Dass Bestandteile der Pflanze Cannabis Abläufe im Körper beeinflussen, weiß jeder, der einmal an einem Joint gezogen hat. Der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) macht nicht nur high, er beeinflusst beispielsweise die Appetithormone direkt und kann daher bei chronischen Schmerzen während der Krebs-Chemotherapie, bei Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust während einer HIV-Behandlung helfen. Kann Cannabis auch umittelbar im Kampf gegen Krebs eingesetzt werden?, fragen sich Wissenschaftler weltweit, nachdem Labortests schon in den 1980-er Jahren darauf hindeuteten, dass Cannabis die Krebszellenbildung bremsen könnte. Jetzt befasst sich erstmalig ein Forschungsprojekt in Luxemburg mit der Frage.
Bassam Janji untersucht am Luxembourg Institute of Health (LIH) die Wirkung von Cannabis auf Tumorzellen. „Wir forschen mit Cannabidiol, einem nicht psycho-aktiven Bestandteil von Cannabis“, erklärt der Biologe, der seit 2007 in Luxemburg forscht und Vizeleiter der Forschungsabteilung Onkologie im LIH ist. Cannabidiol (CBD) ist einer von über 60 Inhaltsstoffen in Hanf, der zu den Cannabinoiden zählt. CBD weist, neben THC, die höchste Konzentration in der Pflanze auf. Es dockt beim Menschen an den CBD-Proteinrezeptoren im zentralen Nervensystem an. Das Endocannabindoidsystem ist ein Subsystem des Nervensystems, das Schmerzen reguliert, das Erinnerungsvermögen steuert und das Immunsystem kontrolliert. In diesem System wirken körpereigene Substanzen, die Endocannabinoide, auf die Rezeptoren CB1 und CB2 ein und lösen damit verschiedene Signalwege aus. Es gibt so gut wie kein Organsystem, in dem Endocannabinoide keine Rolle spielen.
Eine Studie der Londoner St. George’s University untersuchte 2014 in Glaszellen die Effekte von CBD auf Gliome. Das sind sehr aggressive Tumoren, die an den Gliazellen im Gehirn entstehen und sehr schwer zu bekämpfen sind. Mit beiden Cannabinoiden gelang es den Forschern, die Anzahl der Gliomzellen in den Glasschalen deutlich zu reduzieren.
„Bisher weiß man kaum etwas darüber, wie der Wirkungsmechanismus konkret funktioniert“, so Krebsforscher Janji. Um ihn besser zu verstehen, behandeln er und eine Kollegin Brustkrebszellen, die in großen Kühltanks lagern. Dafür wird CBD unterm Mikroskop zu einer krankhaften Zelle gegeben, wo es an die Rezeptoren andockt. Die behandelte Tumorzelle wird dann mit unbehandelten Zellen verglichen. Es wird untersucht, wo und wie das CBD wirkt. „Wir erstellen ein genaues Genprofil, um festzustellen, wo und wie das Cannabidiol Gene blockiert“, erklärt Janji. Erste Resultate seien viel versprechend.
Trotzdem warnt der Biologe vor zu hohen Erwartungen: „CBD wird eher nicht als einziger Wirkstoff in einer Krebstherapie eingesetzt werden, sondern im Zusammenspiel mit anderen Medikamenten und Therapien.“ Für Hurrameldungen, wie sie in manchen Zeitungen und auf Cannabis-Lobbyseiten zu lesen sind, sei es noch zu früh. „Bis zu einer effektiven Krebstherapie ist es noch ein weiter Weg.“
Janji und seine Kollegin wollen als nächstes überprüfen, ob das CBD im Tierversuch ähnlich wirkt. Dafür werden krebskranke Tiere mit CBD behandelt. „Mäusetests lassen zwar keine direkten Rückschlüsse auf den Menschen zu, aber im Tierversuch kann man komplexe Wechselwirkungen lebendiger Organe studieren“, so Janji. Für Leberkrebs und Brustkrebs liegen bereits Ergebnisse aus anderen Studien vor, die so aussichtsreich waren, dass die US-amerikanische Gesundheitsbehörde NIH in einem aufsehenerregendem Beitrag auf ihrer Webseite einräumte, Cannabis könne bei der Behandlung von Krebs und Nebenwirkungen von Krebsbehandlungen wirksam sein.
Das war insofern eine kleine Sensation, als sich die US-Anti-Drogenbehörde DEA beharrlich weigert, Cannabis irgendeinen medizinischen Nutzen zuzuerkennen. Im August sprach die Behörde der Pflanze erneut alle medizinische Wirkung ab, weil angeblich nicht genügend Studien vorlägen, die diesen Nutzen nachweisen. Als Folge bleibt Cannabis in der höchsten Betäubungsmittelklasse, in der auch Heroin eingestuft ist – was wiederum die Cannabis-Forschung erschwert. Ein absurder Teufelskreis.
„Cannabis ist mit einem Stigma belegt. Das hängt mit der psycho-aktiven Wirkung des THC zusammen“, bedauert Janji. Er müsse oft erklären, dass seine Forschungsarbeit an Cannabis nichts mit Rauschzuständen zu tun habe. „Viele wissen nicht, dass Cannabis andere nicht-berauschende Wirkstoffe enthält, die nachweislich einen therapeutischen Nutzen haben“, so der Forscher. Könnte man präszie nachweisen, wie welche Wirkstoffe für Behandlungen nutzbar gemacht werden können, würden Vorurteile abnehmen, ist Janji überzeugt. Das wäre auch für die Wissenschaft positiv, denn die Cannabis-Grundlagenforschung kostet Geld.
Bisher hat der gebürtige Syrer keine Finanzierung für seine Cannabis-Studie beantragt, das will er tun, „sobald wir etwas weiter sind“. Obwohl immer mehr Länder Cannabis für medizinische Zwecke erlauben und auch in Luxemburg verschiedene Cannabis-Medikamente zugelassen sind, halten sich Pharmakonzerne mit Investitionen in die Cannabis-Forschung zurück. Die Pflanze ist nicht einfach zu patentieren, zudem könnten preiswertere Cannabis-Produkte mit anderen Medikamenten konkurrieren.
Dass Potenzial da ist, zeigt sich am wachsenden Interesse: In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl wissenschaftlicher Publikationen um Cannabis vervielfacht. Es herrscht geradezu ein Hype um die medizinischen Möglichkeiten der Pflanze, weltweit wurden noch nie so viele Lizenzen für die Cannabis-Forschung vergeben wie heute. Die Nase vorn haben Länder wie Israel, die Niederlande, Kanada. Wer weiß, vielleicht zählt Luxemburg bald dazu?