Unbedingt wollten belgische Journalisten am Mittwoch von Pierre Mariani, CEO von Dexia, wissen, was mit den vier Milliarden Euro gemacht wurde, die der belgische Staat im Rahmen der Dexia-Rettung Anfang Oktober und der anschließenden Nationalisierung von Dexia Banque Belgique (DBB) gezahlt hatte. Denn seit sich im belgischen Parlament ein Sonderausschuss mit dem Zusammenbruch der Bankengruppe beschäftigt, hat sich der Verdacht verstärkt, die belgische Filiale sei zu Gunsten der französischen Sparte Dexia Crédit local (DCL) „geleert“ und mit den Einlagen der belgischen Schalterkundschaft die Risikogeschäfte der Franzosen subventioniert worden. Sollte DBB die Liquiditätstransfers an DCL einstellen, würde das die Insolvenz von DCL bedeuten und DBB 26 Mil-
liarden Euro verlieren, soll der belgische Zentralbankgouverneur Luc Coene belgischen Medien zufolge vor dem Ausschuss ausgesagt haben.
So erklärten Mariani und sein Finanzchef am Mittwoch, die vier Milliarden Euro Erlös aus dem Verkauf von DBB habe man zur Kapitalerhöhung von DCL genutzt – der ansonsten die Insolvenz drohte. Der Großteil des Geldes ist schon aufgebraucht. DCL schrieb 2,3 Milliarden Euro auf Griechenland-Anleihen ab und zahlte DBB einen Teil der Kredite vorzeitig zurück. Wie es um die Rückerstattungskapazität von DCL steht, dürfte auch in Luxemburg interessieren, da Dexia-Bil ihre Schwestergesellschaften im Ausland ebenfalls großzügig mit Krediten versorgte.
Die Handhabung der Liquiditätstransfers zwischen den Luxemburger Filialen ausländischer Banken mit den Konzernzentralen geriet erstmals während der bangen Tage im Herbst 2008 in den Fokus. Damals, nach der Liquiditätskrise, warnte der Luxemburger Zentralbankchef Yves Mersch offen und eindringlich vor den Auswüchsen unkontrollierter Transfers. „Cash-rich“ nennen sich die Luxemburger Banken selbst gerne stolz. Das liegt am Vermögensverwaltungsgeschäft, das in Luxemburg stark ausgeprägt ist – die Kundeneinlagen sind hoch. Weil es andrerseits kaum Investmentbanking gibt, führt das zu Liquiditätsüberschüssen, die von den Mütterhäusern im Ausland gerne angezapft werden. Dadurch konnten die Luxemburger Banken in der Vergangenheit gute Ergebnisse erzielen. Sie ließen sich die Kredite anständig verzinsen.
Doch nach der Kreditklemme 2008 nahm die Sorge über die große Abhängigkeit hiesiger Bankhäuser von den Konzernfilialen zu. Dort wurden die Liquiditätsanforderungen im Sinne der Effizienz und niedriger Kosten zentral gemanagt, so dass, wie manche Bankiers sagten, ihre Bank in der Kassenführung nur noch eine Gegenpartei kannte: die Zentrale. Das warf auch die Frage auf, ob die Entscheidungen dort über die Köpfe der Entscheidungsträger in Luxemburger getroffen wurden und welche Risiken den hiesigen Filialen dabei entstanden. Zum Beispiel für den Fall, dass eine Zentrale, die selbst unter Druck gerät, die bewilligten Kredite nicht mehr zurückzahlen kann.
Diese Mutterhaus-Problematik identifizierte der Internationale Währungsfonds (IWF) in seiner Einschätzung zur Finanzstabilität Luxemburgs im Sommer 2011 neben dem Europäischen Staatsanleihe-Risiko als Hauptgefahr für die Stabilität am Finanzstandort. „Insgesamt machen Interbankpositionen ungefähr die Hälfte aller Aktiva und Passiva aus (im Vergleich zu 28 Prozent im Euroraum), zwei Drittel dieser Interbankpositionen sind grenzübergreifende Engagements, und gruppen-interne Engagements machen ungefähr 40 Prozent der Banken-Aktiva insgesamt aus“, schreibt der IWF in seinem Bericht.
Trotz ihrer guten Liquiditätssituation seien die Luxemburger Filialen ausländischer Banken anfällig für Notlagen in den Mütterhäusern, sowohl in Bezug auf die Kreditvergabe als auch auf die eigene Refinanzierung, so die IWF-Vertreter. In ihrem Stresstest identifizierten sie 19 Geschäftspartner Luxemburger Banken, die im Falle einer Insolvenz mindestens eine Bank in Luxemburg mit in den Abgrund reißen würden.
