheinbar“, auch wenn er eine Internet-Seite meinte. Das Nationale Literaturzentrum in Mersch hatte schon 2014 eine kleine Ausstellung Luxemburg und der Erste Weltkrieg Literaturgeschichte(n) zusammengestellt.
Die Materialsammlung und die Inszenierung der von Gemeindearbeitern und Freiwilligen unter Kurator Jean Reitz betreuten Ausstellung in der Hall 75 sind gelungen, sie sieht professionell, abwechslungsreich und ohne allzu viel Effekthascherei aus, aber politisch und historisch ist sie erneut gescheitert. Dass die herrschenden Kreise – die Regierung, das Parlament, die Monarchie, die Industrie und die Kirche – unter Missachtung der Neutralität auf einen Sieg des deutschen Heers und vor allem des deutschen Zollvereins setzten und dann mit Deutschland den Krieg verloren, bleibt weiterhin tabu. Ebenso, dass sie dass unter dem Vorwand der Neutralität den besitzlosen Klassen, die das autoritäre, militaristische Preußentum hassten, jeden Widerstand, jede Sympathiebekundung zugunsten Frankreichs und Großbritanniens verbaten.
Selbstverständlich wird hier daran erinnert, dass die Großherzogin den Kaiser empfing, dort, dass die Stahlindustrie die deutsche Rüstungsindustrie belieferte, und woanders, dass am Ende des Kriegs der Ruf nach der Republik laut wurde oder die Minister im Ausland wie Aussätzige gemieden wurden. Aber im Geist der vaterländisch konservativen Geschichtsschreibung waren das alles bloß einzelne Anekdoten, wie sie durch Missverständnisse und Zwangslagen ohne böse Absichten vorkommen können.
Nichts anderes war zu erwarten, da der Initiator der Ausstellung der patriotische CSV-Abgeordnete und Käerjenger Bürgermeister Michel Wolter ist, der schon einmal die harmlose Landesfahne durch einen wilden Löwen ersetzen wollte. Er war der einzige in seiner Partei, der die Verantwortung für die Wahlniederlage von 2013 übernommen hatte. Deshalb will er nun der verhassten liberalen Koalition zeigen, dass er mit Unterstützung von Bofferding, Guardian und Sales-Lentz die Ausstellung fertigbrachte, die der Regierung nicht gelingen wollte. Schließlich hatte er schon im Jahr 2010 in der gleichen Hall 75 eine patriotische Ausstellung über die Gëlle Fra organisiert, ein Denkmal zu Ehren der Legionäre des Ersten Weltkriegs. Beim Verlassen der Ausstellung gehen die Besucher an einer Wikipedia-Liste vorbei mit den Kriegen seit 1918, ohne Ursachen, ohne Folgen.