Building a new airline – mit diesem Slogan war die kurz zuvor ausgewechselte Luxair-Generaldirektion 2006 angetreten, der in die Jahre gekommenen Luxemburger Passagierfluggesellschaft eine Frischzellenkur zu verpassen. Nach dem Fokker-Absturz 2002 war das Image der Airline stark beschädigt. Luxair galt nicht nur als teuer, sondern auch als unzuverlässig. Bis 2008 wollte Generaldirektor Adrien Ney das Linienfluggeschäft wieder profitabel machen. Die Flotte wurde umgebaut, die Tarifstruktur geändert, Inter-netbuchungen wurden tatsächlich, nicht nur theoretisch, möglich gemacht – die Liniensparte bahnte sich mühevoll den Weg ins 21. Jahrhundert. Fast wäre das Vorhaben, 2008 schwarze Zahlen zu schreiben, gelungen. Aber nur fast und deswegen stehen bei Luxair wieder strategische Entscheidungen an.
Denn freute sich Luxair bei der Vorstellung der Bilanz 2006 noch darüber, dass man die Verluste im Linienfluggeschäft von einem Jahr zum anderen um die Hälfte auf 6,4 Mil-lionen Euro halbieren konnte, betrug der Verlust 2007 nur noch 0,9 Millionen Euro und 2008 0,2 Millionen Euro. Zugesetzt hat Luxair die Konkurrenz durch die TGV-Verbindung nach Paris, die im Juni 2007 den Betrieb aufnahm. Dann setzte die Wirtschaftskrise ein und mit ihr die Beschneidung der Budgets für Geschäftsreisen. Im Krisenjahr 2009 machte die Linienflugsparte der Luxair wieder 13,1 Millionen Euro Verlust.
Der Kontext hat sich nicht nur für Luxair, sondern für die europäische Flugindustrie insgesamt verändert, glaubt Generaldirektor Adrien Ney. „Der große Unterschied zwischen 2006 und 2010 ist: 2006 gab es vielleicht eine Luxair-Krise. Die Firma hat sich umgestellt und an das Umfeld angepasst.“ Jetzt allerdings strauchelt das Umfeld, also die Konkurrenz mit. „In Europa findet ein Paradigmenwechsel statt“, sagt Ney im Gespräch mit dem Land. Der betrifft alle Gesellschaften. „Der Kunden Vorstellung, ihre Auffassung vom Flugticket hat sich grundlegend geändert“, erklärt der Luxair-Chef. Schuld sind seiner Ansicht nach die Billigfluggesellschaften. Die spielten im Flugbetrieb die gleiche Rolle wie Discounter in der Lebensmittelindustrie: Sie bieten immer billigere Massenware, veränderen damit die Preisvorstellung der Kunden überhaupt. „Die Bereitschaft, für ein Hotel oder ein Restaurant Geld auszugeben, gibt es noch. Doch ein Flugticket darf nichts mehr kosten.“ Ein Trend, der sich bei Geschäftsreisenden, die bislang teure, flexible Tickets buchten, durch die Wirtschaftskrise beschleunigt hat. Die Frage ist, ob er sich mit dem wirtschaftlichen Aufschwung wieder umkehren lässt oder ob die Entwicklung von Dauer ist. Ney befürchtet Letzteres.
Noch 2006 betrug der Anteil der Business-Klasse-Tickets und der teuren Economy-Klasse-Tickets an den Buchungen 38 Prozent, 2007 waren es 37 Prozent, 2008 noch 30 Prozent, 2009 gerade mal 24 Prozent, und für dieses Jahr sagt Ney 23 Prozent voraus. Die Reisepolitik innerhalb der Unternehmen habe sich grundlegend verändert. „Im Juli haben wir zwar einen Anstieg der Business-Buchungen von 19 Prozent verzeichnet. Aber rund 12 Prozent davon sind solche Kunden, die mit uns weiterreisen.“ Der Flug ab oder nach Luxemburg ist nur ein Abschnitt einer längeren Reise, für die das Ticket bei einer anderen Gesellschaft gebucht wurde. Luxair erhält nur einen Anteil des Ticketpreises, verdient daran nicht viel. Die neue Politik lautet demnach: Für Langstreckenflüge dürfen Geschäftsreisende noch Business buchen. Für innereuropäische Flüge – dort, wo Luxair Linienflüge anbietet – müssen sie ein paar Stunden in der Holzklasse ausharren.
Der finanzielle Ausfall, der der Luxair durch das Ausbleiben der sogenannten High-Yield-Kundschaft ensteht, konnte bislang nicht durch steigende Passagierzahlen wettgemacht werden. „Im Jahr 2007 hatten wir im High-Yield-Segment Einnahmen von 71 Millionen Euro, 2008 waren es 60 Millionen Euro und 2010 werden es 45 Millionen Euro“, erklärt Ney. „Im Vergleich zwischen 2007 und 2010 fehlen im Hochpreissegment auf Jahresbasis 26 Millionen.“ Zwar sind die Einnahmen in Niedrigpreissegement gestiegen. Zwischen 2007 und 2010 um zehn Millionen jährlich bis auf geschätzte 51 Millionen Euro Ende 2010. Doch dann fehlen auf Jahresbasis immer noch 15 bis 16 Millionen Euro. „Das sind große Summen“, sagt Ney mit Nachdruck. Will man den effet TGV in der Rechnung neutralisieren und vergleicht die Jahre 2008 und 2010, verursacht der Trend hin zu den Billigtickets am Jahresende ein Minus von rund elf Millionen Euro.