Das könne sich, wie 2008 bei Fortis beobachtet, schnell zum Problem für die Staatsfinanzen auswachsen, warnten die Experten aus Washington. Nämlich dann, wenn der Staat eingreifen müsste, um die Kundeneinlagen zu schützen. Falls die Banken Kreditausfälle der Mütterhäuser nicht durch die Eigenmittel decken könnten. Um die Kapitalaufstockung bei Fortis Banque Luxembourg zu finanzieren, hatte der Staat eine Anleihe über zwei Milliarden Euro ausgegeben. Die öffentliche Verschuldung stieg schlagartig um mehrere Prozentpunkte im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). So befürchten manche Beobachter, auch in Luxemburg könnten irische Verhältnisse entstehen, sollte der Staat erneut in großem Maße eingreifen müssen. Nachdem Irland seine Banken gerettet hatte, stieg die Staatsschuld dermaßen an, dass das Land selbst unter dem Europäischen Rettungsschirm Schutz suchen musste.
Angesichts der ausstehenden Summen überraschen die eindringlichen Warnungen seitens des IWF nicht: Ende 2010 hatten BGL BNP Paribas, Dexia Bil, ING Luxembourg und Banque de Luxembourg, die Banken also, die eine große einheimische Kundenbasis haben, zusammen über 31,5 Milliarden Euro Kredite und Forderungen gegenüber anderen Konzerneinheiten in den Büchern. Ein Vielfaches der zu diesen Zeitpunkt verfügbaren Eigenmittel von etwas über zehn Milliarden Euro. Allein BGL BNP Paribas meldete zum 30. Juni 2011 gegenüber anderen Teilen des BNP-Konzerns Forderungen und Kredite über 13,5 Milliarden Euro – mehr als Finanzminister Luc Frieden (CSV) in der Haushaltsvorlage für 2012 an Einnahmen für den Staat vorsieht.
Einer einzigen Gegenpartei so viel Geld leihen; das dürfen die Banken normalerweise nicht: Nach den Bestimmungen über die Berechnung der so genannten „großen Risiken“, darf die Geldvergabe an eine einzelne Gegenpartei niemals 25 Prozent der Eigenmittel übersteigen. So soll vermieden werden, dass der Ausfall einzelner Kunden die gesamte Bank ins Wackeln bringt. Dass die Banken ihren Konzernzentralen dennoch so hohe Summen leihen können, liegt an einer Ausnahmebestimmung, welche die Finanzaufsicht CSSF den Banken gegenüber den Konzernzentralen oder angebundenen Einheiten gewährt. Eine Praxis, die nicht unumstritten ist. Vor allem, weil dadurch nicht nur der ansonsten gültige Grenzwert von 25 Prozent der Eigenmittel aufgehoben wird, sondern weil die Banken bis zu 300 Prozent der Eigenmittel an ihre Konzernzentralen verleihen. Der IWF verlangt in seinem Bericht verschärfte Kontrollen und scharfe Sanktionen, bemängelt, die CSSF übe vor allem moralischen Druck auf die kontrollierten Einheiten aus, statt auch mal formale Sanktionen zu verhängen.
Zentralbankchef Yves Mersch bemängelte am Dienstag auf Nachfrage vom Land, seit der Krise habe sich wenig in punkto Kontrolle der Liquiditätstransfers getan. Die Zentralbank habe diesbezüglich ein Reglement vorbereitet, das man allerdings auf Wunsch der Regierung zurückhalte. Der Grund dafür, heißt es aus dem Finanzministerium, sei, dass man BCL und CSSF gebeten habe, die jeweiligen Kompetenzen abzustecken, bevor das neue Reglement veröffentlicht wird. Die Kompetenzverteilung in der Finanzaufsicht, wo vereinfacht gesagt, die Zentralbank für die Überwachung der gesamtwirtschaftlichen Risiken und der Liquidität zuständig ist, während die CSSF auf Unternehmensebene die Risiken inklusive Liquiditätsrisiken kontrolliert, ist ohnehin ein Dauerbrenner.
Doch selbst der IWF hält in seinem Bericht eine automatische Abschottung der Luxemburger Filialen von den Konzernzentralen für unrealistisch. Die Ausnahmeregelung, welche die CSSF den Banken gewährt, ist außerdem keine Luxemburger Besonderheit, sondern in den europäischen Rechtsvorschriften vorgesehen, sagt man bei der CSSF. Die exemption werde nicht automatisch gewährt, und es gebe durchaus Banken, die ihren Mütterhäusern keine Beträge leihen dürften, die 25 Prozent ihrer Eigenmittel übersteigen.
