Eine Frau hetzt durch die Straßen von Bukarest. Ziellos. Weglos. Sozial distanziert. Sie kauft hastig Blumen. Sie telefoniert nervös und gereizt. Kontrastiert werden diese Szenen von Ausschnitten aus einem privaten Pornofilm. Derb. Unbeholfen. Lächerlich. So der Einstieg in den rumänischen Gewinnerfilm der diesjährigen Berlinale Barbadeală cu bucluc sau porno balamuc (Bad Luck Banging or Loony Born). Die Handlung des Films könnte einer Zeitungsmeldung entstammen oder einem Facebook-Eintrag: Eine Lehrerin filmt sich und ihren Ehemann beim Sex. Der private Porno landet dann auf unbekannten Wegen zum Herunterladen auf einem Internetportal. Selbstredend wird er dort sofort von den Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern entdeckt. Die Schulleitung beruft einen Elternabend ein, der über die weitere Anstellung der Lehrerin befinden und entscheiden soll. Die Veranstaltung wird zu einem Tribunal.
Aus dieser scheinbar simplen Geschichte entwickelt der rumänische Regisseur Radu Jude einen intelligenten Plot über den chauvinistischen Wertekonsens, scheinheilige Moralvorstellungen und kaum verhohlene Frauenfeindlichkeit sowie das allseits akzeptierte Recht des Stärkeren in seinem Heimatland. Ihm gelingt es, das Erbe des Totalitarismus in Rumänien aufzuzeigen, die verdrängte und nicht bewältigte Geschichte des Landes in einer beinahe alltäglichen Begebenheit zu einem Triptychon aufzuspannen, der die Genese der Gesellschaft in einfachen Bildern einfängt. Jude selbst ist Jahrgang 1977. Er gehört zu einer Generation Filmemacher seines Landes, die immer wieder den Finger in die Wunde legen und aufzeigen, welche Residuen des totalitären Sozialismus aus der Zeit von Nicolae Ceaușescu noch heute von der Gesellschaft weitergetragen oder vielleicht sogar wiederentdeckt werden. So auch Regisseur Călin Peter Netzer, der im Jahr 2013 für seinen Film Poziția Copilului (Mutter und Sohn) in Berlin mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Auch in diesem Film standen tradierte totalitäre Verhaltensmuster im Mittelpunkt des Geschehens.
Radu Jude entwirft in seinem Film ein Leidensbild der modernen rumänischen Gesellschaft. Im ersten Teil hastet die Lehrerin Emi, dargestellt von Katia Pascariu, durch die Hochhausfluchten von Bukarest, entlang einfallsloser, jedoch klotzig und klobiger Investorenarchitektur und sozialistischer Prachtbauten, an deren Fassaden nunmehr Leuchtreklame hängt. Sie hetzt durch ein Einkaufszentrum als Sinnbild des Turbokapitalismus, auf dessen Parkplatz ein Hofbräu-Fest stattfindet mit befremdlicher Schunkelmusik. Daneben unrenovierte, verfallene Gebäude, auf deren Fenstersimsen Wäsche trocknet. Die Handlung wird getrieben von den Telefonaten Emis mit ihrem Mann, der verzweifelt versucht, das Sexvideo löschen zu lassen oder zumindest denjenigen zu finden, der es ins Internet gestellt hat. Emis Ziel ist die Wohnung der Schuldirektorin, mit der sie den eigens einberufenen Elternabend besprechen möchte. In diese Rahmenhandlung baut Jude Anekdoten ein: Kleine Menschen, die aus viel zu großen Autos steigen. Ein auf dem Bürgersteig parkender Mensch, der trotz wütender Proteste nicht von der Stelle weicht. Die Passanten müssen die viel befahrene Straße nutzen, was sie resigniert machen.
Der zweite Teil des Films ist eine Enzyklopädie des heutigen Rumäniens als Stellvertreter für die übrigen Übergangsstaaten und -gesellschaften im Südosten Europas. Eine Montage von Archiv- und Propagandafilmen, Werbeclips und Nachrichtenbildern, die Jude im Tiktok-Stil mit lakonischen Inserts und sarkastischen Kommentaren in Twitter-Länge kommentiert.
Im dritten Teil – mit dem Titel Sitcom – wird Emi von der Elternschaft zur Rechenschaft gezogen. Der Teil ist überspannt inszeniert mit deutlichen Anleihen im Trash-TV. Die übertriebene Empörung der Eltern wird vom verzweifelten Versuch Emis kontrastiert, eine individuelle Form der Rechtschaffenheit zu argumentieren. Die Lehrerin versucht, den verschiedenen Vorwürfen mit Vernunft zu begegnen und zitiert sogar Hannah Arendt, was in der Empörungsgesellschaft des Elternabends überhaupt nicht wahrgenommen wird, geschweige denn angenommen. Dabei wird Emi sich mehr und mehr in Rage reden und dem Panoptikum an Eltern deren eigene Scheinheiligkeit vorwerfen, schließlich habe sie nur Sex gehabt und das sei noch lange kein Verbrechen. Das Ende hält Radu Jude bewusst offen. Er bietet drei mögliche Varianten an, die drei möglichen Entwicklungsszenarien für die Zukunft darstellen.
Bad Luck Banging or Loony Porn entstand während der Pandemie und wirkt in weiten Strecken wie aus der Hüfte geschossen, mal eben gedreht und abgefilmt. Es ist eine überzogene, unterhaltsame, ironische, aber auch bitterböse Realsatire einer Gesellschaft, die sich in einer Komfortzone aus neuem Konservatismus, Nationalismus und Meinungsdiktatur eingerichtet hat. Er bietet einen Einblick in ein Land, das vielen Betrachtern befremdlich wirken wird, obwohl es Mitglied der Europäischen Union und damit Teil der europäischen Wertegemeinschaft ist. Radu Jude schafft es, intelligent und kreativ Kritik zu üben – nicht nur an Rumänien. Denn auf der Metaebene nähert er sich gleichzeitig der universellen Gereiztheit der Pandemie-Gegenwart, in der die Rechthaberei der Gesinnungswächter grenzenlos zu sein scheint.
Der Film wurde als rumänisch-luxemburgisch-kroatisch-tschechische Koproduktion realisiert. Von luxemburgischer Seite zeichnet Paul Thiltges verantwortlich. Radu Jude war bereits mit seinem ersten Langspielfilm Cea mai fericită fată din lume (The Happiest Girl in the World) 2009 Gast der Internationalen Filmfestspiele von Berlin..
Barbadeală cu bucluc sau porno balamuc (Bad Luck Banging or Loony Born). Rumänien, Luxemburg, Kroatien, Tschechien: 2021. 106 Minuten. Regie: Radu Jude. Mit: Katia Pascariu, Claudia Ieremia, Nicodim Ungureanu und anderen. Produziert von Ada Ada Salomon, Ankica Juric Tilic, Adrien Chef und Paul Thiltges