Nächsten Monat weiht die Universität ihr Luxembourg Centre for contemporary and digital history ein, das sich auf Wunsch der Regierung mit „der Analyse sowie in der Verbreitung der luxemburgischen und europäischen Zeitgeschichte“ beschäftigen soll. Diese Woche nahm das Lëtzebuerger Land seine völlig überarbeitete Internetseite www.land.lu in Betrieb. Sie bietet neben vielen anderen Funktionen ein Archiv der Wochenzeitung seit ihrer Gründung 1954 und damit ein einmaliges Archiv zur Luxemburger Zeitgeschichte von der Mitte des 20. Jahrhunderts bis heute, das Woche für Woche fortgesetzt wird.
Das ist die Zeit des Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, des autoritären CSV-Staats und des Kalten Kriegs, der liberalen Rebellion der Jugend und der gesellschaftlichen Öffnung. Es ist die Zeit der Einwanderung ausländischer Arbeiter, der Grenzpendler, der Stahlkrise und des Finanzplatzes, aber auch des Streits um die Armeepolitik und den Atomreaktor, der Affären Frieden, Bommeleeër und der Jahrhundertaffäre. Nachzulesen sind das Aufkommen der neuen Frauenbewegung und der Tripartite, die Regierungskrisen, die Bildungsreformen und die Gründung der Universität. Zum Luxemburg, wie wir es heute kennen, gehören sozialliberale Reformkoalitionen, die Verbreitung des Umweltschutzes, der Aufbruch in der Literatur, die heimische Filmproduktion und das Museum für zeitgenössische Kunst.
All diese Entwicklungen in der Gesellschaft, der Politik, der Wirtschaft und Kultur lassen sich mit ein paar Mausklicks nachsuchen in den ausführlichen, analytischen oder kommentierenden Beiträgen des Lëtzebuerger Land, und ihre aktuelle und künftige Entwicklung lässt sich in der Wochzenzeitung weiterverfolgen. Seit das Land 1954 als Alternative zur Parteipresse gegründet wurde und bis zum heutigen Freitag sind 3 292 Ausgaben erschienen mit insgesamt 61 092 Seiten und fast 400 000 Text- und Bildbeiträgen, die nun mit einer zeitlichen Verzögerung zugänglich gemacht und durchsucht werden können.
Das Abenteuer begann vor zehn Jahren mit einer Email vom 8. Mai 2007, in der sich der Geschäftsführer des Land bei der Direktorin der Nationalbibliothek erkundigte, ob sie interessiert sei, im Rahmen einer Zusammenarbeit die ersten 50 Jahrgänge der Zeitung von 1954 bis 2004 zu digitalisieren und ins Internet zu stellen. Da es die erste digitalisierte Zeitung aus der zweiten Hälfe des 20. Jahrhunderts hierzulande wäre, könnte sie ein wichtiges Instrument zum Studium der Zeitgeschichte darstellen. Wenige Tage später nahm Direktorin Monique Kieffer das Angebot freudig an.
Während das Lëtzebuerger Land auf seine Urheberrechte verzichtete, übernahm die Nationalbibliothek die Digitalisierung. Diese bewusste Entscheidung des Land, seine früheren Ausgaben gemeinsam mit einer staatlichen Einrichtung als öffentliche Dienstleistung kostenlos der Allgemeinheit im In- und Ausland zur Verfügung zu stellen, stieß auch auf Kritik, etwa von Verlagen, die eigene Artikel oder Bilder retrodigitalisieren und verkaufen wollen. Für das Land ging es dagegen darum, die gleichen Jahrgänge, die kostenlos in einer Bibliothek ausgeliehen werden können, auch kostenlos digital zur Verfügung zu stellen.
Die Nationalbibliothek machte zuerst eine Inventur aller Ausgaben und ließ sie dann von einer nach einer öffentlichen Ausschreibung ausgewählten Firma Seite für Seite digitalisieren. Da die Zeitung lange im Bleisatz und danach im Fotosatz gedruckt wurde, bestanden keine computerlesbare Texte. Deshalb mussten die Seiten mit Hilfe von Computerprogrammen zur Optical character recognition (OCR) gelesen und in Text umgewandelt werden. Wobei die Titel, Über- und Untertitel, Zwischentitel, Bildlegenden, Signaturen, Fotos, Karikaturen, Anzeigen und die oft über mehrere Seiten fortgesetzten Artikel einer Nummer oft von Hand überprüft, hierarchisiert und zusammengeführt werden mussten.