In ihrem Rundschreiben 09/403 vom Mai 2009 versuchte die CSSF gegenzusteuern, ohne grundsätzlich die Möglichkeit von Ausnahmeregelungen abzuschaffen: „... la CSSF se réserve le droit de limiter des opérations intragroupe qui s’avèrent contraires au principe d’une gestion saine et prudente des liquidités dans le chef de l’établissement au Luxembourg“. So wurden die Banken aufgefordert, das Liquiditätsmanagement nicht den Konzernzentralen zu überlassen, sondern die nötigen Posten dafür innerhalb der eigenen Häuser zu schaffen: „Les risques de liquidité générés dans le contexte des opérations intragroupe constituent des risques à part entière. Les filiales luxembourgeoises doivent se doter d’une capacité de gestion interne adéquate de ces risques, indépendamment du fait que les expositions intragroupe puissent bénéficier d’un traitement préférentiel dans le contexte de réglementations prudentielles telles que le régime des grands risques. Les risques de liquidité liés aux opérations intragroupe sont à traiter spécifiquement dans la politique de risque et de liquidités de la filiale.“
So achte man seit der Krise verstärkt darauf, dass bei den Luxemburger Banken kein Ungleichgewicht zwischen kurzfristig, beispielsweise auf Termingeldkonten, angelegten Geldern einerseits und langfristigen Krediten an die Mütterhäuser andererseits entstünden, heißt es bei der CSSF auf die Frage, welche Lehren man aus der Krise 2008 gezogen habe. Alle Kredite müssten zu Marktbedingungen verzinst werden, man halte die externen Buchprüfer verstärkt dazu an, dies zu kontrollieren. Bei der Risikobewertung müssten Kredite an andere Konzernabteilungen entsprechend ihrem Rating, also ihrer Kreditwürdigkeit, und dem damit verbundenen Ausfallrisiko mit Kapitalrücklagen abgesichert werden, erklärt man bei der CSSF.
Beim Blick in die Bilanzen bestätigt sich, dass die Banken vor allem kurzfristige Kredite an andere Geldinstitute vergeben, das Gros mit Laufzeiten von bis zu maximal drei Monaten. Und auf die Frage, wie sich der Umgang der Behörden mit der Intra-Gruppen-Problematik seit 2008 verändert habe, heißt es bei Dexia-Bil: „Dexia-Bil ne détient quasiment plus d’expositions non sécurisées sur des contreparties du Groupe Dexia.“
Hinter der gezielten Politik der Aufsichtsbehörde, große Transfers zwischen den Filialen und den Konzernen nicht prinzipiell zu verbieten, steht auch eine andere Überlegung. Würden die Gelder nicht in die Zentralen geleitet, müssten sie von den Filialen hier vor Ort investiert werden, heißt es seitens der CSSF. Den meisten Luxemburger Filialen fehlten aber die Kompetenzzentren, um solche Anlageentscheidungen zu treffen. Und: Investierten die Banken hier vor Ort die Gelder selbst, würde das hohe Intra-Gruppen-Risiko in ihren Büchern durch andere Risiken ersetzt, die derzeit auf Gruppenebene getragen werden. So kann, wer will, den Umstand, dass die Luxemburger Banken kaum Subprime-Papiere besaßen, auch durch diese Praxis erklären. Innerhalb der Aufsichtskollegien, in denen die verschiedenen nationalen Aufsichtsgremien über die Kontrolle der großen, grenzüberschreitend tätigen Kreditinstitute zusammenarbeiten, könnte sich auch die kleine CSSF ein gutes Bild über die Risiken verschaffen, denen die gesamte Bankgruppe ausgesetzt ist, argumentiert die CSSF weiter.
Ob diese Politik den verschärften Bedingungen auf dem europäischen Bankenmarkt standhält, bleibt abzuwarten. Das Mutterhaus der BGL, BNP Paribas, gab vergangenen Donnerstag bekannt, dass die Bank zwischen Juni und Oktober Euro-Staatsanleihen im Wert von 12,4 Milliarden Euro verkauft hat, jetzt noch 16,5 Milliarden Euro PIIGS-Anleihen besitzt und 2,24 Milliarden auf ihren Griechenland-Anleihen abgeschrieben hat. Die französische Großbank war wegen ihrer hohen Euro-Anleiherisiken in den vergangenen Monaten zunehmend unter Druck geraten. Der Aktienkurs fiel entsprechend deutlich. Der Gewinn brach im dritten Quartal um 72 Prozent ein, das Nettoeinkommen fiel auf 541 Millionen Euro. Keine guten Nachrichten, auch nicht für den Finanzminister, der gerne betont, dass Luxemburg für seine Beteiligung an BGL und BNP gute Dividenden kassiert.
Noch im Sommer bewertete der IWF das Risiko von Zusammenbrüchen der Konzernzentralen im Ausland als gering. Eine Einschätzung, die von den Ereignissen im Oktober überholt wurde. Sowie die damals beschlossene Zerschlagung des Dexia-Konzerns voranschreitet, die verschiedenen Einheiten voneinander losgelöst werden, müssen die 7,2 Milliarden Euro Außenstände der Dexia-Bil bei DBB, DCL und der türkischen Einheit Denizbank jeweils auf unter 25 Prozent der Bil-Eigenmittel zurückgefahren werden. Denn die exemption gewährt die CSSF nur für dem Konzern zugehörige Einheiten – nach der Zerschlagung verbindet die bisherigen Dexia-Filialen aber nichts mehr. So kann man davon ausgehen, dass bei der angeschlagenen DCL angestrengt darüber nachgedacht wird, wie die ausstehenden Kredite zügig zurückgezahlt werden sollen, wenn auch diese Finanzierungsquelle versiegt.