Die Umbaupläne von 2006, demnach ein Misserfolg? „Nein“, sagt Ney. Die Aufteilung der damals buntgemischten Flotte in Luxair Tours, welche die Boeing 737 fliegt, und Airline, die mit den Embraer-Jets und den neugekauften Q-400 unterwegs ist, die neue Tarifstruktur mit Einführung der Primo-Tickets von maximal 189 Euro, Frühbuchervorteilen und Last-Minute-Angeboten, stellt er nicht in Frage. „Die Entscheidungen von damals waren richtig. Ohne diese Entscheidungen wären wir dieses Jahr tot. Dann hätten wir bei der Airline vergangenes Jahr keine 13,1 Millionen Verlust verzeichnet, sondern 28 oder 30 Millionen Euro.“
Denn steigern konnte Luxair die Passagierzahlen im Linienverkehr trotz Einbruch im Krisenjahr 2009 auf jeden Fall. Im Jahr 2007 transportierte Luxair rund 724 000 Passagiere, 2008 749 000, 2009 714 000. Ende 2010, das lässt sich aus den bereits getätigten Buchungen ableiten, werden es 750 000 sein. „Wir werden dieses Jahr einen Zuwachs von sieben bis acht Prozent haben. Ohne Aschewolke (des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull, durch die im April 2010 der europäische Flugraum geschlossen wurde, Anmerkung der Redaktion) wären es neun bis zehn Prozent gewesen. Das ist für eine regionale Airline wie uns enorm“, sagt Ney. „Dabei“, unterstreicht er, „hat uns der TGV 80 000 Passagiere jährlich gekostet.“ Würden diese 80 000 noch fliegen, anstatt Bahn zu fahren, wäre man zahlenmäßig wieder über dem Niveau von 2005, rechnet Ney vor.
Die Zauberformel hinter diesem, wenn auch verhaltenen Erfolg: Durch den Einsatz der größeren Flugzeuge, der Q-400, in denen rund 70 Passagiere Platz haben, konnten die Ticketpreise gesenkt werden. Das Angebot an billigeren Tickets stieg und damit stiegen auch die Buchungen auf einer ganzen Reihe von Strecken. Zum Beispiel auf der zwischen Luxemburg und London-City. Dort konnte die Zahl der Passagiere zwischen 2005 und 2010 verdoppelt werden. Auf der Route nach Nizza beträgt der Sitzladefaktor, also die Auslastung im Jahresdurchschnitt, 67 Prozent, auf der Linie nach Porto, wo mittlerweile eine Maschine mit 140 Plätzen im Einsatz ist, im Jahresschnitt 80 Prozent, im Sommer sogar 94 Prozent. Ausgebucht.
„Stimulation“, nennt das Ney. Und das geht, erklärt er, nur mit Flugzeugen, die eine Mindestkapazität von 70 Sitzen haben. Drunter können nicht ausreichend günstige Tickets angeboten werden. „Vor der Flottenumstellung sind wir mit einem Sitzladefaktor von 54, 55 Prozent herumgekrebst.“ Durch die Umstellung wurde nicht nur die Kapazität, sondern auch der Sitzladefaktor gesteigert. Kleinvieh macht also auch Mist, wenn derzeit auch noch nicht genug, um der Verlust aus dem High-Yield-Segment auszugleichen. „Wenn durch die billigeren Tickets die Auslastung steigt, dann reichen die Einnahmen pro Flug.“ Primo ist prima. Das unterstreichen auch die Verkaufszahlen: 26 Prozent aller Buchungen sind Primo- oder sogar noch günstigere Tickets. „Ein Viertel unser Verkäufe“, sagt Ney. Die Luxair-Crazy-Days, während derer Luxair jeden Tag ein anderes Rei-seziel ab 99 Euro im Sonderange-bot hat, waren vergangenes Jahr so erfolgreich, dass der Server dem großen Ansturm von Besuchern nicht standhielt und abstürzte.
Die gleiche Entwicklung gab es bei Luxair-Tours, sagt der Luxair-Direktor. 2005 hatte der Tour-Operator 170 000 Kunden, 2010 waren es 235 000 Kunden. „Ein Riesenerfolg.“ Dabei habe mitgespielt, erklärt er, dass man Luxair-Tours im Rahmen der Umstellung die Boeing-Flotte zur Verfügung gestellt habe. Durch den Einsatz der größeren Flugzeuge konnten die Sitzpreise gesenkt, das Angebot attraktiver gemacht werden. Die Auslastung lag 2009 bei 80 Prozent. Und in den Schulferien ist Luxair-Tours, mit vier Boeing 737-700 à 140 Sitzen und einer geleasten Boeing 737-800 à 180 Sitzen, quasi ausgebucht. „Auch hier geht der Trend zu größeren Flugzeugen“, sagt Ney.