Bei durchschnittlich 6,5 Text- und Bildelementen pro Seite machte das immerhin rund 370 000 Elemente aus. Der in den ersten Jahrzehnten sehr verschachtelte Seitenaufbau und die schwungvollen Fantasieschriften überstiegen oft die Fähigkeiten der Computerprogramme und verlangten eine Nachbesserung von Hand. Nicht minder aufwändig war ein anderer Teil der Digitalisierung: Die Nationalbibliothek und das Lëtzebuerger Land versuchten, sämtliche Autoren, die seit 1954 hundert Mal, Dutzende Mal oder bloß einmal Texte oder Bilder im Land veröffentlichten, ausfindig zu machen, anzuschreiben und um ihre Erlaubnis zu fragen, dass ihre Beiträge nicht nur in der Bibliothek, sondern auch im Internet kostenlos eingesehen werden können. Bei rund 9 000 angestellten und freien Autoren, von denen viele mit Initialen, Pseudonymen oder Homonymen zeichneten, oft verzogen, andere verstorben waren, verlangte dies eine gewaltige Detektivarbeit.
Aber das Ergebnis belohnte den einmaligen Aufwand: Ebenso wie der Verlag d’Letzeburger Land waren auch die Autoren unisono bereit, auf einen Teil ihrer Urheberrechte zu verzichten, damit ihre Beträge kostenlos im Internet eingesehen werden können. Als das Land im Dezember 2013 seinen 60. Geburtstag feierte, konnte die Nationalbibliothek das vollständige Lëtzebuerger Land von Januar 1954 bis Dezember 2007 auf ihre Internet-Seite www.eluxemburgensia.lu stellen und auch von www.land.lu aus zugänglich machen.
Doch das Archiv hört keineswegs im Jahr 2007 auf. Seit 1999 betreibt das Lëtzebuerger Land seine Internet-Seite www.land.lu, auf der es einen Großteil seiner Beiträge veröffentlicht. Zur Eigenart dieses Archivs gehört, dass die Beiträge auch thematisch in „Dossiers“ geordnet sind. In der Regel werden die meisten Beiträge zuerst auszugsweise und dann mit einer zeitlichen Verzögerung von zwei Wochen vollständig ins Internet gestellt.
Die zeitliche Verzögerung ist nötig, weil die Beiträge der Zeitung nicht bei ihrem Erscheinen verschenkt werden können: Eine Wochenzeitung muss an Abonnenten und Kioskkunden verkauft werden, um Gehälter, Honorare, Druck, Versand, Mieten, Büromaterial, Steuern und sonstige Unkosten zu zahlen. Unabhängigen, professionellen Journalismus, der recherchiert, analysiert und redigiert, kostet Geld. Ihn kann es, im Gegensatz zur Werbepresse und zu privaten Meinungen in sozialen Medien, nicht umsonst geben.
So kommt zu den digitalisierten Ausgaben das Internet-Archiv des Lëtzebuerger Land mit noch einmal fast 10 000 Artikeln aus den Jahren 1999 bis heute und wird Woche für Woche aktualisiert. Die nun neu gestaltete Internet-Seite erlaubt dem Leser einen einheitlichen Zugriff auf die digitalen Land-Bestände der Nationalbibliothek von 1954 bis 2007 und auf das Land-Archiv von 1999 bis heute und in Zukunft.
Die neue Suchmaske erlaubt eine einzige, nahtlose Volltextrecherche in beiden Archiven und zeigt alle Suchergebnisse von 1954 bis heute an. Die Ergebnisse aus den Beständen der Nationalbibliothek sind an deren Logo zu erkennen. Um die Übersichtlichkeit der Ergebnisse zu verbessern – eine Suche mit dem Stichwort „Jean-Claude Juncker“ bringt über 3 400 Ergebnisse –, können diese in der Suchmaske eingegrenzt werden, etwa mit dem Autorennamen oder der Sprache des Beitrags. Auch kann die Suche auf eine bestimmte Zeitspanne beschränkt werden. Die Recherche kann daneben nach Themengebieten oder nach dem in Quellenangaben oft zitierten Datum einer Ausgabe erfolgen. Schließlich lässt sich auswählen, ob die Suchergebnisse chronologisch oder nach Relevanz angezeigt werden. Beiträge ab 1999 werden zusammen mit eine Liste anderer Artikel zum gleichen Thema dargestellt.