Der Weltraum. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2021. Dies ist das Abenteuer der Entdeckerin Ulja Funk, die mit ihrer zwei Mann starken Besatzung wenige Tage unterwegs ist, um neue Asteroiden zu erforschen, ferne Länder und Zivilisationen. Viele Kilometer von der Heimat entfernt, dringt Ulja Funk in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor erahnt hat.
Mit der Abwandlung dieses bekannten Vorspanns könnte der Film Mission Ulja Funk beginnen. Denn Meteoriten, Sterne, Raumfahrt und Astronomie sind die Dinge, die Ulja (Romy Lou Janinhoff) begeistern. Doch in ihrer russlanddeutschen, orthodoxen, freikirchlichen Familie interessiert sich so recht niemand für sie, denn da sind zwei Brüder, die es immer wieder schaffen, die ganze Aufmerksamkeit der Familie auf sich zu lenken. Die Mutter – gestresst, denn sie muss das Geld verdienen. Der Vater – abwesend und immer mit irgendetwas anderem beschäftigt. Die Oma – in ihrer religiösen Welt mit Inbrunst gefangen. An der Schule vertickt Ulja die Hausaufgaben für einen Euro an ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Das Geschäft brummt. Aber der Star in der Schule ist sie nicht. Wirklich nicht.
Dann schlägt ihre große Stunde. Im „Kindergottesdienst“ ihrer Gemeinde darf sie eine Entdeckung präsentieren: den Asteroiden VR 24-17-20. Der soll in wenigen Tagen auf die Erde stürzen und Ulja weiß auch genau wo: in Weißrussland, gleich hinter der polnischen Grenze. Doch sie darf ihren Vortrag nicht zu Ende bringen. Denn Wissenschaft und Glaube sind für Uljas Großmutter Olga, den Pastor und die ganze Gemeinde zwei verschiedene Welten, die nichts miteinander zu tun haben. Und es kommt noch schlimmer für Ulja: Olga (Hildegard Schroedter) kassiert gemeinsam mit dem Pastor (Luc Feit) Computer und Bücher ein, schließlich wolle kein Mann später eine Frau heiraten, die intelligenter ist als er. Also schnappt sich die Zwölfjährige ihren Klassenkameraden Henk, der nichts kann außer Auto fahren, und macht sich mit ihm auf den Weg nach Weißrussland.
Was sich dann entwickelt, ist ein urkomisches Roadmovie mit viel Verve, Witz und Komik aus dem fiktiven deutschen Lemheim quer durch Polen gen Belarus. Und das im geklauten ausrangierten Leichenwagen, mit dem Uljas Mutter für gewöhnlich zur Arbeit fährt. Stilsicher transkribiert Barbara Kronenberg in ihrem Langfilm-Debüt das Genre Roadmovie auf die Herausforderungen eines Kinderfilms. Dabei gelingt es ihr, wunderschöne Bilder einzufangen und zu kreieren. Hin und wieder kalauert es sehr und sind die komischen Episoden vorhersagbar. Doch die Dynamik zwischen den beiden Hauptdarstellern Romy Lou Janinhoff und Jonas Oeßel (Henk) bringen den Film voran, auch dann, wenn die Zweierkonstellation zu einer Dreiecksbeziehung aufgeweitet wird und Oma Olga kräftig mitmischt. Dabei ist auch die Entwicklung der Beziehung der beiden Figuren prägend für den Film. Aus der herzlichen Abneigung zweier Außenseiter im Klassenverband wird die Zweckgemeinschaft, dann der gegenseitige Respekt und schließlich die Freundschaft.
Das Ausbüxen von Ulja bleibt nicht lange unbemerkt, und schließlich machen sich der Rest der Familie, der Pfarrer und der Chor der Kirchengemeinde auf, die beiden einzufangen. Der Pfarrer – herrlich deppert mit goldbeketteter Brille gespielt von Luc Feit – hat dabei seine durchaus eigenen Interessen, die beiden Teenager aufzuspüren. Schließlich bringt der Stern am Himmel für alle Suchenden die Erleuchtung. Es zeigt sich, dass viele Dinge erreicht werden können, wenn man mit dem Fuß bis ans Gaspedal kommt. Besonders hervorzuheben ist an der Mission Ulja Funk, dass der Film nicht das gängige heile Familienbild des üblichen deutschen Kinderfilms glorifiziert. Hier gibt es Brüche. Die Oma als Matriarchin der Familie, die Mutter sorgt für den Lebensunterhalt, das Haus eine ständige Ruine, Oma Olga und Ulja teilen sich das Schlafzimmer. Und dieses Familienkonstrukt wird sich zum Ende des Films nicht in Luft aufgelöst haben. Es gibt auch keinen Aufstieg in eine gutbürgerliche Normalität. Es wird keine Schwarzweißzeichnung von Glauben und Religion vorgenommen. Zwar wird die Kirchengemeinde als Hort der Unvernunft präsentiert, doch dient dies nur als Vehikel für den Film, nicht als gegenständliches Momentum.
Der Film setzt auf wiederkehrende Motive und auf Running Gags, die er sich gerne bei anderen Filmen, teilweise Klassikern, entleiht, und nahtlos in die eigene Erzählung einbaut. So etwa der Fakt, dass immer wieder ein Mitglied der Reisegesellschaft zurückbleibt, um in der scheinbaren Einöde sein wahres Glück und seine Bestimmung zu finden. Oder eine Gruppe von Nonnen, die immer wieder an Stationen der Reise auftauchen. Sie wirken in ihrer Erscheinung als eine Hommage an Louis de Funès, Peter Bogdanovich oder Aki Kaurismäki.
Von Letzterem scheint sich Regisseurin Kronenberg einiges abgeschaut zu haben. Die Kunst ist, die Skurrilität eines Kaurismäki für einen Kinderfilm umzusetzen, was Kronenberg – mit Ausnahme von wenigen Szenen – schlüssig gelingt. Es bleibt ein großer Spaß in inszenierter Komik, die nicht beliebig wirkt oder ins Billige abdriftet. Barbara Kronenberg setzt auf Stringenz und ihr gelingt ein gutes Timing, insbesondere dann, wenn ein Running Gag in einer ganz anderen Funktion den Handlungsfaden aufnimmt und vorantreibt. Eltern ist der Film auch ob des Soundtracks empfohlen. Vom irischen Reisesegen bis zu den Pet Shop Boys gibt es ein ordentliches Crossover zur Landstraße im Osten Polens.
Der Film hatte auf den diesjährigen Berliner Filmfestspielen in der Sektion „Generation“ Premiere. Unterstützt wurde er vom Film Fonds Luxemburg. Bernard Michaux von Samsa Film ist Koproduzent. Luc Feit gibt glaubhaft den schrulligen freikirchlichen Gemeindepfarrer Brotz mit einem ordentlichen Sündenregister.