Deswegen entschied der Verwaltungsrat vergangenen Freitag, zusätzlich zu der bereits bestellten 737-800, die Ende 2011 geliefert wird, eine zweite 737-800 zu bestellen. „Leider“, kann diese erst 2015 geliefert werden, gerne hätte man sie früher gehabt. Denn das neue Luxair-Tours-Angebot auf die Kapverdischen Inseln beispielsweise ist bereits zu 75 Prozent ausgebucht und dermaßen gefragt, dass man beschlossen hat, öfters zu fliegen, als anfangs geplant. Weil die Kapazität von Luxair-Tours spätestens 2012 ausgeschöpft sein wird, überlegt Luxair sogar die 700-er Maschine, die durch das neue Flugzeug ersetzt werden sollte, zu behalten, die Flotte von vier auf fünf Maschinen auszubauen. „Wir glauben, das Potenzial ist da.“
Damit sich ein entsprechender Erfolg auch beim Linienbetrieb einstellt, dürften sich in den kommenden Monaten hier ähnliche Entscheidungen anbahnen. Luxair Airlines muss sich sozusagen gesund wachsen. In der Diskussion stehen wird eine erneute Flottenerneuerung und die Gestaltung des Streckennetzes. Die bestmögliche Kombination von beiden, danach suchen die Luxair-Verantwortlichen. „Mit welchen Maschinen werden wir welche Routen abfliegen?“, fragt Ney. Mehr will er dazu noch nicht sagen.
Doch dass sich Luxair von den ihr verbleibenden Eurojets verabschieden und sie durch größere Flugzeuge ersetzen wird, liegt auf der Hand. Die zwei Embraer 135 mit je 37 Sitzen und die sechs Embraer 145 mit je 49 Sitzen sind zu klein. Die Kettenreaktion, die größere Flugzeuge zünden – niedrigere Kosten pro Sitz, billigere Tickets, attraktiveres Angebot, mehr Passagiere, besserere Auslastung, Rentabilität – kann man damit nicht auslösen. „Das muss man nicht nur negativ sehen“, sagt Ney. „Luxair verfügt über eine solide Kapitalstruktur. Eine Flottenerneuerung wird deswegen kein Problem sein.“ Welche Flugzeuge gekauft werden, darüber dürfte in den Luxair-Gremien heiß diskutiert werden. Wie groß sollen sie sein? Günstige Propeller oder schicke Turbinen?
Mit Aussagen über eine eventuelle Neugestaltung des Streckennetzes hält sich Ney ebenfalls bedeckt. Wirklich schlechte Strecken gebe es derzeit im Netz nicht, sagt er. Nur gute und weniger gute. Die Analyse der kommenden Monate soll zeigen, wo man die Nachfrage zusätzlich stimulieren kann. Dabei hat Ney die Anbindung Luxemburgs an Europas Drehkreuze als Firmenmission weiterhin fest vor Augen. Die Verbindungen nach Frankfurt, München und Wien ins Lufthansa/Austrian-Airlines-Netz und die nach Paris ins Netz der Air-France, reichen seiner Ansicht nach aus, um diese Anbindung zu gewährleisten. Deswegen wolle man andere Strecken „stimulieren“, solche, auf denen es eine natürliche Nachfrage gibt. Bedenkt man die hohe Auslastung auf der Porto-Verbindung, sind weitere Portugal-Ziele nicht auszuschließen.
Ney ist vorsichtig wenn es darum geht, einen neuen Termin festzulegen, an dem das Liniengeschäft profitabel sein soll. „Wir sind sehr abhängig von der Konjunkturentwicklung. Erholt sich die Wirtschaft schnell und kommt die Business-Kundschaft zurück, erholt sich natürlich auch die Airline schneller.“ Weil man auch bedenken muss, dass eine Flottenerneuerung, würde sie nächstes Jahr beschlossen, zwei oder drei Jahre zur Umsetzung braucht, würde er „eine rote Null 2013“ sehen.
Schwarzmalen will Ney trotz Wirtschafts- und Aschekrise, die das Unternehmen 4,2 Millionen Euro kostete, nicht. Er sieht das Positive. Ohne vulkanbedingte Ausfälle stand allein für Luxair-Tours aufgrund der Buchungslage ein operatives Ergebnis (Ebit) von sechs Millionen Euro in Aussicht, während Luxair Group 2009 einen operativen Verlust von 7,1 Millionen Euro hatte hinnehmen müssen. „Ohne Aschekrise hätten wir 2010 voraussichtlich über unsere drei Geschäftslinien Linienbetrieb, Fracht und Tour-Operating hinweg ein ausgeglichenes operatives Ergebnis erzielt. Wir hätten das Resultat erheblich steigern können“, schließt Ney.