Leitartikel

Aus den Augen, aus dem Sinn

d'Lëtzebuerger Land vom 09.03.2018

Die Redensart drängt sich auf angesichts des Zauns rund um den Drogenkonsumraum Abrigado an der Route de Thionville in Luxemburg-Stadt, der dort seit Herbst steht. War er bisher durch seine Höhe und die engen Maschen aufgefallen, haben Arbeiter inzwischen auf 50 Meter Breite Platten angebracht, die die freie Sicht auf die Containerstruktur verdecken. Der Startschuss für den Sichtschutz war vor den Gemeindewahlen vom Oktober 2017 geefallen. Bei der Gemeindeleitung sollen sich Beschwerden von Autofahrern und Anwohnern gehäuft haben, die sich durch den Anblick Süchtiger und Dealer gestört fühlten, die hinterm Gebäude teils in Zelten ihre Geschäfte abwickelten oder gefährlich zugedröhnt über die Straße liefen.

Statt die Probleme an der Wurzel zu packen, scheint den Stadtverantwortlichen nichts Besseres einzufallen, als die traurigen Zustände hinter einer Absperrung zu verstecken. Zunächst war die Rede von zusätzlichen Pavillons auf dem Gelände. Mitarbeiter des Abrigado sprachen sich vehement gegen diese Pläne aus. Immer wieder hatten sie auf die Notlage in der überfüllten Struktur hingewiesen und längere Öffnungszeiten sowie einen zweiten Drogenkonsumraum auf dem Stadtgebiet gefordert, um die wachsende Nachfrage zu bedienen: Rund 260 Konsumvorgänge zählt das Abrigado am Tag, selbst mit bestem Willen lässt sich die Auslastung kaum erhöhen, weil die Container dafür nicht gebaut sind. Die Öffnungszeiten sind nach den Wahlen gleichwohl dieselben geblieben (sieben Stunden an sieben Tagen), die neue Sozialschöffin Isabelle Wiseler-Lima (CSV) hatte diese Woche dort ihren ersten Ortstermin. Derweil setzen sich Suchtkranke weiterhin unter unhaltbaren Bedingungen auf dem umliegenden Gelände ihren Schuss, weil sie keinen Platz im Drogenkonsumraum finden. Mit den Begleiterscheinungen, die die Anwesenheit von kranken, obdachlosen oder verwahrlosten Menschen häufig mit sich bringt.

Die Sozialarbeiter, vor allem aber die Süchtigen sind Opfer einer Drogenpolitik, die seit Jahren der Zunahme an Suchtkranken wenig neue Ideen entgegenzusetzen hat: Unter einem LSAP-Polizeiminister wurden Strafverfolgung und Repression verschärft, wobei mehr Polizeirazzien Stress und Stigmatisierung der Betroffenen erhöhen, die auf illegale Drogen angewiesen sind. Von öffentlichen Plätzen vertrieben, sind sie eigentlich nur im Abrigado geduldet. Der Konsum unter kontrollierten hygienischen Bedingungen dient dem Gesundheitsschutz: Eigentlich soll so der Tausch von Drogenbesteck verringert werden und somit das Risiko von Neuinfektionen wie Hepatitis und HIV. Dass die Zahl der Infektionen wieder zunimmt, führen Szenenkenner auch auf die unhaltbaren Zustände zurück, die am Abrigado herrschen. Als niedrigschwelliges Angebot hat der Druckraum zudem die Funktion, Konsumenten mit dem System der Drogenhilfe in Kontakt zu bringen und Nutzer in andere Angebote weiterzuvermitteln. Dafür bleibt den Sozialarbeitern bloß immer weniger Zeit.

Alle gut gemeinten Präventions- und Aktionspläne auf nationaler Ebene haben überdies nicht verhindern können, dass es an einer ausreichenden flächendeckenden Versorgung vernetzter Hilfsangebote seit Jahren hapert – weil deren Realisierung eine halbe Ewigkeit braucht. Für neue Druckräume auf lokaler Ebene sind die Gemeinden zuständig – und die spielen seit Jahrzehnten mit dem Staat Pingpong: Die eine Ebene schiebt der anderen die Verantwortung zu und umgekehrt. Wohnungslose, Suchtkranke, Arme hat niemand gerne vor seiner Haustür. Der Konsumraum in Esch-Alzette, seit 2004 im Gespräch, hat immer noch nicht geöffnet, an weiteren dringend benötigten dezentralen Strukturen fehlt es. Die Folgen des politischen Versagens lassen sich im Luxemburger Bahnhofsviertel an der Route de Thionville beobachten. Pardon, ließen. Jetzt steht der Zaun davor.

Ines Kurschat
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